DDR

Die Bunkersymphonie

Die Besitzerin des Bunkerareals, Kathleen Höhn und einer ihrer Mitarbeiter in NVA-Uniform.
Die Besitzerin des Bunkerareals, Kathleen Höhn und einer ihrer Mitarbeiter in NVA-Uniform. © Heiner Kiesel
Von Heimer Kiesel · 10.08.2014
Für gut 100 Euro kann man am Rennsteig im Thüringer Wald erleben, wie das DDR-Kasernenleben war. Unser Autor Heimer Kiesel hat an der Tour durch den ehemaligen Stasibunker teilgenommen - als einziger "Wessi" in einer Gruppe von "Ossis".
Olaf Lehmann: "So Genossen und Genossinen, ich begrüße und beglückwünsche Sie zu ihrer Abkommandierung an die Ausweich- und Befehlsbunkeranlage der Bezirkseinsatzleitung Suhl. Wir werden jetzt den Marsch zur Dienststelle antreten. Rechts um! Ohne Tritt marsch!"
Kiesel: "Aha wir sind jetzt also Genossen. Neun Leute in ausgewaschenen NVA-Uniformen - zwei Frauen. Alle hinter dem Feldwebel Olaf Lehmann her. Die Uniformen passen bei den meisten schlecht. Hier und da spannt es über dem Bauch. Die Uniform die riecht nach Weichspüler. Unter kapitalen Tannen durch, es ist ja hier der Thüringer Wald, hoch zu einem Stahltor. Hinter dem ein Soldat steht. Eine Zeitreise soll das sein. 25 Jahre nach dem Mauerfall. Ein Objekt der Staatssicherheit, ein Bunker, der hier auf dem Roten Berg bei Frauenwald in den Boden eingegraben worden ist, um diesen Bezirk zu überwachen und zu sichern. Ein Lagerhaus ist auf einem Erdhügel drauf , durch das Tor geht’s durch."
Lehmann: "Links um! So Genossen noch eine kurze Information, hauptsächlich für die Genossen, die nachher noch auf Wache gehen müssen. Es gibt für dieses Objekt eine Parole. Diese Parole für heute [ist] Trachtenfest!"
Zum gemütlichen Wochenend-NVA-Feldwebel Lehmann, stellt sich ein hager, ernst kuckender Uniformierter. Grauer Stoppelschnitt. Martialisch mit Pistolenholster an der Seite. OvD Marko, Offizier vom Dienst im Museumsbunker.
Lehmann:"Genosse Major, die Verstärkung der Bunkermannschaft... (Marko: Hauptmann!) Genosse Hauptmann, Entschuldigung."
Marko: Guten Abend Genossinnen und Genossen. Hat jemand eine Taschenlampe dabei (Ja), dann bitte rausholen, das Bauwerk ist dunkel, das müssen wir noch aktivieren. Dann werden wir das Objekt jetzt betreten, aktivieren, ne, Stillgestanden, rechts um, ohne Tritt marsch!
Niedrige Gänge und acht Grad
Kiesel: "Jetzt gehen wir da rein. Es ist eine Stahltür unter einem Dach, das mit Dachpappe abgedichtet ist. Es ist absolut dunkel da drin. Die ersten Taschenlampen gehen an. Im schwachen Schein sieht man, dass die Wände weiß gekalkt sind. Noch eine Stahltür. Ein Bierkasten. Vorsicht Stufe. Noch eine Stahltür. "
Silvio:"Acht Grad Temperatur"
Kiesel: "Da war ein kleines Thermostat an der Wand angehängt. Noch 'ne Stahltür, rechts geht eine Treppe nach oben. Die Gänge sind niedrig, ich stoße fast an. Jetzt gibt es eine kleine Stockung. Oh, da hat ein Licht geblinkt."
Marko: "Für die nächsten 14 Tage ist das ihre Unterkunft."
Neonlicht flackert auf. Marko an einem Schaltkasten. Vor einem Seitenstollen stoppt die Gruppe. Aufenthaltsraum, Klos. 14 Tage? Ein Scherz, klar, aber Markos Mine sieht man das nicht an. Er zieht eine weiße Stahltür auf.
Marko:"Schlafgelegenheiten, da haben wir ein bisschen was vorbereitet. Keine Angst es sind nicht mehr alle Betten drin, damit es etwas gemütlicher wird."
Marko:"Vorschlag zur Güte: Unterkunft beziehen - nu husch rein ins Körbchen."
Kiesel: "Jetzt geht es in die Schlafgemächer. Ogottogott, das ist ja ein total enger Gang hier und diese Betten hier, Stahlkonstruktionen, da passt man ja nicht mal längs drauf. Man bleibt hängen, stößt an überall."
Marko: "Habt ihr euch aufgeteilt. Da ist noch einer draußen, der muss auch noch sein Bett beziehen. Kuckt einmal nach hinten, dass ihr das seitlich ordentlich kriegt. (Gerd: Ist denn hinten noch was frei?). Müssten eigentlich, ich habe 14 Betten vorbereitet."
Andy: "Unser Spion aus dem (Silvio) kapitalistischen Ausland."
Kiesel: "Ich habe das letzte Bett in der Reihe, ganz hinten in der Ecke, das ist schon beklemmend eng zwischen den Stockbetten. Bettwäsche blauweiß, Bettlaken weiß, kleines Handtuch ist auch dabei. Jetzt sind schon alle fertig und warten wie es weitergeht."
Marko: "Wir machen ganze Abteilung kehrt und gehen wieder zum Ausgang zurück."
Für jeden eine Aufgabe
Wieder durch die Gänge. Ein Irrgarten, aber Marko geht vor. Dann hinaus ins trübe Abendlicht. Lehmann, Feldwebel Lehmann, lässt die Strichtarn-Truppe antreten. Die beiden Frauen werden abkommandiert zur Kartoffelsalat-Produktion. Marko schleppt einen Grill an. Lehmann sorgt für die Animation vor dem Abendessen. Er grinst. Er hat Spaß an seinem Trachtenfest im Nieselregen. Mit der Rechten schwenkt er rote Armbinden.
Lehmann: "Folgende Aufgabe: Sie werden das Objekt bewachen, dazu gibt es ein niedliches Kennzeichen."
Lehmann: "So, Gruppe Stillgestanden, Links um, ohne Tritt Marsch."
Die Gruppe wird aufgeteilt. Links und rechts vom Tor, dann am Zaun in den Wald hinein. Aber nicht vergessen:
Lehmann: "Das Passwort haben Sie behalten? (Gerd: Trachten... Trachten... Trachten... Trachtenkleidung! Uwe: Nee, Drachenflieger. Gerd: Trachtenfest) Eingelassen werden nur Personen, die das Kennwort haben, beziehungsweise Fahrzeuge mit Blaulicht. Posten übernehmen!"
Gehorsam übernehmen alle. Stehen im Regen und starren nach außen. Jeder muss ran.
O-Ton Lehmann: "Der Genosse mit dem Mikrofon (Kiesel: Das bin ich, der Genosse mit dem Mikrofon, ich soll jetzt da hingehen) Andy: Halt Parole!!! (Trachtenfest) Lehmann: So! Ihnen verbrate ich jetzt den letzten Postenbereich: Von diesem Zaunpfahl bis zum Band, Streifenposten immer schön am Zaun lang. Sicherungsrichtung nach außen."
Andy: "Ich muss melden, wir haben einen Spion unter uns, aus dem kapitalistischen Ausland!"
Motivation: Nostalgie
Ordentlich sinnlos, so wie man sich das immer vorgestellt hat. Dafür braucht´s eigentlich keine Zeitreise. Für 109 Euro, all inclusive, gebucht im Waldhotel. Acht Gäste. Bodenständige Leute, Handwerker. Warum tut man sich das an. Uniformen, halbgarer Kommandoton. Stehen im Regen. Rechts wacht Jörg, untersetzt, kräftig zwischen zwei Tannen.
Jörg: "Wir haben das geschenkt bekommen, mit meinem Kumpel zusammen von unseren Kindern. ((OTH: Warum machen die Kinder sowas?)) Nostalgie..., das ist einfach, weil man viel von früher erzählt hat und da haben die sich gedacht, die müssten wir mal hinschicken, damit sie nochmal ihre Gedanken von früher erfrischen."
Bisschen komisch wieder die Uniform anzuhaben, sagt er. Er ist so um die 50 und hat wie alle anderen in der Gruppe - Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee geleistet. Und fast alle leisten sozusagen heute Nacht ein Geschenk von ihren Kindern ab. Erinnerungen auffrischen.
Lehmann winkt vom Bunker her. Wache spielen ist vorbei. Wird auch Zeit, es regnet immer ärger. Die uniformierten Gäste des DDR-Zeitreise-Events gehen wieder hoch.
