Das verkannte Hauptwerk

Gast: Jens Malte Fischer / Moderation: Olaf Wilhelmer · 23.05.2010
2010 der 150. Geburtstag, 2011 der 100. Todestag: Die Musikwelt begeht in den nächsten Monaten gleich zwei Gustav-Mahler-Jubiläen. Gefeiert wird ein Komponist, der nach langer Geringschätzung heute im Zentrum des sinfonischen Repertoires steht. Nur mit der achten Sinfonie tut sich die Nachwelt schwer - ausgerechnet mit jenem Werk, das Gustav Mahler selbst für sein wichtigstes hielt.
Theodor Adornos Wort von der "Riesenschwarte" haftet Gustav Mahlers achter Sinfonie noch immer an – und dieses Wort aus dem Jahr 1960 hat Gewicht, denn eigentlich zählt Adorno zu den wichtigsten Fürsprechern des lange Zeit vernachlässigten Komponisten. Doch nach 1945 hatte man sich einen Mahler zurechtgeliebt, dessen Werk wie geschaffen schien für den kritischen Neuaufbau des Musiklebens nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus.

Und dann das: Eine "Sinfonie der Tausend", eine Kantate monumentaler Festlichkeit, eine diffuse Verknüpfung des mittelalterlichen Pfingsthymnus "Veni creator spiritus" ("Komm, Schöpfer Geist!") mit der letzten Szene aus dem zweiten Teil von Goethes "Faust". Keine Frage: Die Achte ist die unbeliebteste Sinfonie Gustav Mahlers. Doch je mehr man sich mit ihr beschäftigt, desto faszinierender werden die Querbezüge, desto deutlicher der Zusammenhang mit Mahlers Spiritualität, die in vielen Briefen eindrucksvoll dokumentiert ist.

Die aufführungspraktische Interpretation dieser Sinfonie ist zunächst eine Frage der dirigentischen Koordinationsleistung – gilt es doch, ein großes Orchester, drei Chöre und acht Gesangssolisten zusammenzuhalten. Die Aufnahmen – von Horenstein und Mitropoulos über Kubelik und Bernstein bis zu Boulez und Rattle – unterscheiden sich voneinander eher in der allgemeinen Haltung zum Werk (und natürlich auch in der Auswahl der Sänger).

Gesprächsgast im Studio ist Jens Malte Fischer, emeritierter Professor für Theaterwissenschaft aus München – für das große Thema "Mahler und Goethe" ideal qualifiziert durch seine Beschäftigung mit der Bühne wie auch dadurch, dass ihm mit seinem umfangreichen Buch "Gustav Mahler – Der fremde Vertraute" ein biografisches Standardwerk gelungen ist.