"Das war wirklich eine Institution"

Moderation: Jan-Christoph Kitzler · 11.12.2012
Mit dem Streit unter den Suhrkamp-Eigentümern werde ein Stück "deutsches Kulturerbe" aufs Spiel gesetzt, warnt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie. Der Verlag habe das intellektuelle Leben in Deutschland geprägt und zu einer geistigen Befreiung der Bundesrepublik beigetragen.
Jan-Christoph Kitzler: Gerichtsprozesse sind immer dann besonders unangenehm, wenn man den Eindruck hat, denen, die sich da streiten, geht es nicht um die Sache, sondern einfach nur darum, Recht zu bekommen. So ist das auch im Prozess um den Suhrkamp Verlag: Da streitet sich die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz mit dem zweitgrößten Anteilseigner, mit Hans Barlach, einem Enkel des Bildhauers Ernst Barlach. Beide Seiten sehen sich, so hat es der Richter wortwörtlich festgestellt, gegenseitig als die "Inkarnation des Bösen". Und gestern gab es einen Paukenschlag im Reigen der Prozesse: Das Berliner Landgericht hat angeordnet, dass sich Ulla Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin vom Suhrkamp Verlag zurückziehen muss.

Der Streit wird weitergehen, weitere Etappen sind vorgesehen, und jetzt wird schon ein Ende von Suhrkamp befürchtet. Darüber spreche ich jetzt mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie, er leitet das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen an der Universität und hat selbst im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Schönen guten Morgen, Herr Leggewie!

Claus Leggewie: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Ich möchte Ihnen gleich zu Beginn mal eine vielleicht etwas moralische Frage stellen: Kann man eigentlich einen so großen, so wichtigen Verlag wie Suhrkamp vor die Hunde gehen lassen, einfach nur, um Recht zu bekommen?

Leggewie: Das sollte man nicht. Es gibt diesen berühmten Spruch: Eigentum verpflichtet. Und das sollten sich die beiden unters Kopfkissen legen. Ich glaube, hier wird ein zumindest deutsches Kulturerbe, wenn nicht ein Weltkulturerbe aufs Spiel gesetzt durch einen sehr kleinlichen Streit.

Kitzler: Weltkulturerbe ist natürlich ein großes Wort, heute kann man ja in den Feuilletons unter anderem lesen, Suhrkamp sei eine geistige Instanz in der Bundesrepublik gewesen. Wie würden Sie denn die Rolle dieses Verlages in der Nachkriegszeit beschreiben?

Leggewie: Das kann man nicht anders sagen, das war, als Suhrkamp nach 1945 – das war ja auch schon ein Streit mit dem S. Fischer Verlag – loslegte, war das von vornherein ein ganz wichtiger Verlag, sowohl für die Belletristik – nicht nur die deutsche, sondern auch die ausländische –, wie aber auch für die wissenschaftlichen Autoren. Das war, als hätte man ein Fenster geöffnet. Es war so, dass tatsächlich hier ein frischer Luftzug durch die deutsche Kulturlandschaft der 50er-Jahre hindurchging.

Einer der Autoren war Brecht, der damals in Westen noch als Pinscher verunglimpft werden durfte – für meine Generation der, sagen wir mal, zwischen 1940 und 1960 Geborenen war das in der Tat ein großer Auftritt, den speziell dann der Verleger Unseld hingelegt hat: Hesse, Brecht, Frisch, Walser, Enzensberger, Handke, Bachmann, bis hin zu Rainald Goetz, Thomas Meinecke – alle sind dort veröffentlicht worden. Was man damals lesen konnte, James Joyce oder Marcel Proust, auch das erschien alles im Suhrkamp Verlag.

Das war wirklich eine Institution, das war eine Art geistige Befreiung der Bundesrepublik, dann natürlich auch mit den ganzen kritischen Theoretikern, ob das die Frankfurter Schule, Ernst Bloch, aber auch Wittgenstein, dann die Franzosen, Bourdieu, Foucault und dergleichen, waren. Also Sie sehen, da ist der ganze Gotha der europäischen und internationalen Geistesgeschichte der Wissenschaft vertreten gewesen. Insofern war das eine Instanz, die wirklich das intellektuelle Leben in Deutschland geprägt hat.

Kitzler: Und auch ein Verlag, der über deutsche Grenzen hinaus, auch international, sehr, sehr wichtig ist. Es gibt ja immer wieder, so ist es zu lesen, diesen Begriff der speziellen Suhrkamp-Kultur. Was ist eigentlich damit gemeint?

Leggewie: Na ja, das hat George Steiner damals gesagt, ein großer Kritiker. Damit ist bezeichnet das Zusammenfallen einer bestimmten Ästhetik – nehmen Sie die bunten Einbände der Edition Suhrkamp, die von Willy Fleckhaus gestalteten Auftritte dieser Suhrkamp-Bücher – von der Bibliothek bis hin zur Edition Unseld oder dem Verlag der Weltreligionen. Das sind sehr schöne Bücher, die hat man gerne in der Hand, die schlägt man gerne auf, mit einer bestimmten Typografie auch, und das eben verbunden mit einem gewissen intellektuellen Flavor, der jetzt nicht nur eine bestimmte Nische bedient, sondern der wirklich dann auch den Mainstream gebildet hat. Insofern bezeichnet er damit eine wichtige kulturelle Etappe in der Entwicklung der Bundesrepublik, die eben mit dem Namen Suhrkamp und Unseld verbunden war.

Kitzler: Der Streit wird jetzt ja vor Gericht ausgetragen – Ergebnis noch offen –, aber könnte man nicht auch sagen, das ist ein Ausdruck davon, dass vielleicht die Zeit der großen Verlage auch in anderen Ländern, die gesellschaftliche Debatten geprägt haben, nicht nur eben in Deutschland, so langsam, aber sicher, zu Ende geht?

Leggewie: Das ist leider wahr, und ich kann nur an der Stelle auch sagen: Leute, lest Bücher, und kauft sie nicht nur bei großen Versandhäusern, sondern geht in die Buchhandlungen. Es ist wirklich so, dass wir nicht nur im Bereich des Verlagswesens und auch bei den Zeitungen tatsächlich in eine gewisse Endzeit hineinkommen. Es wird das Printwesen nicht mehr in der Weise gewürdigt, wie es das verdient. Wir haben in Deutschland eine einzigartige Verlags-, Zeitungs-, aber auch Theatermusiklandschaft, und wir sollten langsam begreifen, wie wichtig das ist, nicht nur als Standortfaktor für die Kreativwirtschaft in Deutschland, sondern für unsere geistige Entwicklung, für unsere ästhetische Erziehung, und ich kann hier insbesondere nur die jüngeren Hörerinnen und Hörer auffordern, tatsächlich mal in die Buchhandlung zu gehen, ein Suhrkamp- oder auch ein Hanser-, Rowohlt- oder wie auch immer, ein S.-Fischer-Buch zu kaufen. Es ist wirklich schade, dass wir sehr vieles wirklich nur noch auf dem Bildschirm zur Kenntnis nehmen, in Häppchen. Hier geht tatsächlich etwas zu Ende, ich weiß nicht, ob ich jetzt sehr kulturpessimistisch klinge: Ich möchte ein bisschen von meiner Begeisterung für solche Bücher und für solche Printprodukte vermitteln und sagen, es lohnt sich.

Kitzler: Lest Bücher, das also der Appell von Claus Leggewie, dem Politikwissenschaftler. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Leggewie: Ich danke auch!

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