Davide Longo

Narrative Funken der Gewalt

Blick auf Cogne und den Naturschutzpark Gran Pardiso im Piemont
Blick auf Cogne und den Naturschutzpark Gran Pardiso im Piemont: In dieser Bergwelt lebt Kommissar Bramard in Davide Longos neuem Roman. © dpa / picture alliance / Barone
Von Maike Albath · 21.04.2015
Eine Serie nie aufgeklärter Ritualmorde soll Kommissar Corso Bramard aufklären - dabei hatte er sich nach dem Tod seiner Frau in die schroffe Bergwelt des Piemonts zurückgezogen. Davide Longos neuer Krimi schlägt durch ein geschicktes Spiel von Zeigen und Verbergen in Bann.
Der neue Roman von Davide Longo "Der Fall Bramard" ist ein Zwitterwesen. Spannend bis zur letzten Seite kokettiert das Buch mit dem Genre des Krimis. Gleichzeitig vermittelt der italienische Schriftsteller eine pointierte Analyse verschiedener gesellschaftlicher Milieus, wartet mit schillernden Psychogrammen auf und erzählt ebenso von der schroffen Bergwelt des Piemonts wie von den dekadenten Gepflogenheiten der Turiner Oberschicht.
Dreh- und Angelpunkt des geschickt konstruierten Romans ist eine Serie nie aufgeklärter Ritualmorde. Die Frauenleichen weisen alle bizarre Schnitte auf dem Rücken auf. Per Zufall überlebte eine einzige Person die Attacke und landete in der Psychiatrie, und als der Kommissar Corso Bramard das Tatmuster fast durchschaut hatte, tötete der Mörder dessen Frau. Seither fehlt von dem Täter jede Spur, genauso wie von der kleinen Tochter Bramards. Nach dem grausamen Vorfall quittierte der Polizist den Dienst, zog sich in sein Elternhaus in den piemontesischen Alpen zurück und begann, an einer Schule als Geschichtslehrer zu arbeiten. Als er eines Tages einen Brief mit einer Gedichtzeile erhält, nimmt er die Fährte noch einmal auf. Ein Wettlauf beginnt.
Bergsteiger und Bademeister
Ein Verbrechen, ein eigenbrötlerischer Ex-Kommissar, ein Edel-Bordell für gut betuchte Entscheidungsträger, schließlich auch noch eine junge Polizistin ohne Manieren, die Bramard zur Seite gestellt wird – alles deutet auf einen klassischen Krimi-Plot hin mit den typischen Elementen des hard boiled. Longo, Jahrgang 1971, wie sein Held ein großer Bergsteiger, früher Bademeister, Kellner und Halbprofi im Basketball, inzwischen im Brotberuf Lehrer an der berühmten Turiner Schule für Erzähltechniken von Alessandro Baricco, hatte schon in seinem Roman "Der Steingänger" (2008) ausprobiert, welche narrativen Funken sich aus einer Gewalttat schlagen lassen.
Nach seiner beklemmenden Italien-Parabel "Der aufrechte Mann" (2012) kehrt er jetzt in das Ambiente der Bergwelt zurück. Longo entspinnt die Geschichte aus einer doppelten Perspektive: mal aus der des ruppigen Corso, mal aus der eines distinguierten Herrn namens Monticelli.
Im Sog der Hypothesen
Weil die Kapitel sehr knapp sind und Situationen oft nur angerissen werden, ist der Leser die gesamte Zeit damit beschäftigt, den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Der Sog der Handlung nimmt beständig zu. Auf eine Kletterpartie in den Bergen folgt ein Gespräch im Präsidium, auf augenscheinlich ergebnislose Befragungen der Psychiatrie-Insassin folgt ein Besuch bei einem wohlhabenden Asienkenner, und unterdessen scheint Monticelli Punkt um Punkt eines bestimmten Plans abzuarbeiten.
Longo schafft es, durch ein geschicktes Spiel von Zeigen und Verbergen den Leser in den Bann zu schlagen. Mit literarischen Verweisen zieht er eine weitere Ebene ein: Erzählungen von Maupassant, Gedichtzeilen von Montale, schließlich die Romane des japanischen Nobelpreisträgers Kawabata. Bis zum Schluss entwirft man Hypothese um Hypothese. Doch dann entwirren sich die Fäden und man will nur eines: Das Buch noch einmal lesen.

Davide Longo: Der Fall Bramard
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Rowohlt Verlag, Hamburg 2015
320 Seiten, 19,95 Euro

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