Das Wirtshaus im Spessart

Von Jürgen Schiller · 26.07.2009
Die neue Reportagereihe "Literarische Plätze" von Deutschlandradio Kultur stellt ab 8. Juli jeweils um 13:05 Uhr berühmte Romanorte vor. Heute: das Wirtshaus im Spessart.
"Es war ein langes, aber niedriges Haus, ein Karren stand davor, und nebenan im Stalle hörte man Pferde wiehern. Am Ofen in einem Armstuhl schlief ein Mann, der seiner Kleidung nach ein Fuhrmann und wohl auch der Herr des Karrens vor der Tür sein konnte. An der andern Seite des Ofens saßen ein Weib und ein Mädchen und spannen."

Christel Niederstenschee schüttelt ihre vollen kurzen hell- und dunkelroten Haare. Christel Niederstenschee weiß alles über das Wirtshaus im Spessart, über Räuber, über Menschen, über Geschichten. Chefin der Freilichtaufführung vom "Wirtshaus im Spessart" und der Spessart Bühne Mespelbrunn.

Die Spessart Bühne Mespelbrunn liegt im selben Gebäude, wie das authentische echte Wirtshaus im Spessart. Direkt an der B8, Aschaffenburg – Würzburg. Genau auf den Stallungen, wo Hauff die Pferde wechselte, spielen sie heute Theater.

"Wir spielen verschieden Stücke, also Boulevardstücke, Komödien, Schwank – wir haben aber auch Fremdbühnen da, also Kabarett .In den letzten zwei Jahren haben wir uns mal an ein Musical herangewagt, das war eigentlich bisher unser größter Erfolg und dieses Jahr gibt es wieder einen Schwank."

Vor dem Schwank haben die Theatergötter erst mal viel Arbeit für die Touristenattraktion "Freilicht vor Mespelbrunner Schlosskulisse" gesetzt. Christel Niederstenschee wirkt etwas gestresst, mit ihren über 60 wahrscheinlich zum letzten Mal Verantwortung für die Inszenierung.

Auf dem schwarzen T-Shirt leuchten zwei Herbstblätter. Hastig überquert sie die B8, steht vor dem Wirthaus im Spessart der Gegenwart: lang gestreckt und flach, heller, bräunlicher Putz, Holzläden, Bierwerbung. Lebendige Vergangenheit, leicht verhuscht, leicht gedrückt, etwas schief. Im Innern: Hintergrundmusik, ein gestandenes Mannsbild von Wirt, ein wunderschöner grüner Kachelofen, "rechtsgebrannt". Und dann die Wirtin. Auf dem Stammtisch ein schmales Heft . Blauer Einband. Hamburger Lesehefte. Hauff. Das Wirtshaus im Spessart. Realität trifft Fiktion.

"Er setzte sich zurecht und wollte eben anfangen zu erzählen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an den Tisch trat. 'Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen', sagte sie. 'Es hat neun Uhr geschlagen, du morgen ist auch noch ein Tag.' 'Ei, so gehe zu Bette', rief der Student 'setze noch eine Flasche Wein für uns hierher, und dann wollen wir dich nicht länger abhalten.' ' Kurz und gut, ihr Herren, macht, dass ihr auf eure Kammern kommt, mir wird die Zeit zu lange, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden.'"

Julia Lamster kommentiert knapp: "Hauffs Märchenstunde", Wirtshausgeschichten. Bei ihr jedenfalls feiern ohne Stechuhr.

""Es kommt wirklich auf die Gesellschaft an, am Stammtisch, da kommt es auf die Gesellschaft drauf an, wie die Stimmung ist. Ist sie gut, dann wird gefachsimpelt, wie das so unter Männern ist, die reden da mit, es sind ja alles Fachgespräche und dann geht es schon mal, dass es 12 Uhr oder länger sein kann. Wenn es gefällt, dann ist es ja in Ordnung."

