Debatte

"Als harten Antisemiten würde ich ihn nicht bezeichnen"

Moderation: Frank Meyer · 12.03.2014
Nach 1945 hat sich Heidegger nur ein einziges Mal zu seiner Vergangenheit geäußert, in einem Interview mit dem "Spiegel". Der Publizist Lutz Hachmeister hat die Hintergründe des Gesprächs aufgearbeitet - obwohl es die interessanteste Frage gar nicht beantwortete.
Frank Meyer: Heute erscheinen die Notizbücher des Philosophen Martin Heidegger aus den Jahren 1938 bis 1941, die sogenannten "Schwarzen Hefte". Diese Notizbücher haben schon in den letzten Wochen eine Debatte ausgelöst über den berühmten Philosophen, vor allem über die Fragen, war Heidegger Antisemit und wie sehr war er Nationalsozialist?
Nach 1945 hat sich Heidegger nur ein einziges Mal zu seiner NS-Vergangenheit geäußert in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin der "Spiegel". Das Interview wurde 1966 geführt, es wurde aber, das war Heideggers Bedingung, erst nach seinem Tod, im Jahr 1976 erscheinen.
Der Publizist und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister hat die Vorgeschichte und die Hintergründe dieses Interviews aufgearbeitet für sein Buch "Heideggers Testament. Der Philosoph, der SPIEGEL und die SS". Herzlich willkommen, Herr Hachmeister!
Lutz Hachmeister: Hallo!
Meyer: Ein ganzes Buch über ein einziges Interview, eben dieses Heidegger-Interview - dazu hat die "Süddeutsche Zeitung" vor Kurzem geschrieben, das sei eigentlich ein leeres Zentrum, dieses Interview, weil Heidegger zu den wirklich interessanten Fragen kaum etwas gesagt habe. Warum lohnt das, ein ganzes Buch?
Hachmeister: Zum einen ist das Verschweigen von Tatsachen ja auch interessant, sonst müsste die Kriminalpolizei ja ihre Arbeit einstellen. Zum anderen, denken Sie an den berühmten Film "Frost/Nixon", das ist ein ganzer Hollywood-Film über ein einziges Interview von David Frost mit Richard Nixon. Und im Grunde habe ich versucht, so das deutsche "Frost/Nixon" in Buchform vorzulegen. Da müssen die Leser natürlich entscheiden, ob das gelungen oder nicht.
Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976).
Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976).© picture alliance / dpa
Meyer: Die "Schwarzen Hefte", ich habe sie schon erwähnt, von Martin Heidegger, die Notizbücher, die heute erscheinen, die belegen die antisemitischen Einstellungen von Heidegger. Das hat hier bei uns im Programm auch der Herausgeber dieser Hefte, Peter Trawny, gesagt. In diesem "Spiegel"-Interview von 1966 hat sich Heidegger auch zu Antisemitismusvorwürfen verhalten. Was hat er denn dazu gesagt?
Hachmeister: Er hat eigentlich die klassische Strategie gewählt. Eine jüdische Zeugin, eine emigrierte Schülerin zu wählen, einen Brief von ihr vorzulegen, vorzulesen auch den "Spiegel"-Interviewern, in dem sie ihn lobt, nach 1945. Das ist so das klassische Argument, ich hatte viele jüdische Freunde und habe ihnen auch zum Teil geholfen. Also das war eigentlich seine Entlastungsstrategie in diesem Punkt.
Meyer: Aber seine antisemitische Haltung, die hat er abgestritten, verleugnet?
Hachmeister: Also er war sicher auf eine gewisse Weise Antisemit, aber man muss sagen, wie 70 Prozent seiner Professorenkollegen zu der Zeit, seiner bürgerlichen Professorenkollegen. Dieses Thema der Überfüllung von intellektuellen Berufen mit Juden war ein starkes Thema unter deutschen Konservativen und völkisch eingestellten Professoren, Gelehrten, und da war er nicht alleine.
Zum anderen liebte es Heidegger, sich in Zweideutigkeiten zu ergehen und sein ganzes Leben auch in der Einstellung zu Juden, zum jüdischen Geist ist komplett von Zweideutigkeiten geprägt. Wir alle wissen, dass Hannah Arendt in sehr jungen Jahren seine Geliebte war, seine jüdische Meisterschülerin, dass er ein Dutzend herausragender Gelehrter als jüdische Schüler hatte in Marburg und in Freiburg.
Andererseits beschwert er sich in einem Brief gegenüber seiner Frau: "Meine besten Schüler sind Juden, leider." Also diese Ambivalenz prägt eigentlich sein gesamtes Werk und seine Einstellung zum Jüdischen. Als harten Antisemiten würde ich ihn nicht bezeichnen im Vergleich mit vielen anderen.
Meyer: Aber er ist im April 1933, in diesem entscheidenden Jahr Rektor der Universität Freiburg geworden, er hat sich ja offen und aktiv dem nationalsozialistischen Regime angeschlossen, in die NSDAP eingetreten. Er hat auch öffentlich verkündet, Adolf Hitler sei die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz. Wie hat er das erklärt in dem "Spiegel"-Gespräch?
Der Philosophenkönig
Hachmeister: Er hat das immer so erklärt, dass seine Sorge dem Erhalt der bürgerlichen Universität im Dritten Reich galt. Und er hat gesagt, da musste man eine Zeit lang mit den Wölfen heulen, aber mein Ziel war, die nationalsozialistische Bewegung langsam zu läutern mit meinem geistigen Einfluss.
Er wollte so der Philosophenkönig des Dritten Reiches werden. Und er hat ja immer in sehr langen Zeiträumen gedacht. Man findet Äußerungen von ihm, "wenn der Führer einmal nicht mehr da ist", also an Hitler hat er schon geglaubt lange Zeit, also bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, dann muss es ja jemand geben, der dieses Volk weiter anleitet, und das kann nicht mehr durch politische Machtspiele geschehen, sondern durch eine sehr langfristige, geistige, hoch stehende Ausbildung unserer Eliten an Universitäten. Deshalb sind diese zu erhalten, und ich bin derjenige, der die Programmatik für diese Führernachwuchsausbildung entwirft. Das war sein Plan.
Meyer: Haben denn die "Spiegel"-Redakteure, die damals mit ihm gesprochen haben, unter anderem eben der "Spiegel"-Gründer, Rudolf Augstein, haben die das so hingenommen, diese Erklärung.
Hachmeister: Ja. Sie haben - Heidegger hatte sich sehr gut präpariert. Er hatte das Interview total unter Kontrolle. Er hat sich natürlich die Fragenstruktur vorher vorlegen lassen. Und die "Spiegel"-Leute haben ihn quasi mit Äußerungen wie "das ist schlagend, Herr Professor", das hört man eben auf dem Tonband, immer wieder bestärkt, weil sie wollten, dass dieser erste Teil, die Auseinandersetzung mit Heideggers NS-Engagement möglichst schnell abgehakt wird, damit man das im Kasten hat, und dann ging es zu einem zweiten Teil über, in dem sich das Gespräch so um Kybernetik, um das technische Schicksal des Menschen, um moderne Kunst, um die Rolle der Philosophie dreht. Und da wird es auch lebendiger.
Also dieser erste Teil ist ein reines Abhaken von Vorwürfen, die im Schwange waren gegen Heidegger, denen Heidegger dann begegnen kann, und die werden dann einfach so - also Heideggers Aussage wird dann einfach so akzeptiert, wie sie ist, ohne großes Nachfragen.
Meyer: Wir haben ja heute auch einen anderen Kenntnisstand über vieles, was Heidegger angeht und seine tatsächlichen Handlungen …
Hachmeister: Da möchte ich widersprechen. Das ist eigentlich das entscheidende Ergebnis dieser Recherche. Es gibt ein Buch von 1962, Guido Schneeberger, "Nachlese zu Heidegger", ein Schweizer Publizist und Jaspers-Schüler, der das im Privatverlag verlegt hat. Und alles, was wir heute gegen Heidegger anführen, ist in diesem Buch von 1962, und der "Spiegel" kannte das Buch. Das heißt, die Interviewer …
Meyer: Das heißt also, sie hätten die gleiche Grundlage gehabt wie wir heute?
Angst, dass Heidegger aufsteht
Hachmeister: Wie heute, genau. Die hätten schärfer fragen können, sie hätten auch wissen können, dass Heidegger - also der "Spiegel" hat ja durchaus auch umfangreiche Vorrecherchen betrieben. Man hat so mit einem Dutzend von Heidegger-Schülern gesprochen im Vorfeld, und man wusste, dass Heidegger schon 1931 zusammen mit seiner Frau deutliche Sympathien für die völkische Bewegung und für Hitler hegte. Danach wurde nicht gefragt, obwohl es die "Spiegel"-Interviewer wussten. Sie hatten einfach Angst, dass Heidegger aufsteht, das Interview abbricht und sagt, in diese Richtung soll es nicht gehen, danke, meine Herren.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister über sein Buch "Heideggers Testament. Der Philosoph, der SPIEGEL und die SS". Was Sie gerade gesagt haben, könnte ein Grund sein für die Sanftheit, manche sagen auch Devotheit dieser "Spiegel"-Redakteure Heidegger gegenüber, und den Fragen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit.
