Das Wunder von Remagen

Von Anselm Weidner · 07.03.2005
Anfang März 1945. Neun Monate nach der Landung in der Normandie stehen die Amerikaner am Westufer des Rheins. 25 Kilometer südlich von Bonn tobt der Kampf um die Brücke von Remagen. Während des 1. Weltkriegs war sie errichtet worden, um den Transport von Kriegsmaterial nach Frankreich zu beschleunigen. Wegen dieser strategisch bedeutsamen Brücke war das militärisch im Übrigen vollkommen unbedeutende Städtchen im Rheintal durch zwei amerikanische Bombenangriffe Ende Dezember ’44 und Anfang Januar 1945 in Schutt und Asche gelegt worden.
Aus dem Reichs-Rundfunkbericht vom 3. März 1945. Weder Sprengversuche der Wehrmacht noch deutsche Fliegerangriffe ließen die imposanten Basalttürme oder die elegante den Fluß überspannende Stahlkonstruktion wanken.

"Die Rheinbrücke bei Remagen ist dem Feind in die Hände gefallen. An der gesamten Westfront befinden sich die deutschen Verbände auf dem Rückzug."

Dass Soldaten der 9. US-Panzerdivision unter Führung Leutnant Karl H. Timmermanns am 7. März 1945 um den Rhein trockenen Fußes überqueren‚ ist als "miracle of Remagen", das "Wunder von Remagen" in die Geschichte des 2. Weltkriegs eingegangen. Eine intakte Rheinbrücke vorzufinden, damit hatte niemand der alliierten Militärs gerechnet. Tag und Nacht rollten nun Militärlaster, Geschütze und Panzer der US-Armee Richtung Osten über den Rhein. "The bridge is worth it’s weight in gold" wird der amerikanische Oberbefehlshaber General Eisenhower zitiert und Militärhistoriker sind sich einig: durch die Einnahme der Brücke von Remagen und den dadurch erleichterten Vormarsch der Amerikaner wurde der 2. Weltkrieg um Wochen verkürzt.

"Nachrichten für das Rheinland: Die Ausweitung des amerikanischen Brückenkopfes bei Remagen konnte durch deutsche Gegenangriff verlangsamt werden. Der Brückenkopf ist 12 km breit und 4 km tief. Die Remagenbrücke liegt unter pausenlosem Beschuß der deutschen Artillerie."

"Remagen ist die einzige deutsche Stadt, die mit deutschen V-Waffen beschossen worden ist aus Deventer in Holland. Hier sind am 17. März zehn V2-Raketen in der Umgebung eingeschlagen. Aber die Brücke blieb trotzdem stehen."

400 Angriffe hatte die Luftwaffe auf die Remagener Brücke geflogen und 100 deutsche Flugzeuge waren dabei abgeschossen worden. Am 17.März stürzte die Brücke dann doch ein und riss 28 amerikanische Pioniere, die mit Reparaturarbeiten beschäftigt waren, mit in den Tod, erklärt Hans Peter Kürten, Remagener Bürgermeister a.D. und Initiator des heute vor 25 Jahren eröffneten Friedensmuseums Brücke von Remagen.

In elf Räumen wird in den beiden mächtigen Brückentürmen auf der Remagener Seite nicht nur die Geschichte der ‚verflixten Brücke‘ dokumentiert, hier wird im ‚Gang der Brückenopfer‘ der amerikanischen und deutschen Toten gemeinsam gedacht, und ideenreich zum Nachdenken über Frieden angeregt, nicht zuletzt durch einen Raum, der auf 226 Holztäfelchen an die 226 inner- und zwischenstaatlichen Kriege seit 1945, zu 95 % in Entwicklungsländern, erinnert. In einem Raum steht eine mannshohe Stukabombe, die man jetzt als Glocke zum Klingen bringen kann.
Und auch daran gemahnt die zum Friedensmuseum mutierte Brücke: Auf dem Schwemmland, der sog. "Goldenen Meile", unweit der Remagener Brücke, hatten die Amerikaner unter freiem Himmel ein Kriegsgefangenenlager für maximal 50.000 Menschen errichtet: ein Stacheldraht umzäuntes Feld mit Latrinen. Dort vegetierten auf engstem Raum insgesamt 270.000 deutsche Kriegsgefangene bis zu sechs Monate lang. 1200 von ihnen kamen um.

"Eine amorphe Masse, zusammengepfercht im Schlamm, im Dreck, im Regen und in der Kälte, mit Durst, mit Hunger. Vae victis, wehe den Besiegten. So war es auch. Wir hingen in den Erdlöchern, hatten winzige Feuerchen, die verboten waren und die glühten dann nachts unheimlich; hatten etwas Mystisch-Archaisches. Und dann haben wir gesagt: jetzt sind wir 10.000 Jahre zurückgedreht. Wir haben nichts mehr, wir sind nichts mehr, wir hängen im Erdloch, aber wir wollen überleben."

Einer von ihnen: Johannes Luxem, damals 20-jähriger Kriegsgefangener Fahnenjunker einer Panzerdivision. - Für den Gedenkort Brücke von Remagen hat Hans Peter Kürten einen Leitsatz formuliert:

"Laßt uns jeden Tag mit Herz und Verstand für den Frieden arbeiten. Beginne jeder bei sich selbst."

Über eine halbe Million Menschen, darunter Zehntausende Amerikaner, haben inzwischen das Friedensmuseum besucht - das 2. Wunder von Remagen.