"Das, was wir in Cancun brauchen, ist ein Durchbruch"

Jochen Flasbarth im Gespräch mit Gabi Wuttke · 31.05.2010
Der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hat auf die Notwendigkeit einer Strategie zur Abfederung der Folgen des Klimawandels hingewiesen. Man müsse sowohl den Klimaschutz voranbringen als sich auch auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten, sagte Flasbarth zu möglichen Zielen des UNO-Gipfels im mexikanischen Cancun.
Gabi Wuttke: Sie kommen heute wieder zusammen, wieder mit viel Papier im Gepäck und ebenso vielen Sorgen: die Beamten, die den nächsten Weltklimagipfel im November in Mexiko vorbereiten sollen. Ein Durchbruch in Cancun, um doch noch Klimaschutzziele festzuschreiben? Die Skepsis ist so groß wie berechtigt. Nicht nur in Bonn, auch in Dessau ist der Klimawandel heute Thema.

Dabei geht es um eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, die das dort ansässige Bundesumweltamt vor eineinhalb Jahren für die Bundesregierung erarbeitet hat. Seit einem dreiviertel Jahr wird die Behörde von Jochen Flasbarth geleitet, jetzt ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Flasbarth.

Jochen Flasbarth: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Wenn wir uns dem Klimawandel anpassen, wozu brauchen wir dann noch Cancun?

Flasbarth: Ja. Die beiden Strategien gehören ja zusammen. Das, was wir in Kopenhagen nicht sehr erfolgreich verhandelt haben und in Cancun jetzt weiterführen werden – hoffentlich mit etwas größerem Erfolg -, geht ja davon aus, dass die weltweite mittlere Temperatur nicht mehr als zwei Grad steigen soll.

Das heißt, die Verhandlungen, selbst wenn sie erfolgreich sind, unterstellen einen Klimawandel von zwei Grad, der selbst durch ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen kaum noch abgewendet werden kann. Und deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen, was bedeutet das dann eigentlich, wenn wir diesen Anteil des Klimawandels hinnehmen, oder, wenn man noch etwas weiter denkt, was würde es eigentlich bedeuten, wenn wir nicht erfolgreich sind, wenn also der Klimawandel doch ungebremster kommt, als wir es uns alle erhoffen.

Wuttke: Aber sich in den schon entstandenen Schäden einzurichten, heißt das nicht zum Beispiel für Cancun, den Dampf aus dem Kessel zu lassen?

Flasbarth: Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht, denn die Klimaverhandlungen gehen alle davon aus, dass wir einen bestimmten Anteil aufgrund der Emissionen, der Treibhausgasemissionen der letzten Jahrzehnte schlichtweg naturwissenschaftlich nicht mehr anwenden können, oder das nur mit so großem Aufwand tun könnten in Teilen, dass dies nicht mehr darzustellen ist. Das, was wir in Cancun brauchen, ist ein Durchbruch, die zwei Grad einzuhalten, und das ist schwierig genug.

Das bedeutet für die Industriestaaten, dass wir eine CO2-, eine Treibhausgasminderung bis Mitte dieses Jahrhunderts um 80 bis 95 Prozent hinbekommen müssen und dass auch die Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer ihren Zuwachs systematisch reduzieren und dann auch in Minderungen übergehen.

Das ist die schwierige Herausforderung Cancuns, und die ist beileibe schwierig genug. Nun geht es darum zu sagen, das bedeutet aber implizit, wie Sie zurecht darstellen, dass wir doch ein bestimmtes Ausmaß an Klimawandel hinnehmen, und das ist so. Ja, das hat die Gesellschaft bereits entschieden.

Wuttke: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass die Gesellschaft das schon entschieden hat, dass sich in Deutschland alle der Situation gegenwärtig sind, dass wir uns längst im Klimawandel befinden?

Flasbarth: Das glaube ich schon, dass es dafür ein Bewusstsein gibt. Umgekehrt kann man sagen, dass sehr ambitionierter Klimaschutz ja auch regelmäßig gewisse Widerstände in der Gesellschaft heraufbeschwört. Nehmen Sie den Verkehrssektor; sobald sie dort mit.

Wuttke: Herr Flasbarth? – Hallo? – Hallo, hallo? – Ganz offensichtlich ist uns jetzt Herr Flasbarth in der Telefonleitung verloren gegangen. Wir versuchen, ihn gleich noch mal zu erreichen.

Herr Flasbarth, wer immer uns da gerade auch auf der Telefonleitung stand, lassen Sie uns, weil wir nicht mehr allzu viel Zeit haben, auf das kommen, was heute in Dessau Thema sein wird. Es ist nämlich geplant, diese Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, also die zweite Seite der Klimaschutz-Medaille zu besprechen. Geplant ist, dass die Bundesregierung diesen Plan, diese Strategie Ihrer Behörde im nächsten Jahr institutionalisiert. Was schlagen Sie der Politik aus heutiger Sicht vor?

Flasbarth: Es gibt ja eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel. Die hat das Bundeskabinett beschlossen. Und nun geht es darum, 2011 einen Aktionsplan in Kraft zu setzen. Der soll dann ganz konkret Maßnahmen entwickeln und darstellen, wie wir uns in den verschiedenen Sektoren anpassen können. Nehmen Sie die Landwirtschaft.

Wir werden in Teilen Ostdeutschlands, gerade im Umfeld um Berlin, in Brandenburg, mit sehr viel weniger Niederschlägen zu rechnen haben, und das ist ja ohnehin schon eine sehr stark durch Trockenheit betroffene Region. Das heißt, hier müssen wir mit anderen Aussaatterminen, mit anderem Saatgut, mit einer sehr viel sorgfältigeren Bodenbehandlung versuchen, diese Probleme so gut es irgendwie geht in den Griff zu kriegen.

Wuttke: Wenn wir im hier und jetzt und in Brandenburg bleiben, hat die Politik von Bund und Ländern wirklich Grund, sich beim derzeitigen Hochwasser zufrieden auf die Schulter zu klopfen? Auch das ist ja eine Frage der Anpassung.

Flasbarth: Ja, das ist wohl wahr. Auch ich hätte mir erhofft, dass man doch noch deutlichere Konsequenzen zieht. Das haben wir ja an der Oder, an der Elbe gesehen. Nun knüpfe ich an die Frage an, die Sie eben gestellt haben: Ist die Gesellschaft eigentlich schon bereit? Ich weiß ja, dass die Brandenburger Behörden auch in Zusammenarbeit mit dem Bund sich sehr bemühen, auch zusätzlichen Ausbreitungsraum für das Wasser, also zusätzliche Überflutungsflächen zu schaffen. Dabei gerät man natürlich in Konflikten mit Eigentümern, mit Menschen, die da wohnen, mit Menschen, die da wirtschaften, und deshalb braucht dies leider Gottes relativ lange Zeit.

An der Elbe haben wir zwei größere Retentionsräume neu geschaffen, an der Oder ist auch einer geschaffen worden. Aber es geht zu langsam, das ist richtig. Das liegt aber nicht nur an Politik, sondern das liegt auch daran, dass Menschen schnell vergessen und meinen, es kommt dann vielleicht doch nicht demnächst wieder so schlimm.

Wuttke: Sie sagen jetzt, das Ganze braucht Zeit. Das ist ein Aspekt dieser Problematik. Der andere ist, dass wir jetzt gerade über eine nationale Strategie zum Schutz vor dem Klima sprechen. Wenn solche Vorhaben nicht globalisiert werden, dann stellen sich - und da kommen wir letztlich doch wieder auf Cancun zurück - umweltflüchtige Staaten doch erst recht auf die Hinterbeine, oder?

Flasbarth: Nein. Ich meine, wie ich schon anfangs sagte: Wir müssen beides tun. Wir müssen natürlich engagiert den Klimaschutz voranbringen, und das ist die günstigste, die volkswirtschaftlich und weltwirtschaftlich günstigste Methode, diese Themen in den Griff zu bekommen. Soweit man das nicht schafft, wird man sich auch über Anpassungsmaßnahmen bei uns unterhalten müssen und natürlich noch mehr in Staaten, die durch ihre Geographie, beispielsweise weil sie ganz überwiegend in Überschwemmungs-, in Überflutungsgebieten liegen, noch sehr viel mehr sorgen müssen, und weil es arme Länder sind ganz häufig, wo auch häufig die Mittel fehlen, und das ist dann wieder ein anderer Teil der Cancun-Verhandlungen, wie viel sind die Industriestaaten bereit, dann nun auch tatsächlich an Unterstützung zu zahlen.

Wuttke: Aber trotzdem: Das Nationale kann doch nicht das Globale sozusagen hinten rüberkippen. Die Gefahr besteht doch, oder?

Flasbarth: Nein, die Gefahr besteht nicht. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen natürlich den Klimaschutz engagiert betreiben, und ich glaube, dass die Bundesregierung hier ganz sicher zu den Treibern gehört.

Da gibt es andere Akteure, die zurückhaltender sind bis bremsend. Aber es nützt uns nichts, nur dies zu tun, weil wir wissen, dass wir einen Teil des Klimawandels nicht mehr abwenden können, und deshalb müssen wir uns an den Küsten kümmern, wir müssen uns überlegen, ob wir die Flüsse weiter so bewirtschaften können, ob alle Flüsse tatsächlich zukünftig auch noch für die Binnenschifffahrt so geeignet sind.

Wuttke: Herr Flasbarth, jetzt müssen wir. Gleich, in einer Viertel Minute, gibt es die Nachrichten. Ich danke Ihnen für dieses Interview mit Musik, mit dem Präsidenten des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur.