Dauernd auf der Durchreise

    15.03.2013
    Eigentlich dem Wunsch folgend, sich irgendwo hinzusetzen, steht Hans von Trotha bald wieder auf, wenn er einen Platz gefunden hat. Denn er spürt, dass er etwas verpasst. Aber immerhin schließt er erste anonyme Freundschaften.
    Man gewöhnt sich daran. Schwebt man am ersten Tag noch wie ein Außerirdischer durch eine fremde Welt, ist die am zweiten Messetag zwar nicht weniger fremd, man ist aber unvermerkt zu einem Teil von ihr geworden, angekommen in einem Zustand, der sich anfühlt wie andauernde Durchreise. Deswegen zieht es auch fast überall auf der Messe, auf jeder Messe übrigens. Es ist ein metaphorischer Zug, den man trotzdem an allen Ecken und Enden tatsächlich spürt.

    Denn auf der Messe passt sich das Objektive zunehmend dem subjektiven Erleben an. Und dann gibt es allmählich auch die ersten anonymen Messefreundschaften. Das sind Gesichter, denen man auf seinen Wegen immer wieder begegnet, obwohl man deren Träger gar nicht kennt. Wahrscheinlich merken die es umgekehrt nicht. Trotzdem beginnt man irgendwann, verschämt zu grüßen. Einer von ihnen sieht übrigens genauso aus wie der neue Papst.

    Das Dauerndaufderdurchreisesein manifestiert sich konkret darin, dass man, erst unbewusst, dann zunehmend mit fast schon suchtartigem Drang, nach Möglichkeiten sucht, sich hinsetzen zu können. Sitzt man dann auf irgendeinem Hocker, Würfel, Stuhl, Treppenabsatz oder Sofa, erfasst einen umgehend ein Fluchtimpuls. Man spürt, dass man sicher gerade irgendwo irgendetwas verpasst, verbunden mit der Einsicht, dass man just hier, wo man zu sitzen gekommen ist, nichts verloren hat.

    Gerade sitze ich übrigens in der Präsentation eines Buchs, das die Kulturgeschichte des Oralen erzählt. "Der Mundraum ist der Ort, in dem die zweite, kulturelle Geburt des Menschen stattfindet", hat der Kulturhistoriker Hartmut Böhme gerade erklärt, der die These verfolgt, "dass wir in der Mundhöhle überhaupt erst zur Welt kommen."

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