Sie legen aber auch noch eine andere Spur in Ihrem Buch. Die SS steckt ja schon im Titel, und das bezieht sich auf die Rolle des "Spiegel"-Redakteurs Georg Wolff. Er war bei dem Gespräch dabei als einer der beiden Interviewer, und er war SS-Mitglied. Wollen Sie sagen, er hat Heidegger praktisch geschont wegen seiner eigenen Vergangenheit?
Hachmeister: Das wäre zu steil interpretiert. Aber er konnte aufgrund seiner - er war ja nicht nur Mitglied, er war Hauptsturmführer in Norwegen, er war ein SD-Offizier, relativ hochrangig.
Er war der deutsche Spezialist für Verhältnisse im besetzten Norwegen, stieg dann gegen Kriegsende auch noch auf zum Abteilungsleiter in Oslo. So jemand kann nicht unbefangen fragen nach der NS-Bewegung. Mit dem Hintergrund, den er hat. Auf dem Tonband hört man auch, er fragt einmal: Ich weiß ja aus bestimmten Quellen, dass Sie vom SD überwacht wurden.
Also insofern thematisiert er damit seine eigene Vergangenheit, und man kann sich denken, was das für Quellen sind, nämlich seine alten Kumpane aus dem Dritten Reich, und man sieht, dass da so eine klandestine, kodierte Gesprächsebene entsteht, wo nicht jemand besonders harte Fragen nach dem Verhältnis zum Nationalsozialismus stellen kann. Das ist einfach so.
Meyer: Aber wie kommt es überhaupt zu dieser Konstellation. Man hat Rudolf Augstein, der den "Spiegel" zum Sturmgeschütz der Demokratie, ja damals das Schlagwort, gemacht hat. Es gab die "Spiegel"-Skandale in der Zeit davor, wo der "Spiegel" auch diese Rolle tatsächlich wahrgenommen hat. Und er geht zu diesem Heidegger-Interview, zu dieser Thematik, und nimmt einen ehemaligen SD-Mann dazu mit. Wie kommt es dazu?
Chuzpe und Unbefangenheit
Hachmeister: Man könnte so von Chuzpe und Unbefangenheit sprechen. Ich glaube, er hat sich da keine großen Gedanken darüber gemacht. Der Wolff war damals Ressortleiter Geisteswissenschaften. Er sollte sogar einmal Chefredakteur des "Spiegel" werden, das ist auch an seiner Vergangenheit gescheitert. Und er hat sich gedacht, da nehme ich natürlich meinen Spezialisten für Geisteswissenschaften mit, der unter anderem ja auch Interviews mit Adorno, Horkheimer, Assad vorbereitet und geführt hat.
Ich glaube, da war er einfach nonchalant und hat gedacht, das ist halt mein Spezialist, und seine Vergangenheit ist die Vergangenheit, also ist der der richtige Mann für dieses Thema. Außerdem war der Wolf sehr fleißig. Er hat viel geschrieben, er konnte schnell arbeiten, also insofern war er da der gute Begleiter für Augstein.
Meyer: Rudolf Augstein, der Heidegger hier so relativ zahm begegnet ist, der hat den Philosophen dann Jahre später regelrecht beschimpft als Mystagogen, als deutschtümelnden Priesterpropheten und so weiter. Wie kam es dann zu dieser ganz anderen Sicht später, Augsteins auf Heidegger?
Hachmeister: Es gab ja dann zwei neuere Bücher, eines von Pierre Bourdieu und eines von Viktor Farias, und der Farias geht eigentlich nicht sehr über dieses erwähnte Buch von Guido Schneeberger hinaus, aber das Farias-Buch hat damals eine ungeheuer wuchtige Wirkung in Frankreich gehabt, wo der Heidegger-Einfluss ja noch viel stärker ist als hier in Deutschland.
Und Augstein hat das gelesen, und ich glaube, es kam ihm zum ersten Mal klar zu Bewusstsein, wem er da aufgesessen war und dass er auch ausgetrickst worden ist von Heidegger mit seinen Ausflüchten. Und da kommt vielleicht so eine verspätete Einsicht, wir haben das damals doch nicht besonders gut gemacht, zum Ausdruck, und in so einer Übersprungsreaktion prügelt er dann ordentlich auf Heidegger verspätet ein.
Meyer: Das Original, das Interview selbst und die Umstände rund herum sind aufgearbeitet in Lutz Hachmeisters Buch "Heideggers Testament. Der Philosoph, der SPIEGEL und die SS", erschienen im Propyläen-Verlag, mit 370 Seiten, für 23 Euro kriegen Sie dieses Buch.
Herr Hachmeister, vielen Dank für den Besuch bei uns!
Hachmeister: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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