Zum Abendbrot: Steaks und selbstgemachter Kartoffelsalat
Nächster Programmpunkt: Steaks vom Grill mit Kartoffelsalat von Marlies und Angela. Bierflaschen werden gelüpft.
Marlies: "Die Kartoffeln habe ich alle kleingekriegt."
Über das Rezept wird nicht geredet. Aber vom Leben in der DDR. Lehmann, der hier wie Marko ehrenamtlich in der Uniform steckt, war früher im Wachregiment der Stasi, Feliks Dzierzynski. Hier wacht er über das Geschichtsbild einer untergegangenen Heimat.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein Wegweiser zum Bunkermuseum am Rennsteig im Thüringer Wald© Heiner Kiesel
Lehmann: "Wir haben uns eigentlich auf die Fahnen geschrieben, die Geschichte so darzustellen, wie sie war. Wertungsfrei, das möchte ich betonen, nicht wie uns immer nachgesagt wird, dass wir uns als ewig Gestrige an irgendetwas klammern würden, sondern wir sind bemüht, um ein realistisches Geschichtsbild, was von diesem Staat unserer Meinung nach nicht gewollt ist."
Das ist für den Genossen Spion mit dem Mikrofon, dem einzigen "Wessi" an diesem Abend, natürlich spannend.
Lehmann: "Na dieses ganze Gerede, oder solche Sprüche, wie wir hatten ja nichts in der DDR. Ich bin in der DDR groß geworden. Ich habe nicht gehungert, ich habe nicht gefroren. Gut, wir konnten nicht überall hin. Aber das kann ich heute auch nicht. Früher durfte ich es nicht und heute kann ich es nicht, weil ich das Geld nicht habe."
Erinnern an die guten Dinge
Lehmann holt sich noch ein Steak vom Grill. Die anderen tauschen sich inzwischen aus über ihren Wehrdienst vor 25 oder 30 Jahren.
Uwe/Gerd:"Wir waren direkt in Cottbus drinnen...Nee Drewitz, Nee Cottbus..."
Und erinnern sich zwischen den Fleischhappen an die gute alte Makarov-Pistole und die unverwüstliche Kalaschnikow.
Andy:"Ruski tot in seinem Loch, Kalaschnikow schießt immer noch."
Und die Späße beim Wehrdienst. Schnaps in der Wurstkonserve. Rauchgranatenjux mit Offizieren. Kameradenquälen. Der Genosse mit dem Mikrofon wird ab und zu als Feind aus dem kapitalistischen Ausland geneckt.
Uwe: "Du machst einen Fehler, du musst erst essen und dann das Mikrofon anmachen."
Noch ein, zwei Bier, dann wird zusammengeräumt und gleich soll es wieder in den Bunker gehen. Er hat seine Geheimnisse noch nicht preisgegeben. Vielleicht ist es an der Zeit, Marko nach dem museumspädagogischen Konzept zu fragen.
Kiesel: "Was willst du den Leuten mitgeben, wenn die rauskommen, was für ein Gefühl sollen die haben? (Marko) Die sollen nachdenken, sollen die, einfach nur nach...denken. Einfach wenn man sich ein Schutzbauwerk ansieht, wie weit es gehen kann und das gedanklich dann weiter fortsetzen, wie es enden wird. (Kiesel) Das ist ja praktisch ein pazifistisches Vorhaben. (Marko) Nein, neinein, neinnein. Das ist halt Geschichtsunterricht live."
Sicherheitstraining mit Gasmaske
Er schaut ungeduldig auf die Uhr. Pause zu Ende.
Marko: "Was ist denn , wollt ihr eine Extraeinladung haben. Beeilung ihr beiden!"
Vor die ausführliche Tour wird allerdings noch ein Sicherheitstraining gepackt. Das ist ja laut Prospekt ein Reality-Erlebnis. Lehmann tritt auf die Gruppe zu. Grinst gemein.
Lehmann: "Alles hört auf mein Kommando: Gas!!! Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht..., ein Toter."
Hektisch greifen die Bunkergäste an ihre Seitentaschen und nesteln graue Gasmasken heraus.
Lehmann:"Ach seid ihr alle hübsch! Entwarnung!"
Noch härter als der vergeigte Gasmaskentest wird Lehmanns Bericht über das Brauchtum der Nationalen Volksarmee. Die anderen kennen die Geschichte.
