"Das schneidet einem schon ins Herz"

Moderation: Joachim Scholl · 03.04.2008
Für den "Stern" hat Arno Luik ein Interview mit Inge Jens geführt und dabei auch ihren an Altersdemenz erkrankten Mann, Walter Jens, getroffen. Doch das Bild vom großen Gelehrten aus Tübingen gehört der Vergangenheit an, berichtet Luik.
Joachim Scholl: Er ist jetzt 85 Jahre alt, doch seinen Geburtstag hat er als solchen nicht mehr wahrgenommen. Walter Jens, der große Gelehrte aus Tübingen, der Fontane- und Thomas-Mann-Experte, der engagierte Intellektuelle, die prominente öffentliche Persönlichkeit. Walter Jens weiß im Grunde nicht mehr, wer er ist, er leidet an Altersdemenz.

Inge Jens, die Ehefrau, die Wissenschaftlerin, die Koautorin von Walter Jens, gemeinsam haben sie etliche Bücher geschrieben, sie hat dem "Stern" ein Interview gegeben. Autor ist Arno Luik. Herr Luik, dieses Interview hat schon vorab journalistische Kollegen tief bewegt, gestern schrieb Willi Winkler in der "Süddeutschen Zeitung", und er hat seiner Bewunderung für Inge Jens Ausdruck gegeben, dass sie sich jedem Medienzirkus verweigert habe, also nicht in die Fernsehtalkshows gegangen ist oder eben geht. Wie kam das Interview mit dem "Stern" zustande? Sie kannte die beiden schon, oder?

Arno Luik: Ich kenne Walter Jens seit 35 Jahren, ich habe ihn zum ersten Mal erlebt in seinen Ringvorlesungen in Tübingen und es war sehr beeindruckend. Und vor fünf Jahren habe ich ein langes Gespräch mit ihm gemacht zum Thema Sterben, Altern in Würde, aktive Sterbehilfe und er ist wie ein Advokat der aktiven Sterbehilfe und aufgrund von dieses Gesprächs hat Frau Jens sich dazu bereit erklärt, mit mir darüber zu sprechen.

Scholl: Sie haben die Familien in Tübingen besucht. Sie haben Walter Jens gesehen. Wir alle haben ja ein Bild von diesem Mann vor unserem geistigen Auge. Sie haben mit ihm ja noch auf der Höhe seiner geistigen Potenz gesprochen, wen haben Sie jetzt getroffen?

Luik: Das war wirklich sehr schwer. Sie kommen da in die Wohnung, hören schon, wenn Sie an der Tür klingeln, die Befehle der Krankenpflegerin "Bein hochheben", Gehen Sie zurück, Herr Jens!". Das schneidet einem schon ins Herz. Und dann sind sie in der Wohnung und der Herr Jens sitzt an seinem gewohnten Platz an Esstisch, am Kopfende und er stiert nur vor sich auf die Hände, auf die Tischplatte. Und dann sagte die Frau Jens: "Du hast Besuch! Kennst Du Herrn Luik noch?" Und dann blickt Herr Jens auf und er schaut sie eigentlich gar nicht an und sagte mit kindlich-fröhlicher Stimme: "Ja, ja". Und dann schaut er wieder zurück auf die Tischplatte und die Hände. Und ein paar Sekunden später hat er angefangen zu weinen. Das tut sehr weh.

Das gesamte Gespräch mit Arno Luik können Sie bis zum 3. September 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio