Dauerfeuer der Streitreden

Von Volker Trauth · 08.12.2012
Der Intendant des Schauspielhauses Bochum, Anselm Weber, hat am Schauspiel Bochum Lutz Hübners "Das Richtfest" uraufgeführt. Das Stück schildert eine die scheiternde Suche nach Gemeinschaft über Klassen- und Besitzunterschiede hinweg.
Eine bunt zusammengewürfelte Interessengemeinschaft, bestehend aus sechs Mietsparteien, will den Traum vom gemeinsamen Wohnen in einem gemeinsam baufinanzierten Traumhaus verwirklichen. Über Grenzen von Bildung, Besitz und Alter hinweg wollen die Bauherren - vom Hochschuldozenten bis zur ehemaligen Kneipenbesitzerin - ein Beispiel für tätige Solidarität geben.

Bei einer Vorstellung der Baupläne und der Vorbesprechung zukünftiger Nutzung der Räume brechen erste Differenzen auf: Die Wohlhabenden verlangen einen Raum für eine Pflegekraft und der Musiker schalldichte Wände. Weil eine junge Mieterin in spe überraschend schwanger wird und ihre Arbeitsstelle verliert, gerät der Finanzierungsplan in Gefahr, über ein Darlehen für die junge Frau kann man sich nicht einigen.

Weil der Architekt auch noch ein Verhältnis mit der 17-jährigen Tochter eines Mieterpaares beginnt, gibt es handfeste Auseinandersetzungen. Ein Schlachtfeld bleibt übrig, das Experiment wird als gescheitert erklärt. Die vielfach beschworene Sozialpartnerschaft bleibt eine Illusion.

Gerade in seinen letzen Stücken sucht Hübner eine vielfach variierte dramatische Grundsituation: die scheiternde Suche nach Gemeinschaft über Klassen- und Besitzunterschiede hinweg und die vergebliche Sehnsucht nach der sinnvollen Existenz im und nach dem Berufsleben. In "Blütenträume" treffen sich extrem unterschiedliche Rentnerfiguren in einem Volkshochschulkurs zur Förderung von Kontaktaufnahmefähigkeit.

Weil der Kursleiter, ein verkrachter Schauspieler, überfordert ist, läuft das Ganze aus dem Ruder. In "Familienbande" wird der 80. Geburtstag des Großvaters in einem Dorfgasthof gefeiert. Alle Familienmitglieder haben ihre Leichen im Keller, die Kinder können sich nicht reichen und Cousin und Cousine öden sich an. Immer also schlagen alltägliche Situationen in Gewalt und Streit um. Regisseur Anselm Weber, der schon mehrfach Texte von Hübner inszeniert hat, verzichtet auf ein konkretes Bühnenbild und konkrete Möbel.

Der szenische Schauplatz ist die leere weißumhängte Bühne. Erst zum Schluss gibt es ein wahre Orgie theatralischer Mittel. Die Wände werden heruntergerissen, es schneit und Nebel steigen auf. Vorher aber haben die Schlachten nur verbal stattgefunden. Die Schauspieler sitzen zunächst gemeinsam in der ersten Zuschauerreihe. Einzeln oder in Gruppen betreten sie dann die Bühne. In den besten Momenten der Inszenierung brechen bisher nur im Untergrund schwelende Konflikte in den einzelnen Familien auf.

Der Assistenzarzt Christian erweist sich nun als herrischer Pascha und bevormundet die junge schwangere Ehefrau. In einer auf offener Bühne ausgetragenen Szene erweist sich die Ehe zwischen dem Beamten Holger und seiner Frau Birgit als sinnentleert und die Teilnahmeabsicht am Wohnprojekt als Flucht vor der Leere. Unübersehbar aber spielt sich die vor allem aufs Wort und das Argument gestellte Spielweise leer. Die endlosen Debatten erstarren zum Stehkonvent, die Dialoge zur Redeschlacht und zum Argumentwettstreit.Schauspielerisch hat der gelernte Schauspieler Hübner die Darsteller sehr ungleich mit Fleisch für den Figurenaufbau ausgestattet.

Der Darstellerin der Stiftungsleiterin Vera ist kaum mehr Material an die Hand gegeben als die Ausstellung von Überlegenheitsdünkel. Konkreter und vielschichtiger ist schon vom Autor her die Figur der ehemaligen Kneipenbesitzerin Charlotte angelegt und die erfahrene Schauspielerin Henriette Thimig nutzt das mit offensichtlicher Spielfreude. Wie sie krampfhaft darum bemüht ist, nicht als Messi entlarvt und damit vom gemeinsamen Wohnen ausgeschlossen zu werden, wie sie mit heiligem Zorn gegen den Geiz und den Mangel an Solidarität ihrer Mietgenossen zu Feld zieht und dann am Ende - nun nach einem Schlaganfall sprachbehindert - noch einmal den Traum vom solidarischen Leben aufblühen lässt, das hat emotionalen Tiefgang.

Den aber hat der Abend unter dem Dauerfeuer der Streitreden nur selten.

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