Die Augen hinter moderner randloser Brille lächeln. Rosa Pullover, eine Kette mit Herz, gläserne Ohrringe, dunkel braune Haare, rechts und nach hinten etwas länger geschnitten, eine witzige Strähne. Ausdruck von Individualität, Durchsetzungsvermögen und von Tradition. Als das Theater 2002 im Hause eröffnet, der versucht sie es mit einer modernen, kleinen Speisekarte. Die Gäste mäkeln, jetzt wieder "Lamster Tradition."

"Eine ganz bürgerliche Küche, weil es die nur noch ganz wenig gibt und das wollen wir so lange wie möglich fortführen. es hat jede Gastronomie ihren eigenen Stil und ich denke mal den Stil, den wir hier im Wirtshaus im Spessart haben, den sollten wir auch so lange wie möglich aufrechterhalten, weil wir dafür bekannt sind. Den neumodischen Kram können sie überall haben, nur dieses Alteingesessene, was es früher mal gegeben hat, das gibt es ja kaum noch und das ist eigentlich schade und das , find ich, sollte man schon ein bisschen aufrechterhalten."

Ein Schoppen Franken, eine Bratwurst mit hausgemachtem Kartoffelsalat – Hauff genießt es damals, 1826. Ein voller Magen, ein voller Kopf - schon ist Märchenstunde: Wirtin böse, Räuber gefährlich, Gesellen edel. Rettung einer Gräfin. Märchenlust pur. Die Schauspielchefin fährt sich durch den roten Schopf, murmelt etwas von Klischee und verfehlter Räuberromantik. Auf der Bühne ist sie die Wirtin, hier Gast, konfrontiert mit der Versuchung, mal einen weiblichen Räuberhauptmann zu spielen.

"Und was machen wir dann mit den Küssen? – Lachen - ach nee, wir haben doch so schöne Männer bei uns, die sollen mal die Räuber spielen."

Ein letzter Schluck, die Schauspielerin auf dem Weg zur Probe, die Wirtin auf dem Weg in die Küche. Draußen eine Märchenwaldkulisse. Ein dichter, fast undurchdringlicher Vorhang aus Bäumen – dann eine Lichtung, ein Tal: grellgrün im Sonnenlicht. Die Bühne für den Spessartbundchef . Hauffs Erzählung ist sein Reiseführer, leicht zerfleddert, viel gelesen.

"Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch diesen Wald. Der eine mochte 18 Jahre alt sein und war ein Zirkelschmied, der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem Aussehen kaum 16 Jahre haben und machte wohl jetzt eben seine erste Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmied schritt wacker vorwärts und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munter, seinem Hund und schien sich nicht viel darum zu kümmern, dass die Nacht nicht mehr fern, desto ferner aber die nächste Herberge sei."

Gerrit Himmelsbach kann kein Wald, kein Räuber, keine Finsternis, kein düsteres Wirtshaus erschrecken. Der Mann hat einen scharfen Verstand, ist Wissenschaftler, Historiker und Archäologe, freut sich über seine Rolle, genießt seinen Wald: die Buchen, die Eichen, die Fichten. Stamm an Stamm wirken sie wie Palisaden, undurchdringlich, düster.

"Es ist vielmehr so, dass der Spessart abgelegen ist, sondern er ist eine Landschaft ganz in der Mitte von Deutschland und ganz nah von Frankfurt. Frankfurt war schon immer eine Messestadt und seit Jahrhunderten sind die Menschen durch den Spessart gezogen, um dorthin zu kommen und natürlich auch von dort weg zu kommen. Deshalb die Strasse, deshalb die Postverbindung auf der auch Hauff seine Weg genommen hat – und diese Verbindung durch den Wald, die war denen, die am Rand gelebt haben , auf der einen Seite Frankfurt, auf der anderen Würzburg schon immer ein wenig unheimlich. Und Räuber, die gab es auf der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert überall. Durch die Napoleonischen Kriege gab es den Schinderhannes im Hunsrück, aber natürlich auch bei uns Räuber und in jedem Mittelgebirge. Nur wir haben es Hauff zu verdanken, dass der Spessart gerade das Mittelgebirge mit den Räubern ist."

