Das Unbewusste des Geldes

Christina von Braun im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 23.05.2012
Je größer der Glaube an die Gemeinschaft, desto größer ist auch der Glaube ans Geld, sagt die Kulturtheoretikerin Christina von Braun. Sie hat das in Ihrem Buch "Der Preis des Geldes - Eine Kulturgeschichte" untersucht.
Stephan Karkowsky: Deutschland hat mehr als zwei Billionen Euro Schulden, mehr als jeder andere EU-Staat. Deutschland hat aber auch einen Goldschatz, 3,4 Millionen Kilo, mehr als zwei Drittel davon übrigens im Ausland: in Paris, London, vor allem aber in Banken in New York. Holt unser Gold heim! - fordert nun eine Initiative, die damit das Vertrauen in den Euro wieder herstellen möchte. Ginge das überhaupt? Gibt es genug Gold auf der Welt, um die Unsummen der Rettungsschirme daran zu binden? Fragen wie diese kann nun ein sehr kluges Lesebuch beantworten namens "Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte". Geschrieben hat es Christina von Braun, sie ist Professorin an der Berliner Humboldt-Universität, guten Tag!

Christina von Braun: Guten Tag!

Karkowsky: Sie sind bekannt als Kulturtheoretikerin und Feministin. Sie haben nun aber ein Geschichtsbuch vermeintlich aus der Welt der Finanzwirtschaft verfasst, das die Geschichte des Geldes beleuchtet, historisch, philosophisch, theologisch, etymologisch und auch semiotisch. Wie kommt's?

von Braun: Was mich zunächst an die Geschichte des Geldes herangeführt hat, war mein Interesse für Schrift, für Schriftsysteme. Und die Geschichte des Geldes ist die Geschichte eines Zeichensystems, und da war schon eine sehr enge Verbindung. Und unser geprägtes Geld, unser Münzgeld entstand 100 Jahre, nachdem das Alphabet in Griechenland eingeführt wurde, also ein Schriftsystem, das dann auch ein bestimmtes monetäres Schriftsystem hervorgebracht hat. Das war mein ursprüngliches Interesse. Und dazu kam dann natürlich, dass ich während der Arbeit eine Fülle von Fragen entdeckte, religionsgeschichtliche Fragen, gendergeschichtliche Fragen, mit denen ich mich sowieso schon beschäftigt hatte und die plötzlich eine ganz andere Dimension noch bekommen haben.

Karkowsky: In Ihrer Conclusio am Ende des Buches schreiben Sie: Rückblickend glaube ich zu erkennen, dass es um die Geschichte des Unbewussten des Geldes geht. War Ihnen am Anfang selbst nicht so ganz klar, worauf Sie am Ende hinauswollen?

von Braun: Überhaupt nicht. Es war wirklich eine Abenteuerreise, auf die ich mich da begeben habe und, ich muss sagen, für mich mit großem Gewinn. Und wenn es sich für andere auch vermittelt, ist das ja umso schöner. Man hat dann einfach angefangen zu begreifen, wie das Geld die Psyche besetzt von Menschen, wie es auch unsere Körper, unsere sexuellen Körper besetzt und wie viel es von den Geschlechterbildern auch besetzt hat. Und deshalb habe ich diesen Satz eben von dem Unbewussten des Geldes, womit natürlich das Unbewusste der Menschen, die mit Geld zu tun haben, gemeint ist.

Karkowsky: Sie haben es selbst angesprochen: Zu den Themen, die beinahe alle Texte Ihres Buches begleiten, gehören Fruchtbarkeit und Kastration auch. Die Metaphorik des Geldes zu Begriffen und Symbolen der Fruchtbarkeit, die ist noch einleuchtend, also Wirtschaftswachstum, Blüte der Wirtschaft, Wirtschaftskreislauf und so weiter, auch Wasser als Symbol für das Leben, Geldflut, flüssig sein, Liquidität, Goldregen. Nicht verstanden habe ich, was Sie uns über das Kastrationsbild vermitteln wollten?

von Braun: Also, es gibt im Ursprung des Geldes zwei Opferrituale. Das eine betrifft den weiblichen Körper, das andere den männlichen Körper. Das weibliche Ritual: Es entstehen überhaupt erst Opfergesellschaften mit dem Eingriff in die Natur und Opferrituale sollen sozusagen diese Schuld an der Natur, an der Schöpfung und den Schöpfern durch Opfergaben an die Gottheiten wiedergutmachen, und das ist das weibliche Opfer, weil das sehr oft in Symbolen für den weiblichen Körper und eine domestizierte weibliche Sexualität dargestellt wurde wie etwa in den Kaurimuscheln. Das, was dann um etwa 700, 650 vor Christus entsteht, ist viel stärker männlich kodiert, weil es so eng mit der Schrift zusammenhängt, erzählt es von dem Opferritual des Stiers, also, dass der Stier, ein Symbol für Männlichkeit und Kraft, geopfert wird, damit ein Zeichensystem. Und das ist eine der Erklärungen, warum das Geld als derartig männlich betrachtet wird, hier wird sozusagen der männliche Samen zu einem geistigen Samen im Geld selber – übrigens auch in der Schrift – und damit männlich kodiert. Und das ist eine der Erklärungen, warum in unseren großen Finanzzentren, Bankhäusern und an den Börsen fast vatikanische Verhältnisse herrschen. Das gilt als männliche Prärogative, weil der männliche Körper dieses Opfer erbracht hat einer domestizierten Sexualität.

Karkowsky: Und dann habe ich zwei wesentliche Dinge gelernt aus Ihrer Geldgeschichte: Erstens, der Ursprung des Geldes ist nicht ein Warentauschersatz, sondern – Sie haben es gerade gesagt – hängt mit diesen frühreligiösen Opferriten zusammen. Und deshalb fand die Geldwirtschaft zweitens besonders im Christentum mit seinem Schuldkomplex einen guten Nährboden. Können Sie das noch mal erklären?

von Braun: Genau, also, man muss sich nur fragen: Warum ist eigentlich die Geldwirtschaft, so wie wir sie heute kennen, auch weltweit kennen, in dieser Form in dem christlichen Kulturraum entstanden und warum ist der Kapitalismus auch in den Ländern entstanden, die aus dem christlichen Kulturraum hervorgegangen sind? Und da erkennt man, dass die christliche religiöse Heilsbotschaft einen idealen Nährboden abgab für das Geld und diese Opfer- und Fruchtbarkeitslogik des Geldes. Beides steckt im Geld drin, also, einerseits muss für das Geld etwas geopfert werden oder es ist selbst ein Symbol für diesen Opfervorgang. Und auf der anderen Seite kann es auf diese Weise auch Junge bekommen, also fruchtbar werden. Und diese Logik steckt auch in der christlichen Religion, am deutlichsten im Kreuzessymbol, das einerseits Hinrichtung, Tod symbolisiert, andererseits aber auch Auferstehung und neues Erblühen von Leben. Das heißt, die christliche Religionsstruktur, wenn Sie so wollen, war der ideale Nährboden, auf dem genau das, was die Geldlogik auch impliziert, sich verbreiten konnte.

Karkowsky: Sie hören Professorin Christina von Braun von der Berliner Humboldt-Universität über ihr Buch "Der Preis des Geldes". Frau von Braun, Sie zitieren reichlich, Ihr Buch ist ein Almanach geworden interessanter Geldtheorien. Über ein paar wollen wir noch reden, aber sagen Sie mir zuerst: Nachdem Sie selbst so viel darüber gelesen haben, fällt Ihnen eigentlich jetzt die Definition leicht, was ist das, Geld?

von Braun: Nein, überhaupt nicht. Und Sie haben ja sicher auch gesehen, dass sich da die Geldtheoretiker ungeheuer streiten. Was Geld auf keinen Fall ist, ist ein Symbol für vereinfachten Tausch. Sie erwähnten am Anfang das Gold, das unser Geld decken soll: Schon Keynes hatte ausgerechnet, dass alles Gold der Welt, das in den letzten 6000 Jahren gehoben wurde, auf einen Ozeandampfer passen würde. Das heißt, das Gold, das in der Welt vorhanden ist, kann auch nicht mal symbolisch das decken, was heute an Geld zirkuliert. Das heißt, das Geld ist ein Zeichensystem, wenn Sie so wollen, aber ein Zeichensystem, das ganz viele unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Und seitdem die letzte Anbindung an irgendeine materielle Bindung oder auch nur an andere Währungen aufgehoben wurde, nämlich um 1971 bis '73, seitdem multiplizieren sich die Zeichen und da haben wir eben auch diese großen Finanzkrisen, die letztlich eine Multiplikation von Nullen darstellen.