Lehmann: "Wenn Staubsauger angesagt war, das war so ein Spielchen bei der NVA (Uwe: Das kennste nicht, das machen wir nachher) Da wurde dem Delinquenten die Schutzmaske übergezogen, dann wurde vorne der Schlauch zugehalten, bis der Kollege unter der Maske eine leichte Verfärbung im Gesicht bekam, dann hielt man den Schlauch über den Aschenbecher und machte den Schlauch schlagartig auf. (Silvio?: Der Aschenbecher war leer!) Wenn der Mensch ordentlich Luft holte, dann hatte man einen leeren Aschenbecher und der Kollege einen bösartigsten Hustenanfall."
Ein Glück, dass das vorbei ist. Die Übung, die NVA. Die Bunkerbesichtigung, als Gute-Nacht-Geschichte angepriesen, geht erst los.
Überall Utensilien einer untergegangenen Welt
Lehmann: "Zum Trinken kommen wir nachher noch. Ich übergebe Sie jetzt dem Genossen Hauptmann. Er wird jetzt eine ausführliche Einweisung ins Objekt geben. Genosse Hauptmann walten sie ihres Amtes."
Durch die Gänge, vorbei am Aufenthaltsbereich immer tiefer in den Hügel. Dekontaminationduschen. Gänge links, Gänge rechts .Kälte, abgestandene Luft. Nach einer Weile weiß keiner mehr, wie er wieder rauskommt. Überall Utensilien aus der DDR. Hier hat sich eine Welt verschanzt, die doch vor 25 Jahren untergegangen ist. Konserven, Erika-Schreibmaschinen, Robotron-Rechner, ein Karl-Marx-Knüpfteppich. So wie die Lichter in dem alten Bunker angehen, werden alte Erinnerungen bei den Gästen aktiviert. Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker lächelt milde aus einem Bilderrahmen im Lagebesprechungsraum herab. Neben anderen.
Marlies: "Das weiß ich doch nicht. Wer ist denn das Gatte? / Andy: Das sieht aus wie Thälmann. / Gerd: Nee, ist das nicht hier, ist das nicht hier Grot... und Pieck? / Marko: Der Chef von der KPdSU [!] mit seinem Stellvertreter Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck!"
Marko zieht die Augenbrauen hoch. Dann baut er sich vor der verblichenen DDR-Prominenz auf.
Marko: "Stoi Kameraden, hier spielt die Musik"
Er streckt den Rücken. Das Wesentliche:
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Ein Raum im Stasibunker am Rennsteig.© Heiner Kiesel
Marko: "Ja, was das Bauwerk betrifft: Aufgebaut ist es auf einer Grundfläche von 3600 m². Nutzfläche haben wir circa 2700 m². Ausgelegt im Kriegsernstfall für 130 Personen als Nachrichtenbefehlsbunker Staatssicherheit der SED-Bezirksleitung des damaligen Bezirks Suhl. Erbaut haben sie ihn von 1973-1976."
Der Clou: Der Komplex wurde damals gleichzeitig mit einer Großbaustelle der Wasserwirtschaft aufgezogen. Zur Tarnung. Obendrauf steht noch eine unscheinbare Maschinenhalle. Dichte Wälder drumherum.
Marko: "Hotel mit Bunkerareal, was jetzt in Privathand ist, umfasst eine Größe von 45.000 m². Reicht aus - ich sage immer: schöner Spielplatz! Kann man in unserem Garten auch mit dem Panzer fahren."
Ein Spielplatz für Nostalgiker
Und jetzt, getarnt durch die Bezeichnung als Museum, kümmert sich seine Gruppe von Militaria-Freunden und Modellbauern um den Bunker und seinen Inhalt. Seit 2006 geht das so. Markos Augen leuchten, hier drinnen fühlt er sich wohl. Das Hotel, zu dessen Anlage das Betonungetüm gehört, freut sich über die Einnahmen und die PR. Marko und seine Freunde haben Platz zum Spielen. Weiter durch die niedrigen Gänge. Krankenstation, Kommunikationszentrale. Alle trotten hinter dem Museumshauptmann her. Eigentlich bedrückend alles - naja, für den Westgenossen mit dem Mikrofon. Aber die anderen bleiben cool beim Trachtenfest.
Andy: "Wie es für uns ist? Interessant, in einem Bunker war man ja noch nicht, hat man ja noch nie gesehen."
Marko: "Nicht stoßen, weil das ist keine rote Farbe, sondern Blutflecken (haha)."
Kiesel: "Jörg, was nimmst du jetzt mit von diesem Rundgang. (Jörg) Ja das kannte ich ja schon. Auffrischung, Auffrischung von dem was vor 25, 30 Jahren schon mal war. (Kiesel) Wofür ist die wichtig, die Auffrischung. (Jörg) Das weiß ich jetzt auch nicht, was ich darauf antworten soll."
Irgendwann stehen alle vor einer Treppe, die nach oben führt.
Marko: "Da gehen wir jetzt mal hin. Kiese: Wo gehen wir hin, Silvio in die Halle..."
Eine geräumige Lagerhalle. Neonlicht. Eine Wand voller Bilder. Dabei wieder Honecker, Egon Krenz und eine Menge - wahrscheinlich - Stasi-Generäle. Die hintere Hälfte ist zugestellt mit schweren Militärfahrzeugen, ein Krankenwagen steht auch dabei. Alles Spielzeug der Militär-Sammler. Weiter vorne steht wieder ein Typ in Uniform. Den hab' ich bisher noch nicht gesehen. Er kramt auf einem Tisch rum. Da liegen... doch echt.
Waffenshow und kundige Zuhörer
Marko: "So bis zum Hans-Peter Schmidt, dann stehenbleiben. Dann setzt der Genosse Oberfeldwebel die Gutenachtgeschichte mit euch dann fort. In Form einer kleinen technischen Einweisung in verschiedene technische Gerätschaften für den sogenannten Nachbarschaftsstreit."
Oberleutnant Schmidt. Der Tisch vor ihm ist voller Waffen. Neugierig bildet sich ein Halbkreis davor. Ein Maschinengewehrlauf starrt der Gruppe entgegen.
Zain: "Ich habe Ihnen mal ein paar Waffen aus verschiedenen Zeiträumen mitgebracht. Hier haben wir die PPS 43 mitgebracht, aus dem 2. Weltkrieg, die verschießt die Tokarev-Munition, 30 Schuss im Magazin. Die nächste Entwicklung. Kalaschnikow. Ich höre es. Jeder kennt sie, überall ist sie im Einsatz. Die AK47. 30-Schuss-Magazin, 7.62 Kaliber. Simpel einfach, und hat den Vorteil, wenn Sie ihr gegenüber erschossen haben, können sie ohne Probleme seine Munitionstasche benutzen, weil er hatte sowieso die gleiche. Bietet gewisse Vorteile."
Schmidt packt, lädt, entsichert, erklärt. Seine männlichen Zuhörer zeigen, dass sie auch was davon verstehen. Schmidts Vortrag über die tödlichen Sammlerstücke ist gespickt mit launigen Bemerkungen.
Zain: "Das kenne ich anders. Was passiert, wenn man eine Handgranate in die Küche schmeißt? Das Chaos ist dasselbe, aber das Gemecker ist weg. Hat einen Splitterradius von 200 Metern."
Schmidt legt die Granate wieder auf den Tisch.
Zain: "So das war's. (Silvio: Wir klatschen jetzt nicht) Muss nicht sein, das ist alles ganz empfindlich gegen Erschütterungen."
Die Gruppe verteilt sich in der Halle. Schmidt packt seine Waffen zusammen. Eigentlich will er ja warnen, vor den gefährlichen Waffen. Aber den Gästen soll es ja auch Spaß machen. Der finstere Bunker, die Waffen, die Vergangenheit zum Anfassen. Das geht auch wertfrei.
Zain: "Es ist ja ganz einfach so, man sollte die Berührungsängste ein bisschen nehmen. Die Waffen sind demilitarisiert, sie sind nicht mehr gefährlich. Und im Prinzip - die Leute buchen hier eine Veranstaltung und sie sollten eigentlich nicht total betrübt, bedrückt Heim gehen und irgendwie Zukunftsängste haben. Deswegen sollte man die Sache ein bisschen auflockern. Krieg ist kein Spaß, aber wir machen ja keinen Krieg."
An der Treppe ist Feldwebel Lehmann wieder aufgetaucht. Das offizielle Programm ist jetzt beendet.
"Das ist für uns nichts Politisches"
Lehmann: "Und ich entlasse sie jetzt in ihre Freizeit, das heißt ich entlasse Sie jetzt in die untere Etage."
Wieder aus dem engen und muffigen Bunker nach draußen unters Vordach. Da steht die Gruppe vor der Stahlschleuse, gedrängt, wegen des Regens. Tut gut die frische Waldluft. Durst.
Kiesel: "Das ruft ja sehr viele Erinnerungen wach, hier durch den Bunker zu gehen. Ihr erzählt immer wieder von der NVA. (Uwe) Es bleibt ja immer das Gute, das Lustige hängen, wie überall. Frage mal deinen Großvater, der im Krieg war, der erzählt dir auch das Gute. (Andy) 50 Jahre verheiratet, da sagt er die drei Jahre russische Gefangenschaft waren die schönsten Ehejahre. ( Silvio) Das ist Geschichte. (Gerd) Das Gute bleibt bloß hängen. (Jörg) Das ist keine Verklärung oder Verherrlichung, wenn uns die Kinder nicht geschenkt hätten, wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, das ist für uns auch nichts Politisches, für uns ist das pfff... (Andy) Ein Gag!"
Nachdem soviel wertfreie DDR-Vergangenheit im Bunker offenbart worden ist, muss scheinbar noch mehr raus. Andy holt kleine Boxen für sein Handy.
Kiesel: "Was ist denn das für Musik. Andy: Das ist Ostmusik, Ostrock!"
Es ist inzwischen nach Mitternacht. Zwischen die Biere mischen sich Jägermeister. Marlies reicht es, sie geht schlafen. Die Welt jenseits des überdachten Bunkereingangs ist entrückt im Dunkel. Nebel wabert ins Neonlicht. Die Gruppe steht im Kreis. NVA und Honni-Witze, werden durch welche über KZs und Sex mit alten oder jungen Frauen durchmischt. Immer gerne dabei: irgendwas mit Gasmaske.
Andy: "Da war der noch wo die Rentner sich unterhalten, wegen Sex. Sagt der ich setz meiner Frau beim Sex die Gasmaske auf. Erstens sieht sie viel besser aus, zweitens riecht sie nicht mehr so aus dem Mund, und drittens wenn ich den Schnüffel zuhalte, zappelt sie wie eine 18-Jährige."
Es ist ziemlich spät geworden und eine illegal eingeschleuste Flasche Schnaps hat auch noch die Runde gemacht. Andy wählt den Rausschmeißer auf seinem Handy-Display an. Eine West-Schnulze.
Klamme Decken, dünne Matratze, Nachteinsatz
In kleinen Grüppchen gehen die DDR-Zeitreisenden wieder hinein in den Bunker. Im Schlafraum wird es nur allmählich still.
Kiesel: "Das ist eine dünne Schaumstoffmatratze, die Luft ist klamm, die Decken sind auch klamm, das wird wahrscheinlich nicht so richtig bequem sein."
Augen zu und durch. Glücklich, wem der Alkohol die Sinne zuhält. Die Füße bleiben taub, die Nase ein kalter Fremdkörper im Gesicht. Zwei Meter Stahlbeton oben, links und rechts. Was, wenn die Lüftung ausfällt? Es ist so eng. Und dann hat einer nach dem anderen seinen Einsatz in der endlosen Bunkersymphonie.
Gerds Grundton, Angelas Synkopen, Zwischensoli von Uwe und Gerd und dieses unbestimmbare Stöhnen. Alle sind erschöpft von diesem Gang in die Tiefen des Bunkers und der Vergangenheit. Die Welt draußen ist jetzt maximal entfernt. Eine Weile noch.
Auf den engen Liegen konnten sich die Körper kaum bewegen. Jetzt wollen sie nur unter Protest. Die Luft ist verbraucht. Der Uniformierte vorne schaltet die Heizlüftung ein. Die Gäste stoßen im schmalen Gang aneinander, als sie noch einmal in die Strichtarnuniformen schlüpfen und ihre Habseligkeiten zusammenklauben. Nichts darf zurückbleiben.
Die Sachen sind gepackt. Das Trachtenfest im Museumsbunker ist zu Ende. Die Genossen stolpern müde zurück in die Wirklichkeit. Morgen stehen sie wieder an der Werkbank, auf dem Gerüst. Und der Genosse mit dem Mikrofon, der Feind aus dem kapitalistischen Ausland, hat seinen Auftrag erfüllt.
Der Autor Heiner Kiesel über die Arbeit an der Reportage:
"Ich bin im Kalten Krieg in Westdeutschland aufgewachsen und habe Zivildienst machen dürfen. Ein DDR-Atombunker mit Stasi-Ausrüstung im Thüringer Wald ist da praktisch das betongewordene Gegenteil meiner Jugend. Gruselig auch! Das hat mich dann natürlich gereizt, als ich gehört habe, dass man in so einem Teil übernachten kann. Mit erfahrenen Ex-NVA-Offizieren und Gästen, die hier ihre Vergangenheit nacherleben. Alles ganz anders."
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