Himmelbach, mittelgroß, dichtes, dunkles Haar, 39. Schwarze Jacke, roter Pulli, Jeans. Ein sehr offenes, lebendiges Gesicht. Fan dieser Kulturlandschaft, gestaltet hier Geschichte in moderner Form. Streng wissenschaftlich mit Archäologie, Geschichte und Volkskunde – populär, mit den Menschen der Region. Die öffnen sich, geben etwas von sich, schaffen gemeinsam das Bild einer spannenden Kulturlandschaft 2007, wie 1826 Hauff – oder 1927, am Ende einer Wander- und Zechtour, schreibt Tucholsky: "Hier ist die Zeit stehen geblieben. Wenn Landschaft Musik macht: dies ist ein deutsches Streichquartett".

"Kurt Tucholsky war hier, hat hier eine Nacht im Spessart verbracht und die ist sehr schön literarisch von ihm beschrieben, wird viel zitiert. Aber es gibt auch andere, wie Athanasius Kircher, es gibt mittelalterliche Bezüge, die schon in alten Versepen den Spessart zitieren – schon damals als das Gebirge, in dem die Bäume hoch und lang und dicht stehen.

Robert Gernhard hat hier auf den Spuren von Tucholsky im Spessart Station gemacht in den 60er Jahren und hat selbst eine kleine Broschüre verfasst, in dem er dies zitiert. Fragt sich, wie wird es mit meinem Nachruhm sein und so kamen wir mit ihm in Kontakt und haben gefragt: Herr Gernhardt, möchten Sie nicht auch etwas im Spessart haben, das an Sie erinnert – und er hat gesagt: Natürlich gerne und so kam es zur Setzung der Gernhardt Linde im Jahr 2003 , de heute sozusagen seinen Nachruf verkündet, nachdem er ja leider erst vor kurzem verstorben ist."

Vorbei am Gasthaus mit den leckeren Forellen, an Stallungen, Schuppen mit Brennholz und Wildschweinspuren. Himmelsbach steht vor einer noch schmalbrüstigen Linde, die Erinnerung an den Satiriker, Schriftsteller, "Titanic" Gründervater Gernhardt .Gleich daneben neue Informationstafeln über Literaturwanderwege. Jetzt hofft er auf Anregungen durch junge Autoren.

"Und 'Hänsel und Gretel im Spessart', das war also schon eine sehr, sehr schöne Geschichte – aber wir könnten uns vorstellen- es gibt hier in den Dörfern einige Geschichten, die noch gar nicht richtig ausgeforscht und erzählt worden sind und ich denke, daran werden wir arbeiten, dass das in der Zukunft mal an die Öffentlichkeit tritt und da werden wir viel interessante Zuhörer haben."

Ein eigenartiges Licht: Sonnentupfen zwischen Ästen und Zweigen Reflektionen von Hell und Dunkel. Der Wind jault und pfeift, dann Momente der Atemlosigkeit. Hauffs Fantasie kann sich hier austoben. Überfall im Wirtshaus, Entführung der Gräfin, Rollentausch, Verhaftung, Flucht und Happy End. Räuber sind noch immer und überall. Himmelsbach grinst, verabschiedet sich. Er kennt sie, die Räuber der Moderne.

"Es ist geradezu eine wundersame Vermehrung von Räubern, die wir feststellen können und das in Hessen und in Bayern, mal wieder unabhängig von der Landesgrenze gibt es seit einigen Jahren immer mehr Räubergruppen, die harmlose und ahnungslose Touristen überfallen und sie auf das Schlimmste peinigen , natürlich mit dem köstlichen Spessart Schnaps und da fragt man sich, wo diese Räuber wohl herkommen . Es sind echte Spessarter, die sich hier aufmachen, um den Besuchern zu zeigen, was der Spessart hat und wenn der Besucher einfach vorbeifährt, dann kann man es ihm nicht zeigen, man muss ihn also anhalten und das machen die Räuber auf ihre ganz eigene Weise, um ihre Heimat zu zeigen."

Die Türmchen von Schloss Mespelbrunn schimmern durch den Wald. Vor gräflicher Kulisse treibt eine Furcht einflößende Truppe Touristen zusammen. Artur Köstler ist hier der Boss 1.96, grauer gestutzter Bart, 53, graue Haare. Im Kostüm. Lederwams, Lederhose, spitzes , längliches Hütchen, eine Pfauenfeder. Er ist seinem Element. Endlich kann er chargieren, endlich mal wieder Räuber. Hastiges blättern im Hauff, dann hat er die Stelle. Sein Körper spannt sich, ein leichtes Blinzeln.

"Um dieselbe Zeit hatten die Räuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz der Bande erreicht. Vor einer tiefen Waldschlucht machte man endlich Halt. Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fußpfad, welcher hinunterführte, war so schmal und abschüssig, dass der Anführer oft seine Dame unterstützen musste, um sie vor der Gefahr hinabzustürzen zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von höchstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch hinanstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Hütten waren in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Bäumen aufgebaut."

Artur Köstler genießt die Situation. Überragt alle und alles. Seine Inszenierung. Dabei ist er ein Biedermann im Räubergewand. Filialleiter der örtlichen Sparkasse, also :ein Räuber der Gegenwart, die Sparkasse eine moderne Räuberhöhle.

"Gut. So kann man das vielleicht sehen, auf die lustige Weise. In unserer Spessartbühne sind ja noch mehrere Mitwirkende, die beispielsweise auch auf dem Finanzamt arbeiten und da wird immer gern so ein Brückenschlag gemacht von der Bank oder dem Finanzamt zum Räubertum , wie man manchmal auch sagt, die wahren Räuber, die sind halt auf dem Finanzamt und von daher ist es immer ganz lustig , wenn uns die Gäste nach unseren zivilen Berufen fragen und da sagen wir, im ganz normalen Leben sind wir auch Räuber, der einen bei der Sparkasse, der anderen beim Finanzamt."

Was wir schon immer mal wissen wollten. Köstlers Augenwinkel zwinkern. Ein kleiner Freud im Biedermantel.

"Ja, das ist schon eine verruchte Sache und wenn man sich in die Rolle so richtig hineinversetzt, das macht schon Spaß, so ein verruchtes Leben zu führen."

Das verruchte Leben als wöchentliches Schauspiel. Dazwischen Anzug, Krawatte , ausgesuchte Höflichkeit. Der Herr Direktor als Pendler zwischen Kapital, Kunst und Kommerz.

"Die Sparkasse Aschaffenburg Alzenau ist die größte Bank hier am Untermain und auch einer der größten Arbeitgeber, wir haben über 700 Mitarbeiter und sind auch in vielen Filialen in der Peripherie noch tätig , das heißt, wir versorgen auch den Otto Normalverbraucher in den weiten Spessartgemeinden eben mit unseren Dienstleistungen im Gegensatz zu anderen Banken, die sich zurückziehen , die oft nur noch in Großstädten sind und da tun wir schon für den Bürger was. Die Sparkasse sponsert natürlich auch sehr viel in kulturellem Bereich für Schulen, für Kindergärten, für Behindertenwerkstätten, da gibt es eine endlose Reihe von Geldern, die da auch jedes Jahr fließen."

Angst hat Köstler nur vor räuberischer Realität – aber " das ist Gott sei Dank noch nicht vorgekommen". Also bleibt alles beim Spiel, bleibt das Wissen über das blutige Ende früherer Spessarträuber: Schafott oder Verkauf nach Sibirien, Bergwerksarbeit in Ketten. Jetzt müssen die Touristen durch die Spessarttortur. Köstler später als Perucchio auf der Probebühne vor dem Schloss. Immer wieder zieht es ihn dorthin, eng ist die familiäre Bindung.

"Mein Vater hat damals eine Anstellung im Schloss Mespelbrunn gefunden, als Gärtner und haben dann auch im Schloss Mespelbrunn gewohnt. Meine Schwester ist dort am 1. Mai 1947 auf die Welt gekommen. Ich hatte leider das Glück nicht mehr – aber trotzdem ist es eine schöne Geschichte und wir haben deshalb auch eine sehr enge Verbindung zur gräflichen Familie und auch zum Schloss Mespelbrunn."

