Dea Lohers "Gaunerstück"

Ausbrechen aus Armut und Einsamkeit

Die Schauspieler Fanta Sorel als Maria und Miquel de Jong als Jesus Maria spielen am 13.01.2015 in Berlin bei der Probe zu dem Stück "Gaunerstück" am Deutschen Theater. Uraufführung des Theaterstücks von Dea Loher war am 15. Januar in den Kammerspielen des DT.
Die Schauspieler Fanta Sorel als Maria und Miquel de Jong als Jesus Maria in Dea Lohers "Gaunerstück" nach ihrem Überfall auf ein Juweliergeschäft © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Michael Laages · 15.01.2015
In ihrem "Gaunerstück" erzählt die renommierte Dramatikerin Dea Loher die Geschichte von Zwillingen, denen jeder Halt im Leben fehlt. Ihre Suche nach Liebe und Glück hat Alize Zandwjk am Deutschen Theater Berlin inszeniert - ein starkes Stück.
Ein kleiner Witz zu Beginn: Als die Geschwister geboren wurden, kam zuerst das Mädchen: "Maria!", jubelte der spanische Vater. Dann, acht Minuten später, purzelte auch noch der Zwillingsbruder hinterdrein. Und Papa schrie: "Jesus Maria!" So heißen sie nun: Maria und Jesus Maria. Der Vater suchte lange schon wieder das Weite, die Mutter verkam in Pillenmissbrauch und Suff. Die Zwillinge haben sie aufgegeben, sie dem Schicksal überlassen ... sie als Kellnerin, er meist ohne Job, träumen sie sich aus dem Prekariat heraus. Wie es wäre, ein Juweliergeschäft zu überfallen – das ist ihr halbherzig verfolgter Plan.
Juwelier schlägt Überfall vor und stirbt
Maria klaut versuchsweise einen goldenen Ring, wird aber beobachtet vom Juwelier und hat von nun derart große Angst aufzugliegen, dass der Plan beiseitegelegt wird. Dann aber kommt Herr Wunder, so heißt der Juwelier, und macht ein Angebot. Er würde gern den Job aufgeben, geplagt von Überdruss an Ware und Kundschaft. Ob die Geschwister ihn nicht überfallen könnten, gegen Honorar? Er wäre zufrieden mit Ware und Versicherung. Doch dann stirbt er beim Überfall, und die Geschwister sitzen da mit zwei Taschen voller Gold. In Antwerpen wollen sie die Sore verkaufen. Gut gehen muss das nicht.
Die kleine, in Maßen vertrackte Geschichte wächst sich in Dea Lohers neuem "Gaunerstück" natürlich schnell aus zur großen Suche nach dem kleinen Glück; oder umgekehrt. Lange erzählen die Geschwister von der toten Mutter, immer wieder ziehen sie weiße Laken aus der Waschmaschine – Mama war Wäscherin kurz vor dem Tod im Delirium. Und die Kinder werden das Gefühl nicht los, sich selber aufgegeben zu haben, als sie die Mutter aufgaben, die der verständnislosen Welt die Klage vom Mangel an Liebe entgegen schrie.
Erheiternde Nachbarn
Immer wieder bringen die Begegnungen mit den skurrilen Nachbarn Verwirrung ins Leben von Maria und Jesus Maria – "Porno-Otto" eine Etage drunter hat lebenslang privat Porno-Filmchen gedreht, aber vielleicht hat er auch wirklich etwas verstanden von Liebe und Zärtlichkeit. "Madame Bonafide", ein rätselhaftes Mannweib, ist Wahrsager(-in), wohnt nebenan und erzählt eines dieser Loher-typisch knappen Gleichnisse: Wir alle lebten doch im Aquarium, sagt Bonafide. Und wie die Fische könnten wir zwar immer schwimmen, wohin wir wollten. Aber es sei halt immer derselbe Kubikmeter Wasser, und dann kommt die Glaswand. "Raus aus dem Aquarium und Vogel werden – is' schwierig." Genau das aber ist das Ziel der Zwillinge, auch wenn der Bruder nur finstre Haneke-Filme anschaut und die Schwester nach dem Kellnern auch mal stundenlang in den Kühlschrank starren kann.
Zwillinge sind deutsch und niederländisch besetzt
Loher zeichnet Theater-Personal wie niemand sonst es kann. Und die Rotterdamer Regisseurin Alize Zandwijk, die am dortigen Ro-Theater über Jahre hin fast alle Loher-Stücke inszeniert hat (wie Andreas Kriegenburg in Deutschlsnd), erweitert Lohers Spektrum noch - aus ganz praktischen Gründen. Ihre Zwillinge sind doppelt besetzt, deutsch-niederländisch – das erleichtert zum einen die Präsentation des Stückes beim Koproduzenten in Rotterdam.
Aber Judith Hofmann und Hans Löw gewinnen mit Miquel de Jong und der ganz fabelhaften Fania Sorel obendrein einen starken Bezugsrahmen hinzu – was die doppelten Zwillinge tun, ist immer auch Teil einer Art von innerer Diskussion. Manchmal macht sich diese innere Verstörung Luft in getanzten Szenen, manchmal inszeniert Zandwijk sehr lange Pausen ... nur Dea Loher schreibt Pausen wie Ödön von Horvath.
Skurrile Bühnenwelt von Thomas Rupert
Und dabei hat das "Gaunerstück" auch (wie der Titel ahnen lässt) eine Menge komödiantischer Momente; nicht zuletzt durch den enorm vielseitigen Musiker Beppe Costa aus Zandwijks Rotterdamer Ensemble als knuffiger "Porno-Otto" und durch Elias Arens, der (kaum zu merken!) Wahrsagerin und Juwelier im Wechsel spielt.
Skurril bleibt die Welt in Thomas Rupert schäbigem Bühnenbild, mit blätterndem Putz, Waschmaschine und Kühlschrank, Waschbecken und Uralt-Fernseher sowie zwei Matratzenbergen. Und selbst in tiefster gedanklicher Finsternis durchzieht auch diesen Loher-Text wieder jenes Maß an fundamentaler Menschenliebe, die das Werk der Autorin so besonders macht.
Und es mag vielleicht sein, dass das "Gaunerstück" nicht Lohers allerstärkster Text ist – aber auch in diesem Moment des Schaffens ist der wichtigsten deutschen Dramatikerin wieder ein starkes Stück gelungen. Mit Alize Zandwijk, die auch schon mit dem Bremer Theater kooperierte und nächstes Jahr ganz nach Bremen wechseln wird, hat Dea Loher noch eine starke Partnerin.
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