Das Rückwärtsgewandte in den Köpfen

Von Stephan Ozsváth · 12.02.2013
Völkisches Gedankengut kehrt zurück in Ungarn: Konzerte mit rechter Musik sind gut besucht, auf Autos prangen "Großungarn"-Sticker, sogar in Schulbüchern findet sich rechtes Gedankengut. Es findet eine beunruhigende Entwicklung statt - mitten im Herzen Europas.
Petöfi Csarnok, ein beliebter Konzertsaal im Budapester Stadtpark. Auf der Bühne: Kárpátia, die bekannteste Band der ungarischen Rechtsrockszene. Der Sänger erzählt von einer Schülerin. Jeden Monat müsse sie an einem Tag an ihrer Schule jüdische Lieder einstudieren. Buhrufe im Publikum. Warum denn in den Schulen nicht das Schulgebet der 20er Jahre wieder eingeführt werden könne, fragt der Sänger der Band.

"Ich glaube an einen Gott, ich glaube an meine Heimat, ich glaube an die göttliche Gerechtigkeit. Ich glaube an die Auferstehung Ungarns."

Die Fans sind begeistert. Das Gedicht war Pflichtprogramm in den ungarischen Schulen in der Zwischenkriegszeit, also in den 20er und 30er Jahren. Es war die Zeit des: Nem, Nem, Soha – Nein, Nein, Niemals – das war das außenpolitische Motto des autoritären Herrschers Miklós Horthy. Das dreifache Nein – eine Anspielung auf TRIA-Non – den Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg. Durch ihn verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums. Horthy ließ sich später auf einen Pakt mit Hitler ein, um die verlorenen Gebiete zurück zu bekommen.

Trianon – das ist DAS Trauma der Ungarn. Und es ist eines der Hauptthemen der ungarischen Rechtsextremen. Dieser Fan hat eine rot-weiß-grüne Fahne um die Schultern gelegt. Er sagt:

"Das ist die traditionelle Denkart der wahren Ungarn. Was sie uns weggenommen haben, das tut sehr weh. Vielleicht ist das heute nicht mehr in Mode, die Gebiete wieder haben zu wollen, aber es tut weh."

Viele Kahlgeschorene sind an diesem Abend in den Budapester Stadtwald gekommen. An Ständen werden T-Shirts mit Großungarn-Landkarte verkauft. Aufkleber mit Bogenschützen zu Pferd – Aufschrift: Rette uns vor den Pfeilen der Ungarn – der Schreckensruf im Mittelalter. Manch einer hebt die Hand zum Hitler-Gruß. Bands wie Kárpátia liefern den völkischen Soundtrack.

"Die Musik geht ins Ohr. Und was sie zu Sagen haben, ist ernst. Es tut gut, mit ihnen zu singen. Großungarn, Heimatliebe, ich bin Stolz ein Ungar zu sein. Und das kommt von der Bühne", sagt dieser Kárpátia-Fan, der gleich mit der ganzen Familie zum Konzert gekommen ist. Ein Hazafías – ein Heimattreuer.

Die altehrwürdige Universität in Debrecen, der ostungarischen Metropole. Schon von weitem ist der zweiflügelige Bau im klassizistischen Stil zu sehen. Blumenbeete zwischen Kieswegen und ein kleiner Springbrunnen unterstreichen die Pracht.

Der Lichthof im Inneren ist gesäumt von einer zweistöckigen Galerie, in kleinen Nischen stehen dunkle Holztische und Bänke. Studenten sitzen hier an ihren Laptops und lernen. Gedenktafeln erinnern an die Großen der ungarischen Literatur: Endre Ady, Zsigmond Móricz und viele andere.

Etwas abseits hängt neuerdings auch eine rote Granit-Tafel. "Miklós Horthy" ist in goldenen Lettern eingraviert. Er war hier "Zögling", heißt es weiter. 1938 hing diese Tafel schon einmal hier, nach dem Krieg verschwand sie in einer Abstellkammer, seit Sommer 2012 hängt sie wieder hier. Ein "Freundeskreis" sorgte für die Restaurierung, ein Bischof gab seinen Segen.

Aber auch etwa 200 Gegner hatten sich damals versammelt. "Schluss mit dem Horthy-Kult" stand auf den Transparenten. Einer der Protestierenden sagte.

"Jeden wohlmeinenden Ungarn regt diese Restauration der Horthy-Zeit auf. Jeden wohlmeinenden Ungarn regt auf, dass überall im Land Horthy-Statuen aufgestellt werden, Plätze und Straßen werden nach ihm benannt."

Etwa in der Kleinstadt Gyömrö nahe Budapest. Dort wurde aus dem Freiheitsplatz der Horthy-Platz, im westungarischen Csókakö steht seit dem Sommer 2012 eine Bronze-Büste des Reichsverwesers. In Budapest ließ ein Bezirks-Bürgermeister auf einem Horthy-Ball für eine Statue sammeln.

In der Universität Debrecen treffe ich Szabolcs Mátyás. Er ist Mitte 30 und eigentlich Geographie-Lehrer. Am Revers seines Sakkos trägt der freundliche Mann das Ungarn-Wappen: Ein weißes Doppelkreuz auf rotem Grund – darauf die Stephanskrone mit schiefem Kreuz.

"Ich bin Ungar und darauf bin ich stolz, auf meine Ahnen. Auf die, die das Land aufgebaut haben. Die ungarischen Gelehrten, die Sportler. Deswegen trage ich stolz das Wappen an meinem Mantel und meinem Sakko."

Seine Begeisterung für Ungarn drängt ihn dazu, auch Bücher zu schreiben. Zusammen mit seiner Frau Éva, die mit den beiden Kindern in der Eingangshalle der Universität spazieren geht, hat er auch das neueste verfasst: Ein historisches Lesebuch für Kinder. Titel: "Das muss ich als ungarisches Kind wissen". Die Horthy-Zeit wird dort als "blühende Ära" beschrieben. Horthy als der, der das sogenannte "Friedensdiktat von Trianon" rückgängig machen wollte.

"Für mich ist er ein Held, zu dem wir aufsehen können. Viele beschmutzen ihn heute. Er war einer der, wenn nicht der ungarische Politiker von Format im 20. Jahrhundert. Wenn wir nur daran denken, wie zerstückelt Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg war. Dennoch konnte er ein Land aufbauen, das sogar Wachstum schaffen konnte."

Kein Wort über "Weißen Terror", die gewaltsame Abrechnung mit politischen Gegnern. Kein Wort über den Pakt mit Hitler, um die verlorenen Gebiete zurück zu bekommen. Kein Wort darüber, dass 200.000 ungarische Soldaten am Don starben – ein Zugeständnis an Hitler. Kein Wort über die Anti-Judengesetze schon in den 20er Jahren, die Pläne einer Bodenreform auf dem Rücken der Juden, damit die Adligen wie Horthy verschont blieben. Der Autor winkt ab.

"In vielen Ländern gab es damals Judengesetze. Das war nichts, was Horthy erfunden hätte. Das gab es in vielen Ländern."

Nur 80 Kilometer von Debrecen entfernt: Das Städtchen Kenderes. Die Ortstafel wirbt damit, Heimatstadt des Miklós Horthy gewesen zu sein. In der Stadtmitte gibt es ein kleines Horthy-Museum, am Stadtrand ein Mausoleum. Hier in Kenderes ist Miklós Horthy geboren, hier ruhen seine Gebeine – 1993 waren sie von der christlich-national-konservativen Regierung Antall aus dem portugiesischen Exil zurück gebracht worden.

Vor dem kleinen Mausoleum sind Garden aller Art aufmarschiert. Einige tragen Hahnenfedern am Hut – Symbol der Csendöre, der gefürchteten Landgendarme der Zwischenkriegszeit. Mit einer Abordnung der rechtsextremen Partei "Jobbik" ist aus der nahen Kreisstadt Karcag auch András Andrássy gekommen. Während er Fahnen ausrollt, sagt er:

"Heute täte Ungarn ein Horthy gut. Denn er würde es aus der tiefen wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krise führen."

Auch György Fürész, der Bürgermeister von Csókakö ist gekommen – einem kleinen Ort in West-Ungarn. Fürész gehört der Regierungspartei Fidesz an. Er trägt eine Jacke im Husaren-Look – das Erkennungszeichen der Heimattreuen in Ungarn.

"Ich komme aus einem Ort, wo vor kurzem eine Horthy-Statue aufgestellt wurde", klärt der Lokalpolitiker die Zuhörer auf. Er sieht seine Stadt als leuchtendes Beispiel für Ungarn – viele sollten seinem Beispiel folgen, will er. Auch die Regierung.

