Das vorläufige Ende finanzieller Sicherheit

Von Georg von Wallwitz · 26.01.2012
Glücklicherweise ist die Marktwirtschaft ein enorm flexibles Tier. Sie denkt gar nicht daran, an ihren Widersprüchen zu Grunde zu gehen, auch wenn Marx das so prophezeit hat. Wenn der Strukturbruch vorbei ist, wird es wieder Sicherheit geben, aber sie wird anders aussehen, als es sich die Mehrheit heute denkt.
Der Kapitalismus ist eine instabile Angelegenheit und gerät immer wieder in Krisen. Marx hat zwar nicht als Erster festgestellt, dass die Krise zum Programm gehört, aber er hat sie am griffigsten beschrieben.

Im Kommunistischen Manifest prägte er das Bild vom rasenden Kapital, wie es auf der Jagd nach immer höherer Rendite rastlos den Erdball umkreist: "Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus."

So können wir auch heute wieder seufzen. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, in der sich viele Wege der vergangenen Jahre als Sackgasse herausstellen. Bis zur Lehman-Pleite galt der Markt als Lösung für alles, aber heute wollen wir nichts mehr von ihm wissen. Er hat dramatisch an Ansehen eingebüßt, der Staat hingegen ist wieder wer. Der Staat hat uns aus dem Schlamassel gerettet und gilt nun als einzig sichere Bank im Lande.

Umso schärfer trifft uns die Nachricht, dass die Ratingagentur Standard & Poor‘s an so tugendhaften Staatswesen wie Österreich oder Frankreich zweifelt. Während die Herabstufung der USA im vergangenen Sommer noch weit weg war, geht uns diese Geschichte sehr viel näher. Da sind wir gerne geneigt, an eine finstere angelsächsische Verschwörung zu glauben.

Der Mensch hat gerne letzte Sicherheiten. Dazu hat er die Religion erfunden, aber auch philosophische Strömungen wie Materialismus oder Rationalismus. Was für die Seele gilt, gilt für das liebe Geld aber schon lange. Finanziell ist der Staat unsere letzte Sicherheit, er soll uns vor den großen Lebensrisiken abschirmen. Was aber, wenn die Staatsfinanzen nicht mehr sicher sind? Was bedeutet es, wenn die Sparer, früher Rentiers genannt, zur Kasse gebeten werden?

Staaten haben in der Geschichte immer wieder Möglichkeiten gefunden, sich von ihren Schulden mehr oder weniger elegant zu befreien. Französische Könige haben im Mittelalter, wenn die Not groß war, ihre Bankiers enthauptet und sich so der Schulden entledigt. Nun droht das Messer erneut auf die Gläubiger niederzufahren, aber moderner, in Form von Inflation oder als ordentliche Staatspleite.

Nicht nur die Sparer haben ein Problem. Alle Empfänger staatlicher Transferleistungen, vom Rentner bis zum Kindergeldempfänger müssen sich um ein Lebensrisiko Gedanken machen, das sie bislang an die Gemeinschaft ausgelagert hatten.

Der Leistungsempfänger kann nur beten. Der Sparer macht sich aber hektisch auf die Suche nach vermeintlich "echter" Sicherheit und hofft, dass er nicht zu spät kommt. Gold hat sich versechsfacht in den letzten Jahren. Immobilien können, wie Amerikaner und Spanier kürzlich herausgefunden haben, ebenfalls im Wert fallen. Bei Lebensversicherungen, Riesterrenten etc. wird die Rendite bei niedrigen Zinsen weitgehend von den Gebühren der Anbieter gefressen.

Was bleibt? Kunst? Wald? Wein? Briefmarken? Der Phantasie ist auf der Suche nach einem Hafen keine Grenze gesetzt. Oder vielleicht doch Aktien? Die börsennotierten Gesellschaften in den entwickelten Ländern haben Geldreserven in Höhe von 7 .500 Milliarden Dollar angehäuft und stehen vielfach erheblich besser da als die Länder, in denen sie beheimatet sind. Aber: Auch wenn's weh tut, manchmal muss man Unsicherheit einfach akzeptieren.

Glücklicherweise ist die Marktwirtschaft ein enorm flexibles Tier. Sie denkt gar nicht daran, an ihren Widersprüchen zu Grunde zu gehen, auch wenn Marx das so prophezeit hat. Wenn der Strukturbruch vorbei ist, wird es wieder Sicherheit geben, aber sie wird anders aussehen, als es sich die Mehrheit heute denkt.

Bis es so weit ist, werden sich Rentiers und Leistungsempfänger etwas mehr Gedanken machen müssen, wie das Geld eigentlich erwirtschaftet wird. Vom Himmel fällt es jedenfalls nicht. Eine gelegentliche Begegnung mit der Realität ist aber vielleicht gar nicht so schlecht.

Georg von Wallwitz, Fondsmanager und Autor, geboren 1968 in München, studierte Mathematik, Philosophie und Irankunde. Nach der Promotion und einem wissenschaftlichen Jahr an der Universität Princeton /USA wurde er Fondsmanager, zunächst bei einer Münchner Privatbank, dann ab 2004 selbständig als Teilhaber der "Eyb&Wallwitz Vermögensmanagement". Über die Finanzwelt.schreibt er auch: als Analyst ein regelmäßiges "Börsenblatt für die gebildeten Stände" und als Autor das Buch "Odysseus und die Wiesel" (Berenberg Verlag Berlin).

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