Fast ein Märchen von Hauff, erzählt im Wirtshaus, um die Nacht zu überleben. Köstler vor der Bilderbuchkulisse, ein Märchenort: Marke verträumtes Wasserschloss. Renaissancebau mit Türmen, Kuppeln, Treppengiebeln, Bögen, Brücken und Erkern. Das Zimmer zum Innenhof : ein wunderschöner bunter Frühlingsstrauß, Porträts über Porträts, Stiche, Spiegel, Familienfotos. Hinterm Ofengitter kein Brennholz, sondern edle Schnäpse. Renaissance und Barock auf engstem Raum. Hier sitzt sie und wartet: Gräfin Antoinette von Ingelheim, Hausherrin. Endlich mal, Gelegenheit Hauff zu lesen. Damals, als Kind, ist sie bei der Verfilmung im Schloss dabei, begegnet Lilo Pulver. Jetzt zum ersten mal das Original. Wilhelm Hauff.

"Die Gräfin, eine Dame von etwa 40 Jahren, trat vor Schrecken bleich zu dem Studenten heraus und ließ sich alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser misslichen Lage zu tun sei, und beschloss, so behutsam als möglich die zwei Bedienten, den Fuhrmann und die Handwerksburschen herbeizuholen, um im Falle eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu können. Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Gräfin gegen den Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stühlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bett, und die zwei Bedienten hielten bei ihr Wache."

Die Augen von Antoinette blitzen, die Wangen leicht gerötet. Sie lehnt sich zurück, ist zufrieden. Räuberspielen schon immer eine Leidenschaft, als Kind auf der Bühne vor der Schlosskulisse dabei. Das liegt im Blut, bei der Familie ist nichts auszuschließen.

"Ich fürchte, die Echters, die ja hier das Haus gebaut haben, waren auch schon so eine Art Spessart Räuber und wurden berüchtigt, haben sich hier im Spessart verschanzt und sind dann später aufgestiegen und haben sich dann auf die gute Weise geschlagen. Aber so lange. könnte ich mir vorstellen, haben die schon eine Menge Wirbel veranstaltet. Ob die nun Kutschen überfallen haben weiß ich nicht, aber ich fürchte fast. Das ist Teil der Familienchronik."

Antoinette, die Gräfin, graues Leinenjackett, helle graue Hose stellt die Kaffeetasse beiseite, ist im leichten Stress. Die Kinder, das jüngste erst im Januar geboren, am Nachmittag in das andere Domizil, ins Rheinland. Also ein schneller Blick ins Kinderzimmer, dann hinunter in den Innenhof, den mag sie besonders.

"Das macht Spaß – gerade abends, wenn dann hier so eine Stille ist, eben keine Menschen mehr da sind, das liebe ich hier im Hof. Dann sitzen wir mit den Kindern hier, die fahren dann Bobby Car oder mit ihren kleinen Rädern und mir bleibt immer das Herz sehen, wenn sie mit Vollgas auf den See zu fahren und in letzter Sekunde bremsen. Das ist sie, das ist die Isabella. Schi: Hallo . Gräfin: Sag mal Hallo / Isabella: Hallo."

Alles ist natürlich. Touristen als staunende Kulisse. Alltag im gräflichen Schloss.

"Also das erste, was sich viele Leute nicht vorstellen können, so ein Haus darf eigentlich nicht alleine sein, also es muss immer einer hier sein, ob das meine Mutter ist, sie ist die Hausfrau hier oder ich, wenn ich sie abwechsle , das ist das eine – das heißt, wenn wir in Ferien fahren, können wir nicht einfach zumachen , das geht nicht, wir müssen das alles organisieren. Was gehört noch dazu: na ja, morgens geht es hier los, um 9 Uhr stehen die Touristen auf der Matte – das geht dann bis nachmittags, abends muss dann alles wieder hergerichtet werden für den nächsten Tag – es muss alles Tipp Top in Schuss sein. Wenn der Putz bröckelt und es gibt keine Ecke, wo er nicht bröckelt, dann muss man schnell hinterher sein. Das ist das wichtigste eigentlich bei den alten Häusern, das man da nicht aufhört es zu pflegen- immer, das ganze Jahr über, die Jahrhunderte lang und dann steht es auch länger."

Zwischen Kies, Kaugummi und Kippen. Alltag im Schloss Mespelbrunn. Öffentliches Leben im privaten Umfeld. Ihre glasklarenhellen blauen Augen strahlen.

"Also, ich bin ja damit aufgewachsen, also für mich ist es komisch, wenn ich keine Menschen sehe. Lästig wird es, wenn man mal mit Kaffee und Kuchen in den Park möchte und man sich erst mal seinen Weg freikämpfen muss. Aber ich denke mal für meine Mutter war es schwierig, die ist ja hier hingekommen als erwachsene Frau und musste sich erst mal damit arrangieren, dass sie eigentlich ein öffentliches Leben führt. Aber für uns als Kinder war es nie ein Problem – mein Mann hat wieder Schwierigkeiten damit, der ist es halt nicht gewohnt und das merkt man dann auch – er kriegt dann Beklemmungen, wenn der Hof voller Leute, die er nicht kennt – aber er schlägt sich tapfer und meine Mutter hat sich auch dran gewöhnt im Laufe der Jahrzehnte – das gehört dazu – wir müssen das machen und ich finde es auch schön und das Haus lebt davon."

Gelassenheit ist erste Gräfin Pflicht. Isabella rennt über den Hof. Antoinette hinterher. Hinein in den linken Schlossflügel, vorbei an Touris, hin zum wichtigsten Zimmer für die Gräfin.

"Es ist von großer Bedeutung für die Familie, weil hier Julius Echter auf die Welt gekommen ist- auf dem einen Bild ist er sogar in Lebensgröße zu sehen. Julius Echter hat i Würzburg die Universität gegründet, das Julius Spital, war Verfechter der Gegenreformation, hat sich damit nicht nur Freunde gemacht und soll eben hier in diesem Raum auf die Welt gekommen sein. Sein Taufkleid, seine Bibel. Hier in der Vitrine zum Beispiel ist ein Schrumpfkopf aus Südamerika , lauter Münzen und das jüngste Stück, das wir jetzt einbringen werden, ist das Bundesverdienstkreuz, was mein Vater verliehen bekommen hat- da haben wir beschlossen, das muss auch hier dazu."

Ihr Vater , Albrecht Graf von Ingelheim, Bezirkstagspräsident von Unterfranken. Beliebt, populär, erfolgreich. Symbol für die Einheit eines zweigeteilten Regierungsbezirks. Anfang 2007 stirbt er. Die Tochter zögert noch, ob sie in die Politik will. Werbung, Kommunikation, all das hat sie drauf. Politik mit Fragezeichen. Aber vielleicht das Wirtshaus im Spessart mal als modernes Märchen.

"Ich liebe Schreiben, ich habe als Kind schon Geschichten geschrieben aber am Ende habe ich immer Schwierigkeiten gehabt, also die Geschichten zu Ende zu bringen - aber das würde mich wahnsinnig interessieren- vielleicht mal."

"Erzählen", hat Hauff gesagt, erinnert sie sich, "öffnet einen Raum der Freiheit" und den will sie nutzen. Gräfin Antoinette und die Kinder vorbei am kleinen See mit zwei Schwänen, drei Enten und 124 Forellen, durch das Echter Tor, das Wappen leuchtet: blau, goldgelb und rot. Die Echters von Mespelbrunn wieder in ihrem Schloss. Ein Märchen wird Realität. Die Bühne für das Freilichttheater mit dem "Wirtshaus im Spessart" wird aufgebaut.

Wilhelm Hauff Das Wirtshaus im Spessart

Hamburger Lesehefte Verlag 102. Heft
Husum/Nordsee
ISBN 3-87291-101-5