Datenschutz-Experte kritisiert Bundesregierung

"Gestörtes Verhältnis zum Datenschutz"

Ein mit "PRIVAT" gekennzeichneter Ordner auf dem Bildschirm eines Computers.
Datenschutz sorgt dafür, dass private Informationen auch privat bleiben © Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Peter Schaar im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.01.2016
Seit Anfang des Jahres gibt es eine eigenständige Bundesbehörde für den Datenschutz. Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter, hält diese Behörde für einen "zahnlosen Tiger". Sie könne nicht einmal Bußgelder verhängen.
Zentrales Element einer Aufsichtsbehörde sei die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen, betonte Schaar im Deutschlandradio Kultur. Die Bundesregierung habe der Datenschutzbeauftragten Voßhoff aber nicht einmal die Macht zugestehen wollen, Bußgelder zu verhängen, kritisierte er – oder die Möglichkeit, bei schweren Verstößen, die Datenverarbeitung zu untersagen. Die Behörde bleibe so "letztlich ein zahnloser Tiger (...), wenn auch auf einem höheren Niveau". Dabei schreibe die neue EU-Datenschutzverordnung zwingend vor, dem oder der Datenschutzbeauftragten Sanktionsmöglichkeiten einzuräumen, betonte Schaar. "Da wird man dann im Zweifel in ein, zwei Jahren noch mal an das Gesetz herangehen und das noch mal ändern müssen", sagte er. "Das ist eben das Ärgerliche, dass im Grunde nur das zugestanden wird, was unbedingt notwendig ist und unvermeidlich ist, und das zeigt eigentlich ein gestörtes Verhältnis zum Datenschutz seitens der politischen Entscheidungsträger", sagte Schaar.

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Für Laien hört sich das erst mal an wie so eine Art Verwaltungsreform: Für den Datenschutz auf Bundesebene ist ab heute – also eigentlich seit dem 1. Januar, aber heute ist halt deren erster Arbeitstag – ist ab heute eine sogenannte Oberste Bundesbehörde zuständig. Bisher war die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit beim Innenministerium angesiedelt und dem auch unterstellt, ab heute gibt es nun eine selbstständige Behörde, die unabhängig arbeiten kann und übrigens auch mit 21 zusätzlichen Mitarbeitern ausgestattet ist.
Wie gesagt, es klingt erst mal recht harmlos für uns Laien, die Behörde selber kündigt das aber auf ihrer Internetseite doch als ziemliche Revolution an, die den Datenschutz in Deutschland sehr voranbringen soll. Ob damit wirklich zu rechnen ist, was sich wirklich ändern wird, darüber wollen wir jetzt mit Peter Schaar reden, Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, und von 2003 bis 2013 selbst Bundesdatenschutzbeauftragter. Schönen guten Morgen, Herr Schaar!
Peter Schaar: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Hätten Sie das gerne damals erlebt zu Ihrer Zeit, diese Umwandlung in eine Oberste Bundeshörde, war das ein Traum für Sie?
Schaar: Es war auf jeden Fall immer eine Forderung von mir, dass die Dienststelle unabhängig wird, dass die Stellung des Bundesbeauftragten wirklich frei von jeder Einflussnahme durch die Bundesregierung ist. Das wird durch diese Reform sichergestellt, das war längst überfällig, seit 1995 eigentlich sogar, seit es die europäische Datenschutzrichtlinie gibt, aber man hat da bis heute gewartet, und für mich war das immer kaum verständlich, warum man da so zögerlich war, deshalb begrüße ich das natürlich, aber es kommt ein bisschen spät.
Kassel: Ist es denn für Sie verständlich, warum es jetzt überhaupt kommt?
Der Druck aus Brüssel auf die Bundesregierung wurde immer größer
Schaar: Na ja, aus Brüssel ist der Druck immer stärker geworden. Es gab da verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die sich zwar nicht auf den Bundesbeauftragten bezogen, die aber gleichwohl sehr deutlich machten, in welche Richtung das gehen muss, und dann hat die Europäische Kommission wohl offensichtlich der Bundesregierung deutlich gemacht, dass ansonsten ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird.
Das bedeutet, dass Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt würde, falls die Stellung des Bundesbeauftragten nicht aufgewertet würde, und das hat man jetzt offensichtlich verstanden und hat jetzt endlich die Konsequenzen gezogen, aber auch das nur in dem, sage ich mal, engstmöglichen Rahmen und nicht wirklich so weit, wie man das hätte erwarten müssen und auch im Sinne des Datenschutzes fordern muss.
Kassel: Was fordern Sie denn dann weiterhin, also wo sagen Sie, da geht jetzt diese Veränderung noch lange nicht weit genug?
Schaar: Das zentrale Instrument einer Kontrollbehörde, einer Aufsichtsbehörde, besteht ja darin, dass man Sanktionen verhängen kann. Jedes Ordnungsamt kann das. Wir wissen das aus leidvoller Erfahrung, wenn wir mal falsch geparkt haben.
Die Datenschutzbeauftragte kann nicht mal ein Bußgeld verhängen
Nicht einmal diese Befugnis, ein Bußgeld zu verhängen, wollte die Bundesregierung der Bundesbeauftragten zugestehen, geschweige denn die Möglichkeit, die Datenverarbeitung zu untersagen bei schweren Datenschutzverstößen, was so ungefähr vergleichbar wäre mit dem Abschleppen des falsch geparkten Fahrzeugs, wenn da ansonsten ein Behindertenparkplatz oder eine Krankenhausausfahrt blockiert worden wäre. Auch das wird der Datenschutzbeauftragten weiter vorenthalten, sodass sie letztlich ein zahnloser Tiger bleibt, wenn auch auf einem höheren Niveau.
Kassel: Kann dieser zahnlose Tiger, wenn er schon keine Sanktionen verhängen kann, nicht zumindest öffentlichkeitswirksam aktiv werden? Ich meine, wenn die Bundesdatenschutz- – inzwischen ja wirklich – -behörde einen Firmennamen nennt und konkret sagt, da wird gegen Datenschutzregeln verstoßen, dann hat das doch möglicherweise auch ohne Sanktionen Konsequenzen.
Peter Schaar
Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar© dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Schaar: Natürlich gehört die Öffentlichkeitsarbeit zu den Aufgaben der Datenschutzbehörde und des Datenschutzbeauftragten, und ich habe das auch immer so verstanden und so praktiziert, und daran ändert im Prinzip diese Reform relativ wenig, aber es gibt noch viel weniger Gründe, sich da entsprechend zurückzuhalten.
Kassel: Ist denn jetzt wirklich absolute Unabhängigkeit gegeben? Ich meine, es besteht jetzt eine Unabhängigkeit vom Innenministerium, aber kann jetzt diese Behörde so schalten und walten, wie sie will, hat sich da niemand mehr einzumischen politisch?
Die Politik kann sich jetzt nicht mehr in den Datenschutz einmischen
Schaar: Na ja, politisch hat sich da niemand mehr einzumischen. Das war vorher noch möglich im Hinblick auf die sogenannte Rechtsaufsicht. Die Bundesregierung konnte Rechtsaufsichtsmaßnahmen einleiten gegen den oder die Datenschutzbeauftragte. Das ist auch abgeschafft worden.
Das ist auch richtig so und gehört zur völligen Unabhängigkeit dazu, allerdings gibt es nach wie vor – und das ist auch völlig in Ordnung so – parlamentarische Kontrolle und gerichtliche Kontrolle. Parlamentarische Kontrolle insoweit, als natürlich die Wahl der Bundesbeauftragten durch das Parlament erfolgt, und eine gerichtliche Kontrolle, dass selbstverständlich Gerichte, wenn denn da Entscheidungen getroffen werden, dann das auch noch mal revidieren können, allerdings setzt das natürlich voraus, dass man entsprechende Sanktionsbefugnisse hat, und insofern hat das Fehlen der Sanktionsbefugnisse auch zur Folge, dass wohl kein Gericht sich mit der Praxis der Bundesbeauftragten wirklich auseinandersetzen muss.
Kassel: Herr Schaar, ich frage mich aber noch was ganz anderes: Die Europäische Union hat sich erst vor wenigen Wochen auf neue einheitliche Datenschutzregeln geeinigt, voraussichtlich 2018 werden die in allen EU-Staaten dann gelten – was heißt denn das für die Bundesdatenschutzbeauftragte, ist die jetzt überhaupt noch zwei Jahre bloß noch notwendig, wenn wir die in Zukunft so gar nicht mehr brauchen?
Die neue EU-Datenschutzverordnung schreibt Sanktionsbefugnisse zwingend vor
Schaar: Wir werden sie ja sogar noch viel stärker brauchen, und sie wird dann endlich hoffentlich die notwendigen Befugnisse zur Sanktionierung von Datenschutzverstößen bekommen. Das schreibt die neue EU-Datenschutzverordnung ja zwingend vor, aber die Bundesregierung sah sich offensichtlich nicht veranlasst, schon jetzt diese Befugnisse zu geben.
Da wird man dann im Zweifel in ein, zwei Jahren noch mal an das Gesetz herangehen und das noch mal ändern müssen. Das ist eben das Ärgerliche, dass eben im Grunde nur das zugestanden wird, was unbedingt notwendig ist und was unvermeidlich ist, und das zeigt eigentlich ein gestörtes Verhältnis zum Datenschutz seitens der politischen Entscheidungsträger, denn nichts hätte dagegen gesprochen, ganz viel dafür, die Bundesbeauftragte auch mit entsprechenden Sanktionsbefugnissen auszustatten.
Kassel: Sagt der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, Peter Schaar, über die neue Bundesbehörde, die ab heute ihre Arbeit aufnimmt, die neue Bundesbehörde für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, die übrigens aber weiterhin so heißen wird – die Bundesbeauftragte. Herr Schaar, vielen Dank für das Gespräch!
Schaar: Herzlichen Dank meinerseits!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema: Am 05.01.16 um 6:49 Uhr spricht Dieter Kassel im "Studio 9" mit Andrea Voßhoff, der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, über die neuen Datenschutzrichtlinien und über die Rolle der Datenschutzbeauftragten: Ist die Behörde bloß ein zahnloser Tiger?
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