Debatte über Bologna-Reform

Bachelor fällt durch Praxistest

Studenten sitzen in einem Hörsaal der Universität Koblenz-Landau
Studenten in einem Hörsaal der Universität Koblenz-Landau: Unmut über intellektuelle Massenware © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Von Philip Kovce · 12.08.2015
Das Problem des Bachelor-Studiums sei seine zunehmende Verschulung, moniert der Ökonom Philip Kovce. Wenn die Anforderungen nur für "Prüfungsorgien" ausgedacht würden, hinkten die Bachelor-Absolventen später den praktischen Herausforderungen hinterher.
Wer mit einem Bachelor-Abschluss die Universität verlässt, der ist auf das Arbeitsleben schlecht vorbereitet. Denn, so ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Bachelor-Berufseinsteiger erfüllen immer weniger die Erwartungen der Unternehmen.
Es sind vor allem kleine Firmen enttäuscht, etwa aus der Tourismusbranche oder dem Gesundheitswesen. Sie wünschen sich, dass das Studium praktischer wird. Was die Betriebe fordern, sollte der Bachelor-Abschluss eigentlich gewährleisten. Wer daran zweifelt, zweifelt an der Bologna-Reform.
Vor gut zehn Jahren war es eines der Hauptanliegen der Reform, den Arbeitsmarkt mit jungen Akademikern zu fluten, die nicht zu viel Zeit in der Universität vergeuden, ehe sie ihr Wissen der Wirtschaft zur Verfügung stellen. Fast jedes Studienfach bietet seither einen ersten Abschluss nach drei Studienjahren an: den Bachelor. Nur Studenten, die wirklich an einer wissenschaftlichen Laufbahn interessiert sind, sollen ihr Studium bis zum Master fortsetzen und womöglich mit einer Doktorarbeit krönen.
Verschulte Studiengänge
Was also läuft schief, wenn die Unternehmen das Wissen gerade der Studenten schwinden sehen, die auf das Arbeitsleben vorbereitet werden?
Das Problem des Bologna-Bachelors ist seine zunehmende Verschulung. Das Studium von heute ist so eingerichtet, wie es vor hundert Jahren die Fabriken waren. Alles ist vorgegeben. Alles ist determiniert. Nicht einmal die großen Rechenzentren sind so organisiert. Computer lernen heute viel besser als Studenten: vernetzter, dynamischer, interaktiver.
Wer sich am Reißbrett Anforderungen ausdenkt, die in permanenten Prüfungsorgien getestet werden, der hinkt den praktischen Herausforderungen hinterher. Das ist fatal. Es fördert weder wirtschaftliche noch wissenschaftliche Exzellenz. Es führt dazu, dass die Absolventen weniger lernen, als ihr Zeugnis vorgibt.
Wer im Berufsleben bestehen will, der kann sich nicht auf Theorien verlassen, die ihm praxisfern verabreicht werden. Er hat entweder eine Ausbildung oder ein duales Studium zu durchlaufen, die ihn nicht bloß Wissen ansammeln, sondern Fähigkeiten ausbilden lassen. Die Arbeit an der Werkbank ist nicht nur praktisch vorteilhafter, auch das reflexive Niveau zieht inzwischen mit dem des Hörsaals gleich.
Dass trotz allem die akademische Bildung bevorzugt wird, liegt an der gesellschaftlichen Einstellung. Eltern und Personalchefs schielen oft auf Titel, anstatt nach Talent Ausschau zu halten. Das führt zu einer Titelinflation: Wir werden qualifizierter, aber nicht kompetenter.
Freigestaltbare Curricula als Alternative
Wie sollen die Universitäten darauf reagieren? Die Fächer, die auf einen bestimmen Beruf vorbereiten – etwa Jura, Medizin, Pädagogik –, sind so einzurichten, dass die kommenden Richter und Anwälte, Ärzte und Lehrer in ihren Beruf hineinwachsen. Dazu gehört, dass die Studenten nicht nur aufgrund von Abiturnoten ausgewählt werden, sondern aufgrund der Anforderungen, die der Beruf an sie stellt.
Viele Fächer führen heute zu keinem festgelegten Berufsbild. Hier gilt es, die Curricula freier zu gestalten. Seinen eigenen Bildungsweg zu einem persönlichen Profil zu finden, aus der Vielfalt des Themenangebots genau das auszuwählen, was dem eigenen Interesse und den individuellen Fähigkeiten entspricht, ist die Aufgabe.
Eine Universität, die ein freies Studium nicht zulässt, produziert intellektuelle Massenware. Eine Hochschule, die nicht verschult, entlässt mündige Absolventen. Sie haben gelernt, selbstständig zu arbeiten und alltägliche Hürden zu meistern. Wenn das gelingt, sind sie auf eine Berufs- und Lebenspraxis vorbereitet, die von den bachelorgeprüften Bologna-Opfern dieser Tage immer wieder verfehlt wird.
Philip Kovce, 1986 geboren, lebt in Berlin. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er veröffentlichte Aphorismen ("Der freie Fall des Menschen ist der Einzelfall", Futurum Verlag), Essays ("Götterdämmerung. Rudolf Steiners Initialphilosophie", Edition Immanente), Miniaturen ("Versuch über den Versucher", AQUINarte), Reflexionen ("Logisch-philosophischer Abriss. Zum Werk Michael Bockemühls", AQUINarte) und ein Bühnenstück ("Dialog für eine Stimme", AQUINarte) sowie jüngst mit Birger P. Priddat einen bildungspolitischen Sammelband ("Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität", Metropolis Verlag). Er ist Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome und engagiert sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Philip Kovce - 1986 in Göttingen geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Er ist Mitbegründer des Basler Philosophicums, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke sowie Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome. Veröffentlichungen (Auswahl): Der freie Fall des Menschen ist der Einzelfall. Aphorismen (Futurum Verlag); An die Freude. Friedrich Schiller in Briefen und Dichtungen (hrsg., AQUINarte Kunst- und Literaturpresse); Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität (hrsg. mit Birger P. Priddat, Metropolis Verlag).
Philip Kovce © Ralph Boes
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