"Dazu gibt es keine Alternative"

Wolfgang Wiegard im Gespräch mit Hanns Ostermann · 17.12.2009
Der Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Wiegard erwartet größere Sparanstrengungen der Bundesregierung ab dem übernächsten Jahr. "Dann müssen alle lieb gewonnenen Gewohnheiten auf den Prüfstand", sagte Wiegard.
Hanns Ostermann: Schlimmer geht’s nimmer – oder doch? Im kommenden Jahr wird Deutschland den bisherigen Schuldenrekord mehr als verdoppeln. Rund 100 Milliarden Euro müssen an neuen Krediten aufgenommen werden, von einer dramatischen Lage zu sprechen, ist möglicherweise untertrieben.

Umso erstaunlicher vor diesem Hintergrund, für den Laien jedenfalls: Im kommenden Jahr werden Bürger und Unternehmen um 8,5 Milliarden Euro entlastet, und für 2011 ist eine weitere Steuerreform geplant. Wie das alles zusammenpasst, darüber möchte ich mit Wolfgang Wiegard sprechen. Er ist Volkswirtschaftler an der Universität Regensburg und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Guten Morgen, Herr Wiegard!

Wolfgang Wiegard: Guten Morgen!

Ostermann: Finanzminister Schäuble bezeichnet die Neuverschuldung als notwendig und richtig. Sträuben sich Ihnen da die Haare oder stimmen Sie ihm zu?

Wiegard: Nein, da hat er durchaus recht. Für das nächste Jahr, 2010, ist es in der Tat notwendig, die Neuverschuldung des Bundes in dieser Größenordnung einzugehen, das hängt schlicht und einfach mit der konjunkturellen Lage zusammen. Die Probe aufs Exempel kommt dann im Jahr 2011. Ab 2011 muss konsolidiert werden, für das Jahr 2010 wäre das noch zu früh.

Ostermann: Ich komme auf 2011 gleich zurück, aber Ihr Jahresgutachten 2009/2010 vom November trägt den Titel: Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Wird die Zukunft nicht gefährdet, wenn etwa die Hoteliers Steuergeschenke bekommen und dies und anderes als Wachstumsbeschleunigung verkauft wird?

Wiegard: Ja, das ist ein anderes Thema. Also Teile des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, insbesondere die Reduzierung des Umsatzsteuersatzes für Beherbergungsleistungen sehen wir durchaus kritisch, das ist schon durchaus richtig. Und wir sehen auch sehr kritisch – und deswegen haben wir unser Jahresgutachten auch genannt "Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen" –, dass für 2011, wohlgemerkt für 2011, ja noch mal zusätzliche Steuerentlastungen mit einem jährlichen Volumen von 20 bis 24 Milliarden Euro angekündigt sind. Das ist in der Tat nicht zu rechtfertigen. Die Verschuldung im Jahr 2009 und im Jahr 2010 ist überwiegend konjunkturbedingt, und das war notwendig und richtig. Aber es darf nicht zum Dauerzustand werden, das ist der kritische Punkt.

Ostermann: Und da fragt man sich ja schon, die Banken werden mit enormen Summen gestützt, das Geld fehlt zwangsläufig anderswo: Sehen Sie eigentlich bei der schwarz-gelben Koalition so etwas wie eine Exit-Strategie, also konkrete Vorschläge, wie die staatliche Neuverschuldung zurückgefahren werden kann?

Wiegard: Das sehen wir leider nicht. Wir sehen keine konkreten Pläne, auch nicht konzeptioneller Art, wie man die hohe Staatsverschuldung zurückführen will. Und das geht im Prinzip nur über Ausgabenkürzungen oder über Mehreinnahmen, und stattdessen will die schwarz-gelbe Bundesregierung die Steuer noch mal senken ab 2011 in nennenswertem Umfang – das passt nicht zusammen.

Ostermann: Wie würden Sie denn Schulden abbauen und zugleich Reformen anstoßen?

Wiegard: Also man kommt um erhebliche Ausgabenkürzungen nicht herum. Das muss ansetzen bei den Steuervergünstigungen, das muss ansetzen bei den Finanzhilfen des Bundes, das muss quer durch alle Ausgabenkategorien ansetzen, und da sehen wir im Moment noch keine Überlegungen, wie das aussehen soll.

Ostermann: Aber nehmen Sie es mir nicht übel, schon jetzt wissen öffentliche Haushalte nicht, wie die Löcher zu stopfen sind, insbesondere auch Länder und Gemeinden schnallen doch schon jetzt den Gürtel überaus eng. Da besteht doch kein Sparpotenzial mehr?

