Das Wohl der Betroffenen im Blick

Von Christel Blanke, Deutschlandradio Hauptstadtstudio · 21.12.2010
Darf man alles tun, was machbar ist? Oder: Muss man das sogar? Was ist unverantwortlich: Zellen entsorgen, weil daraus womöglich, wenn sie sich weiter teilen, ein Embryo wird, der nicht leben kann? Oder sich daraus ein Kind mit schwersten Behinderungen entwickelt? Oder ist es unverantwortlich, Menschen, die sich sehnlichst ein lebensfähiges, gesundes Kind wünschen, die Möglichkeit der Untersuchung zu verwehren?
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik. Einer Methode, bei der ein künstlich erzeugter Embryo gentechnisch untersucht und erst dann in den Mutterleib eingesetzt wird. Für die Gegner ist die Antwort einfach. Sie sagen Nein zu PID. Aber sie machen sich die Antwort nicht einfach. Und das ist angenehm an dieser Debatte, die alle, die über Verbieten oder Zulassen zu entscheiden haben, mit ihrem Gewissen konfrontiert.

Niemand stellt sich hin und sagt: klar machen wir. Andere tun es doch auch. In ganz Europa, mit Ausnahme Österreichs und der Schweiz, ist die PID erlaubt. Auch die Befürworter haben ethische Bedenken. Wollen aber Betroffenen einen Weg bieten. Um deren Nöte wissen auch die Gegner. Haben aber Angst, dass ein Ja - und seien die Grenzen noch so eng - zum Dammbruch führt. Wer will denn wirklich garantieren, dass es bei den engen Grenzen bleibt. Wer soll festlegen, welche Krankheit, welche Behinderung die PID rechtfertigt und welche nicht.

Die Befürworter wollen jeden einzelnen Fall von einer Kommission bewerten lassen. Auf eine Art Positivliste verzichten sie zu Recht. Die sähe zum einen sehr nach Selektion aus. Zum anderen ändern sich medizinische Möglichkeiten schnell. Aber auch für die Kommission bräuchte man einheitliche Kriterien. Es kann ja nicht sein, dass betroffene Frauen in Flensburg andere Antworten bekommen als in München.

Die Frage ist nur, ob Verbote, egal wie eng gefasst, überhaupt funktionieren. Können in Deutschland Grenzen gesetzt werden, die es außerhalb des Landes nicht gibt? Die Gegner fürchten, wenn man erst einmal damit anfängt, werden die Grenzen immer weiter ausgedehnt werden. Und dann ist der Schritt vielleicht wirklich nicht weit hin zu Kindern, die der jeweiligen Vorstellung entsprechen: Blond, braunäugig, sportlich, Junge oder Mädchen.

Daran denkt im Moment aber niemand. Die Befürworter nicht und auch die Gegner unterstellen den Betroffenen solche Wünsche nicht. Aber nicht nur das Klonschaf Dolly hat gezeigt, dass alles, was möglich ist, irgendwann auch gemacht wird. Auf jeden Fall ist es gut, dass die Abgeordneten das Wohl der Betroffenen im Blick haben. Dass es ihnen darum geht, Leben zu ermöglichen. Nicht grenzenloser Glaube an den medizinischen Fortschritt ist die Triebfeder der Befürworter der PID, sondern das Leid der Eltern. Denn die müssen womöglich eine noch viel schwierigere Entscheidung treffen. Ein künstlich erzeugter Embryo darf nämlich im Mutterleib sehr wohl gentechnisch untersucht und dann - auch noch spät in der Schwangerschaft - abgetrieben werden.

Die Gegner der PID müssen noch erklären, warum sie dazu Ja gesagt haben und zu Gentests in der Petrischale Nein.


Links zum Thema PID auf dradio.de:

Aktuelles:

Abgeordnete legen Gesetzentwurf zu PID-Tests an Embryonen vor - Überparteiliche Initiative will Rechtssicherheit schaffen

Hüppe: PID "eine Art Menschenversuch" - Behindertenbeauftragter lehnt umstrittene Diagnostik ab

Gesetzentwurf erlaubt Präimplantationsdiagnostik in Einzelfällen - Parteiübergreifende Initiative wird vorgestellt

Zum BGH-Urteil zur Präimplantationsdiagnostik (PID):

Oktober 2010: Deutscher Ethikrat fordert klare Regelung zu Embryonenschutz

Juli 2010: Bundesgerichtshof billigt Präimplantationsdiagnostik

Juli 2010: Nach dem Leipziger Urteil zur Präimplantationsdiagnostik

Juli 2010: "Da wird jetzt eine neue Debatte in Gang kommen" - Zum Urteil des BGH zur Präimplantationsdiagnostik

Für die PID:

November 2010: "Ein Akt für Menschlichkeit" - CDU-Politikerin Heinen plädiert für Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen

November 2010: CDU-Chefin in Brandenburg befürwortet Präimplantationsdiagnostik

Juli 2010: Präimplantationsdiagnostik in den USA Alltag

Oktober 2010: Neuer Gentest erfolgreich bei künstlichen Befruchtungen eingesetzt

Juni 2004: Umfrage belegt Befürwortung der Präimplantationsdiagnostik


Contra die PID:

Dezember 2010: "Die Erfahrung zeigt, man kann es begrenzen" - Ethikratvorsitzender über die Präimplantationsdiagnostik

November 2010: CDU votiert gegen Gentests an Embryonen

Oktober 2010: "Eigentlich bräuchte man kein Gesetz" - Präimplantationsdiagnostik erneut in der Kritik

Oktober 2010: "Dann kann man nicht sagen: Den sortiere ich jetzt aus" - Behindertenbeauftragter kritisiert Präimplantationsdiagnostik

Juli 2010: "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich Ärzte für so was hergeben"

Januar 2007: "Wir wollen ein nicht behindertes Kind!" - Präimplantationsdiagnostik-Tourismus nach Belgien