Debatte über israelische Auswanderer

Deutschland als gelobtes Land?

Werbung auf einem Bus in Tel Aviv für die Deutsch-Kurse im Goethe Institut: Übersetzt steht dort "Deutsch lernen, Kultur erleben. Schreiben Sie sich jetzt ein"
Werbung auf einem Bus in Tel Aviv für die Deutsch-Kurse im Goethe Institut: Übersetzt steht dort "Deutsch lernen, Kultur erleben. Schreiben Sie sich jetzt ein" © picture alliance / dpa / Goethe-Institut Tel Aviv
Von Ofer Waldman · 24.08.2016
Junge Israelis wandern verstärkt nach Deutschland und vor allem nach Berlin aus. Manchen alten Kämpfern und Aktivisten gilt das als Verrat. Der Musiker und Autor Ofer Waldmann beobachtet ein vergiftetes politisches Klima in Israel.
Dass ausgerechnet Berlin zum bevorzugten Migrationsziel links-intellektueller Israelis wurde, mutet an wie verkehrte Welt. In Israel, mit seiner dramatischen Entstehungsgeschichte werden diejenigen, die das Land verlassen als "Absteiger" diffamiert. Und wer vom jüdischen Staat nach Deutschland zieht begeht für viele Israelis eine besonders schwere Sünde.

Aufforderung zur Rückkehr

Vor einigen Wochen veröffentlichte Uri Avinery, ein altgedienter israelischer Friedensaktivist einen Aufruf, in dem er die Anziehungskraft Berlins auf junge Israelis zwar anerkennt, diese aber zur Rückkehr auffordert. Die damit entfachte Debatte offenbart den politischen Riss der durch Israel geht.
Für den greisen Friedensaktivisten bedeutet der anhaltende Rechtsruck Israels das Scheitern seines politischen Lebenswerkes. Dem Argument vieler Berliner Israelis, man könne in Israel ohnehin politisch nichts bewirken, halten er und andere Angehörige seiner Generation harte Worte entgegen: Wer, wenn nicht die privilegierten jüdischen Israelis könnte der Besatzung vor Ort trotzen, den Siedlern, der Entrechtung der Palästinenser? "Denkt an die Vergangenheit Eurer neuen Heimat", schreibt eine ältere Friedensaktivistin. "In Israel sperrt Euch niemand in ein Konzentrationslager, wenn Ihr für Eure Ziele kämpft."

Ausgerechnet in die Hauptstadt der Nazis

Vielen in Israel Gebliebenen gilt die Migration nach Berlin als moralische Bankrotterklärung. Eine konservative Kolumnistin suggeriert, linke Israelis vergleichen die israelische Gegenwart mit der NS-Vergangenheit und schreibt: "Es scheint, als ob die israelische Migration nach Berlin eine ironische Umkehrung ermöglicht, die Deutschland als Erlösungsort darstellt."
Für deutsche Zuhörerinnen und Zuhörer sind solche Argumente unvorstellbar, ja unerträglich: In Israel sind sie Ausdruck eines zunehmend vergifteten politischen Klimas.

Eine unabhängige hebräische Kultur in Berlin

Als erste Reaktion auf den Aufruf, nach Israel zurückzukehren, schrieb der junge Kulturwissenschaftler Naaman Hirschfeld: Nein, Danke. Er fühle sich ohnmächtig im Angesicht einer israelischen Politik, die Hass generiert, der zum Krieg führt, der mehr Hass schürt. Für ihn ist die israelische Demokratie nach Jahrzehnten der Besatzung und Militarisierung zur leeren Hülle verkommen auf dem Weg zum religiös-ethnischen Apartheid-Staat. Wie er verneinen linke Berliner Israelis das Ethos vom verheißenen Land und beschreiben das Verlassen Israels als einen politischen Akt. In Berlin wähnen sie die Möglichkeit, eine vom nationalen Diktat unabhängige hebräische Kultur zu erschaffen.
Allerdings hat nicht jeder das Privileg einfach auszuwandern. Hirschfeld gehört als Enkelsohn europäischstämmiger Juden zur einstigen israelischen Elite, die in den letzten Jahren an Einfluss verliert. Diese Debatte offenbart also sowohl den intergenerationellen Graben im linken Lager, wie auch einen tiefen sozialen Wandel in Israel.

Eine kleine Gruppe, die aber gehört wird

Fraglich bleibt, welche politische Größe die linken Berliner Israelis darstellen: Die deutsche Öffentlichkeit, wie auch die israelischen Medien sind für ihre Worte zwar sehr empfänglich, jedoch bilden sie eine kleine Gruppe innerhalb der ebenfalls überschaubaren 10.000 Berliner Israelis. Eine messianisch angehauchte Rückkehr der Linken nach Zion hätte also eher einen symbolischen Charakter. Die meisten Israelis drücken ohnehin lieber beide Augen zu: Sie wollen weder wissen was in Berlin, noch was in den besetzten Gebieten passiert.
Die politische Erfahrung der Berliner Israelis, und damit die hier angeführte Debatte, sind indes für Deutschland ebenfalls relevant: Auch hierzulande gefährden Rassismus und Islamophobie die demokratischen Strukturen.

Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Anschließend war er an der Israelischen Oper engagiert und absolvierte daneben ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Derzeit promoviert er an der Hebräischen Universität Jerusalem wie auch an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.

Der Publizist und Musiker Ofer Waldmann
© Kai von Kotze
Änderung: In einer früheren Fassung dieses Textes haben wir ein anderes Bild verwendet.
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