"Wir hatten das Gefühl, dass Horthy als herausragende Figur der ungarischen Geschichte ein Denkmal verdient. Ich hoffe darauf, dass früher oder später auch der Staat die Beurteilung der Rolle Horthys gerade rückt."

Eine Minderheit hat sich hier in Kenderes versammelt. Aber die Zahl der Horthy-Fans steigt – das belegen Umfragen: Fand zehn Jahre nach der demokratischen Wende nur jeder zehnte Ungar, dass der autoritäre Herrscher eine positive Figur ist, waren es sieben Jahre später schon doppelt so viele.

Rot-weiß-grüne Fahnen wehen in Kenderes, Schaulustige aus dem Ort lehnen am Gartenzaun, um den Kranzniederlegungen beizuwohnen. Erinnert wird in Kenderes an den Einmarsch Horthys auf einem weißen Schimmel in Budapest 1919 – nachdem er als Anführer einer konservativen Gegenrevolution die ungarische Räterepublik zu Grabe getragen hatte. Auf einem Büchertisch liegt auch das Buch von Szabolcs Mátyás, neben Großungarn-Aufklebern und antisemitischen Schriften. Buchhändler Zsolt Fejes ist eigens aus Budapest gekommen.

"Ich habe vor allem Bücher: Die sich mit Traditionspflege befassen, der Horthy-Ära oder dem Werk und Wirken von Albert Wass – alles, was den Leuten einen Zugang zur Vergangenheit gibt."

Albert Wass ist Kult-Autor der "Völkischen" in Ungarn – der sogenannten Heimattreuen. Ein Siebenbürger Großgrundbesitzer, dessen Werke Rumänen-Hass in christlichen Schwulst kleiden. Weil er an der Erschießung von Juden beteiligt gewesen sein soll, gilt er in Rumänien als Kriegsverbrecher. Die nationalkonservative Regierung Orbán in Ungarn rehabilitiert ihn gerade. Zusammen mit dem Klerikal-Faschisten József Nyirö – einem Siebenbürger Hitler-Fan der Zwischenkriegszeit. Beide Autoren gehören jetzt zum Pflichtkanon in der Schule.

Mittlerweile ist der protestantische Geistliche Loránt Hegedüs Junior ans Rednerpult getreten. Der Pfarrer saß vor einigen Jahren für die rechtsextreme Partei MIÈP im ungarischen Parlament. Er beschwert sich über die sogenannte "Ungarische Akademie der Wissenschaft", die auf judeo-bolschewistische und ungarnfeindliche Weise gegen die Autoren Wass und Nyirö spritze. Und weiter:

"Auch meine Tochter lernt in ihrem literaturhistorischen Lesebuch folgende Autoren kennen: Nádas, Spiró, Esterházy, Kertész. Das sind diese Juden, die mit jedem ihrer Sätze das Ungarntum mit Füßen treten. Ja, das sind diese Juden, die es kaum erwarten können, zu sterben und in den Kreis der Unsterblichen aufzurücken. Auch uns fällt das Warten schwer."

Am Donau-Ufer nimmt das ungarische Fernsehen einen Kinderchor auf: Er singt die Nationalhymne. Dieses Motiv – Kinder vor Kettenbrücke - sehen die ungarischen Fernseh-Zuschauer zum Sendeschluss. Patriotismus als Begleiter ins Reich der Träume.

László Pitynger hat die Nationalhymne verfremdet. Der Gangsta-Rapper wurde von der ungarischen Protest-Bewegung zum alternativen Präsidenten gewählt. Das Video zum "Fick-Dich-Song" hat Pitynger alias Dopeman nebenan gedreht: Auf der Elisabeth-Brücke, an der Straße der Pressefreiheit. Im Bild: Dopeman mit Kapuzenshirt und Sonnenbrille. Und einer klaren Botschaft.

Ich treffe László Pitynger in einem Box-Club am Stadtrand von Budapest. Schwitzend, in Badehose. Unter der rauen Schale des Boxers und Rappers verbirgt sich ein politisch interessierter Bürger, der sich einmischt. Dopeman selbst will bei den Wahlen 2014 antreten. Und das meint er ernst. Und der Horthy-Kult, der Nationalismus?

"Das ist eine patriotische Maskerade, ein Vexier-Bild… Wenn man sich anschaut, was die Regierung so macht, dazu kann man alles sagen, nur nicht Heimattreue. Wer das eigene Volk an den Bettelstab bringt, den kann man getrost Vaterlandsverräter nennen."