Das wissenschaftliche Buch stirbt aus

Von Volker Schwarz · 27.07.2012
Autoren und Verlage fragen sich zurzeit: Werden gedruckte Bücher in der wissenschaftlichen Kommunikation noch eine Rolle spielen? Der Verleger Volker Schwarz prognostiziert, dass diese Texte in Zukunft über die elektronischen Medien frei zugänglich sein werden.
Die einen - insbesondere die ältere Generation - können sich mit dem Gedanken, wissenschaftliche Texte nur noch im Internet oder als E-Book zu erhalten, nicht anfreunden. Sie betonen, dass die Leser ein haptisches Bedürfnis haben, das heißt, ein Buch in die Hand nehmen, darin blättern und Anmerkungen anbringen wollen und dass Informationen, die nur am Bildschirm angeboten werden, nur schwer im Gedächtnis hängenbleiben.

Die jüngeren Wissenschaftler dagegen haben ihre Lese- und Informationsgewohnheiten bereits auf die digitalen Medien eingestellt und genießen die Vorzüge des direkten Zugriffs auf die Literatur, ohne Zeitverzug und mit der Möglichkeit, Fundstellen punktgenau zu recherchieren, am eigenen Arbeitsplatz auszudrucken und sie in eigene Manuskripte einzuarbeiten - auch auf die Gefahr hin, damit ein Plagiat zu begehen.

In vielen wissenschaftlichen Institutionen wird bereits heute darauf verzichtet, Qualifikationsarbeiten wie Dissertationen und Habilitationen als Buch vorzulegen. Autoren bieten als sogenannte Selbstverleger ihren Text im Internet an, verlegerische Leistungen wie Lektorat, Korrektur, Textformatierung und Setzerei, Drucken und Buchbinden entfallen dabei.

Die Nachteile, die mit dieser Entwicklung einhergehen sind:
  • ein Text wird nicht mehr auf seine Relevanz hin überprüft oder nach formalen Kriterien korrigiert

  • die Nachfrage nach solchen Texten spielt keine Rolle mehr, jeder kann alles anbieten mit der Gefahr, dass vieles nicht mehr in der wissenschaftlichen Community wahrgenommen wird.
Die eigentliche Leistung eines guten wissenschaftlichen Verlegers, nämlich ein qualifiziertes Programm zu pflegen und gute Autoren zusammenzuführen und damit eine "Marke" zu bilden, findet nicht mehr statt.

Viele wissenschaftliche Verleger sind dazu übergegangen, ihre Publikationen auch online oder als E-Book anzubieten. Die urheberrechtlichen Probleme, die sich aus einem relativ ungeschützten Zugang zu den Texten im Internet ergeben, werden zurzeit in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Als Konsequenz verlangen die Vertreter der "Open-Access-Bewegung" einen kostenfreien Zugang zu allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dieser Meinung schließen sich insbesondere jene wissenschaftlichen Institutionen an, die bisher mit hohen Zuschüssen die Veröffentlichung in Buchform subventioniert haben.

Die Verlage, die bislang vom Verkauf möglichst hoher Auflagen von Büchern und Zeitschriften abhängig waren, müssen nun harte Einschnitte hinnehmen, die in vielen Fällen zur Schließung oder Fusionierung führen. Die wissenschaftliche Verlagslandschaft hat bereits jetzt erheblich an Profil verloren.

Es werden Überlegungen angestellt, ob man entsprechend den Rundfunkgebühren die Nutzung wissenschaftlicher Texte durch Abgaben, die auf elektronische Lesegeräte und deren Standorte zum Beispiel in Bibliotheken erhoben werden, entschädigt. Es ist absehbar, dass ein solches Verwertungsmodell zu unübersehbaren Ungerechtigkeiten bei der Abrechnung führt, dass es nicht der Praxis standhalten wird.

Ich prognostiziere, dass wissenschaftliche Texte in Zukunft über die elektronischen Medien frei zugänglich sein werden und damit auch die Forderung vieler Wissenschaftler erfüllt wird. Inwieweit dann für wissenschaftliche Verlage noch ein Markt existiert, ist noch nicht absehbar. Wahrscheinlich werden wissenschaftliche Texte nur noch dann als Bücher erscheinen, wenn deren Veröffentlichung voll subventioniert wird.

Dr. Volker Schwarz, Verleger - 1942 geboren in Karlsruhe, in den 60er-Jahren Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft in Freiburg, Lausanne und Berlin. Anschließend wissenschaftlicher Assistent am Institut für öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Freiburg.

Von 1974 bis 2002 Geschäftsführer der Nomos-Verlagsgesellschaft in Baden-Baden. Während dieser Zeit von 1989 bis 1992 Vorsitzender des Verlegerausschusses des Börsenvereins, 1992 bis 1996 Präsident der Europäischen Verlegervereinigung in Brüssel und 1993 bis 2002 Vorsitzender des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen in Baden-Württemberg. Ab 2002 geschäftsführender Gesellschafter des Berliner Wissenschafts-Verlags.
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