Karkowsky: Dieses ungläubige Staunen darüber, dass etwas Unproduktives wie Geld eine solche Wirkungsmacht entfalten konnte: Wir konnten es gerade gut hören und durchzieht auch Ihr Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Und dennoch werden Sie am Ende nicht zu einer Geldkritikerin. Warum eigentlich nicht?

von Braun: Ja, es wird einem schon klar, dass, wenn wir das Geld abschaffen würden, wir in einen Zustand der Vorkultur praktisch zurückkehren würden. Und das möchte keiner von uns, auch nicht die schärfsten Geldkritiker. Aber es gibt natürlich durchaus Möglichkeiten, das Geld auch funktionsfähig zu machen. Und vielleicht muss ich zunächst mal vorausschicken, dass das Geld auch für ungeheuer viele gute Sachen gestanden hat, also für soziale Mobilität, für das Aufbrechen strikter Strukturen wie etwa in der Feudalgesellschaft. Das heißt, das Geld sorgt für soziale Mobilität und auch für soziale Gerechtigkeit, so absurd einem das heute erscheinen mag. Es hat durchaus Zeiten gegeben, in denen vollkommen neue Klassen entstanden sind, in denen Sklaven aufsteigen konnten zu normalen Bürgern schon in der Antike. Das heißt, das Geld hat sehr viele gute Seiten, und das ist mir schon im Laufe der Arbeit an dem Buch auch klar geworden. Worum es aber geht, ist, etwas herzustellen, was das Geld auch braucht. Und das benötigt eben Glauben, Zeichen. Ohne irgendeinen Glauben, dass also der 100-Euro-Schein, den ich Ihnen rüberschiebe, Ihnen auch tatsächlich die Möglichkeit gibt, etwas damit zu erwerben oder es irgendwie umzusetzen in eine Dienstleistung, dazu müssen wir alle ans Geld glauben. Und je größer der Glaube an die Gemeinschaft ist, die Gemeinschaft derer, die einen Konsens hat, darüber, dass dieses Geld untereinander getauscht werden kann, desto größer ist auch der Glaube ans Geld. Und nichts führt so stark zu dem Glauben an die Gemeinschaft wie soziale Gerechtigkeit. Und diese Art von Zusammenhang, soziale Gerechtigkeit, Glaube ans Geld und Glaube an die Gemeinschaft, selbst sind ganz eng miteinander zusammenhängend und sind auch durchaus Faktoren, die das Geld selbst bewirken kann. Insofern: Nein, ich bin Geldkritikerin oder habe viel gelernt aus dieser Geschichte des Geldes, aber es gibt durchaus Möglichkeiten, mit dem Geld auch in einer Weise zu arbeiten, die nicht diese großen Scheren zwischen sehr arm und sehr reich heute produziert.

Karkowsky: Wie sehr hat denn Ihre Forschung über die Kulturgeschichte des Geldes Ihre Einstellungen zu aktuellen politischen Themen verändert, etwa der Rettung Griechenlands durch immer neue Hilfspakete oder die Stützung des Euro durch Rettungsschirme, die einfach aufgeschrieben werden, also Geldschaffen durch Nullen anfügen? Der Normalbürger hört da schon längst weg, was machen Sie?

von Braun: Ja, ich höre natürlich genau hin, weil ich das hoch interessant und spannend finde und natürlich auch sehr davon betroffen bin. Ich meine, bei der Griechenland-Geschichte und auch unserer ganzen Eurokrise spürt man sehr deutlich, dass zwar die gemeinsame Währung da ist, aber noch nicht die Gemeinschaft als solches. Und insofern bin ich eine absolute Befürworterin einer Beibehaltung des Euro, wenn auch der Weg vielleicht hätte umgekehrt sein müssen, erst die Gemeinschaft als eine soziale Gemeinschaft oder den Glauben an ein gemeinsames Europa herzustellen, und dann den Euro zu schaffen. Gut, das ist nun nicht geschehen, aber den Euro jetzt aufzugeben halte ich für absoluten Unsinn. Wir müssen einfach diesen Prozess eines Gemeinschaftsglaubens ... und das impliziert dann eben auch, die Staaten, denen es im Moment schlechter geht, mit durchzuziehen, denn dann stellen wir auch den Glauben an die Gemeinschaft her.

Karkowsky: Professorin Christina von Braun von der Berliner Humboldt-Universität über ihr Buch "Der Preis des Geldes", erschienen im Aufbau Verlag. Frau von Braun, herzlichen Dank!

von Braun: Ja, ich danke Ihnen!

Links bei dradio.de:

"Schulden basieren immer auf einem Versprechen" - Anthropologe Graeber über die Beziehung zu einem Gläubiger und seine Rolle bei der Occupy-Bewegung

Am Anfang war der Kredit
David Graeber: "Schulden: Die ersten 5000 Jahre", Klett-Cotta, Stuttgart 2012, 600 Seiten


Politisches Projekt Währungsunion - Thilo Sarrazins Buch "Europa braucht den Euro nicht"
Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun. Sie lehrt an der Humboldt-Universität Berlin.
Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun.© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Mehr zum Thema