DDR-Heimkinder

Gequält, gedemütigt, stigmatisiert

Eine Informationstafel mit der Aufschrift "Geschlossene Unterbringung" steht am 14.09.2013 neben dem Gebäude des ehemaligen Jugendwerkhofes und der heutigen "Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof" in Torgau (Sachsen).
Eine Gedenkstätte in Torgau erinnert an das Schicksal der DDR-Heimkinder. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Susanne Arlt  · 26.09.2014
Etwa 400.000 Ostdeutsche haben aus verschiedenen Gründen in DDR-Heimen leben müssen. Ein Teil von ihnen wurde grausam drangsaliert und leidet bis heute unter dem erlittenen Unrecht.
In der Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige DDR-Heimkinder in Berlin-Friedenau steht das Telefon im Moment nur selten still. Die Anmeldefrist läuft ab. Nur noch bis Ende September können sich Betroffene melden, um Hilfsleistungen für ihr damals erlittenes Unrecht in Anspruch zu nehmen. Peter Fräßdorf erklärt jedem Anrufer geduldig, welche Dokumente er benötigt, damit ein Antrag erfolgreich bearbeitet werden kann. Anspruch auf die entschädigungsähnlichen Leistungen hat jeder, der bis heute unter den Folgen aus seiner Heimzeit in der DDR leidet.
Vor gut zwei Jahren wurde der Hilfsfonds für die ehemaligen DDR-Heimkinder eingerichtet. Er stellt Therapien, Sachentschädigungen und Rentenersatzleistungen bereit. Knapp 4000 Betroffene haben sich bislang in Berlin gemeldet und täglich werden es mehr. Die meisten sind zwischen 50 und 80 Jahre alt.
"Jetzt ist natürlich das Problem, wir haben jetzt schon etliche Neuaufnahmen, es wird sich also etwas hinziehen noch."
Peter Fräßdorf arbeitet ehrenamtlich in der Beratungsstelle und ist selber Betroffener. Seine Mutter war in den Westen geflüchtet und sein Vater kehrte aus dem Krieg nicht zurück. Mit zehn Jahren kam er darum in ein Kinderheim in Birkenwerder. Gute Erinnerungen habe er an diese Zeit nicht, sagt der 71-Jährige:
Ohne Essen in den Keller gesperrt
"Wenn es also nicht nach Befehlen der Erzieher oder Erzieherinnen ging, dann wurde man bestraft. Ich hatte zum Beispiel mal eine Situation, da habe ich dann abends auch kein Essen bekommen oder ich wurde dann auch mal stundenweise in den Keller gesperrt bei Wasser und Brot. Und untereinander haben die Kinder sich dann auch Dinge ausgedacht, die man heute eigentlich nicht machen würde. Zum Beispiel in eine Badewanne stecken, kalt Wasser rein lassen, ich wurde auch von anderen Kindern gequält und untereinander war auch viel Hass."
Eine beliebte Methode der Erzieher sei die Kollektivstrafe gewesen. Im Anschluss habe sich die Gruppe natürlich dann an diesem Kind gerächt, das aus Sicht der Erzieher etwas falsch gemacht hatte, erinnert sich Peter Fräßdorf. In seinen Beratungsgesprächen habe er von noch weitaus schlimmeren Fällen gehört. Kindern und Jugendliche seien von ihren Erzieherinnen und Erziehern sexuell genötigt worden. In Alt-Stralau habe es ein Heim mit Isolationshaft gegeben. Die Kinder hätten dort im Dunkeln ohne ein Bett ausharren müssen, ärgert sich Peter Fräßdorf. Doch auch sein Leben im Heim sei nicht immer leicht gewesen. Mit zwölf Jahren musste er anfangen zu arbeiten. Bei Minustemperaturen hob er Gräben für die Verlegung von Elektrokabeln aus. Er reinigte Autobahnplanken oder half bei der Ernte in Schwante und Werder mit. Anerkennung für seine geleistete Arbeit habe er von den Erzieherinnen und Erzieher nie bekommen.
"Oder zumindest mal ein vernünftiges Wort oder lobendes Wort. Das habe ich eigentlich auch nie erfahren. Man hat es verdrängt, man möchte nicht mehr so groß darüber reden."
Gefühl von Minderwertigkeit
Seiner Familie hat er von seinen Heim-Erfahrungen erst erzählt, als er den Antrag auf Unterstützung gestellt hat. Aus Scham erzählten viele Betroffenen ihren Angehörigen und Freunden nichts, sagt Petra Schwarzer, Leiterin der Berliner Beratungsstelle. Denn bis heute würden sie unter den Stigmatisierungsfolgen leiden:
"Die meisten fühlen sich einfach minderwertig. Dass sie nicht gut genug sind. Gleichzeitig ist der Konflikt da, dass sie schon denken, na ja, wahrscheinlich gibt es schon einen Grund, warum ich ins Heim gekommen bin. Warum mir auch immer wieder unterstellt wird, dass ich schlechter bin als die anderen Kinder. Sie haben nicht die Zuwendung bekommen, die eigentlich notwendig war, sondern sind eher dafür bestraft worden, dass sie überhaupt ins Heim gekommen sind. Für die ist das wirklich so ein Schandfleck, den sie an sich da tragen, klar können die mental das unterscheiden, aber das Gefühl dazu ist immer wieder präsent."
Die Gelder aus dem DDR-Hilfsfonds sollen die Folgeschäden abmildern. Doch tilgen können sie diese Erinnerungen nicht, meint Peter Fräßdorf.
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