Das Unheil vorausgesehen

08.11.2013
Der Schriftsteller Maxim Biller versetzt sich in den verkannten Kollegen Bruno Schulz, der von einem Gestapo-Mann ermordet wurde. Dabei schafft Biller surreale Szenen, in denen er sich zuweilen zu verheddern droht. Am Ende ist man aber froh, die Novelle gelesen zu haben.
Seine Fresken waren es, die Bruno Schulz Jahrzehnte nach dem Krieg berühmt gemacht haben - einst in Auftrag gegeben von einem SS-Mann für dessen Villa. Doch Bruno Schulz war nicht nur Künstler, er war auch Autor von kleineren Prosawerken. Der Galizier war dabei aber kein Chronist jüdischen Lebens in einer osteuropäischen Kleinstadt, sondern ein Autor, der ebenso in Berlin oder Paris hätte schreiben können. Und was hätte er noch schreiben können!

1942 wurde er von einem Gestapo-Mann auf offener Straße erschossen, kurz bevor er aus der kleinen polnischen Stadt Drohobycz fliehen konnte. Er hatte bis zu seinem Fluchtplan den Ort kaum verlassen. Der Bruno Schulz, den Maxim Biller hier in seiner Novelle zeichnet, ist ein den Menschen abgewandter, kränkelnder und melancholischer Mann, der am Ende eine düstere Ahnung hat.

Maxim Biller verwebt Bruno Schulz' Leben gekonnt mit seinem literarischen Werk, mit den Stoffen seines Schreibens: dem existenziell empfunden Alleinsein, der Bindungsunfähigkeit, der Dominanz der Frauen, den Überforderungen und Depressionen. Auch literarische Motive von Schulz tauchen in dieser Novelle auf, etwa beseelte Vögel oder Droschken mit wild gewordenen Kutschern - Maxim Biller schafft surreale Szenerien.

Er zeigt auch einen Bruno Schulz voller Angst. Sie setzt sich, wie Biller schreibt, "in seinem Bauch fest - ja, dort saß sie am liebsten, ein großer, warmer, grauer Klumpen, der sich unaufhörlich rasselnd drehte."

Maxim Biller nutzt aber auch die Gelegenheit für eine Abrechnung mit Thomas Mann. Er lässt seinen Protagonisten einen Brief an den berühmten Kollegen verfassen. Das Schreiben an den "sehr verehrten Herrn Thomas Mann" soll eigentlich eine Ehrerbietung sein, gerät aber zur Abrechnung mit dem öffentlichen Desinteresse des großen Nobelpreisträgers an den massenhaften Opfern des Naziterrors, trotz seines Exildaseins, das sich aber eher im geistigen Widerstand erschöpfte.

Die literarische Figur Bruno Schulz beobachtet einen Doppelgänger von Thomas Mann in seinem Ort, einen, der sich als der berühmte Autor ausgibt, aber offenbar völlig von Sinnen ist. Vielleicht nur ein Fantasieprodukt von Bruno Schulz? Dies bleibt offen, wie so vieles Irritierende in Maxim Billers Novelle. Zuweilen droht sich Biller auch zu verheddern im selbst geschaffenen Fantasiegestrüpp.

Am Ende aber ist man froh, sich für die gerade mal 69 Seiten Zeit genommen zu haben - für diesen Parforceritt durch die Vorstellungswelt eines Zeichners und Schriftstellers, der versuchte in einer Welt zu bestehen, die ihn nicht wollte.

Besprochen von Vladimir Balzer

Maxim Biller: Im Kopf von Bruno Schulz
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
80 Seiten, gebunden 16,99 Euro, E-Book 14,99 Euro


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