Wiegard: Doch, da besteht durchaus Sparpotenzial. Zum einen verbessert sich die Situation der öffentlichen Haushalte, weil sich die konjunkturelle Lage verbessert. Ab dem Jahr 2011 gehen wir davon aus, dass sich das moderate Wachstum, das wir ja schon für das Jahr 2010 prognostiziert haben, fortsetzen wird.

Und dann gibt es eine ganze Reihe von Steuervergünstigungen, die durchaus hinterfragt werden können. Allerdings ist das keine leichte politische Aufgabe. Denken Sie etwa an die Steuerbefreiung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und viele andere, da ist Sparpotenzial, aber das ist keine leichte Aufgabe für die Politik. Gleichwohl muss sie angepackt werden.

Ostermann: Sie stimmen mir zu, das sind sozusagen heilige Kühe, denn natürlich betrifft das eine ganze Menge von Leuten, die mit diesen Geldern ja auch leben. Aber Sie fordern und glauben, daran kommt man nicht vorbei, hier etwas zu ändern?

Wiegard: Man kommt daran nicht vorbei, weil die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden müssen. Nicht jetzt, nicht im Jahr 2010, aber ab dem Jahr 2011. Dazu gibt es keine Alternative. Und dann müssen alle lieb gewonnenen Gewohnheiten auf den Prüfstand gestellt werden, sonst bekommt man die Konsolidierungsaufgabe nicht in den Griff. Die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung ab 2011 ist sozusagen der ökonomische Preis dafür, dass die Bundesregierung in der Krise massiv interveniert hat und im Wesentlichen richtig interveniert hat.

Ostermann: Was ist zum Beispiel mit dem Kilometergeld, das jetzt frisch wieder eingeführt wurde?

Wiegard: Die Entfernungspauschale, denke ich, gehört auch auf den Prüfstand. Man braucht sie nicht ganz zu streichen, aber gegenwärtig liegt sie bei 30 Cent pro einfachem Entfernungskilometer, da besteht natürlich auch Kürzungspotenzial.

Ostermann: Herr Wiegard, wäre es nicht eine viel sauberere Lösung, wenn man klar und deutlich sagen würde: Wir erhöhen die Steuern ich sag jetzt mal ab 2013, es ist nicht mehr zu bezahlen.

Wiegard: Das ist durchaus eine zu erwägende Alternative, wenn man es nicht über Ausgabenkürzungen in den Griff bekommt, die Konsolidierungsaufgabe, weil es politisch zu schwierig umsetzbar ist, dann wird man letztlich die Steuern erhöhen müssen. Wenn nicht in dieser Legislaturperiode, dann denke ich zu Anfang der nächsten Legislaturperiode, aber eventuell auch schon in dieser.

Ostermann: Also den Wahlkampf möchte ich dann gern erleben, wenn sozusagen diese Steuererhöhungen angekündigt und diskutiert würden.

Wiegard: Also ich glaube durchaus, dass die Bürger dafür Verständnis haben. Sie wissen, dass in der Krise interveniert werden müsste, und die meisten Bürger glauben auch nicht, dass man mit Steuersenkungen weiterkommt. Sie sehen durchaus, dass Konsolidierungsbedarf besteht. Na ja, und wie sonst will man konsolidieren wenn nicht über Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen?

Ostermann: Was bedeuten die insgesamt düsteren Aussichten für den Vertrag von Maastricht? Deutschland liegt weit über den drei Prozent, Frankreich ebenfalls, von den Griechen ganz zu schweigen. Ist der Euro in Gefahr?

Wiegard: Nein, ich denke nicht, dass der Euro in Gefahr ist, aber die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und insbesondere des Euro-Raums müssen genau wie Deutschland ab 2011 konsolidieren. Die Europäische Kommission hat mittlerweile gegen 13 der 16 Mitgliedstaaten des Euro-Raums sogenannte Defizitverfahren eingeleitet, gegen Deutschland im Übrigen auch, und die Mitgliedstaaten sind angehalten und haben konkrete Vorgaben bekommen, ihre Defizite zurückzuführen, Deutschland zum Beispiel um 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Wenn alle Mitgliedstaaten sich an die Vorgaben der Europäischen Kommission halten, gerät der Euro auch nicht in Gefahr.

Ostermann: Ich sprach mit Wolfgang Wiegard, er ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Herr Wiegard, danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag!

Wiegard: Ich bedanke mich bei Ihnen!