"Das Projekt ist eigentlich solide finanziert"

Wolfgang Schuster im Gespräch mit Christopher Ricke · 03.09.2010
Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Wolfgang Schuster (CDU), lehnt eine Aussetzung der Bauarbeiten am neuen Hauptbahnhof-Projekt "Stuttgart 21" ab. Dies war in den letzten Wochen von Gegnern des Vorhabens immer wieder gefordert worden.
Christopher Ricke: Selten ist ein Bahnprojekt so heftig diskutiert worden wie Stuttgart 21. Es gibt einen Sturm des Protestes, Baggerbesetzungen, auch heute wieder Demos. Es gibt offenbar Uneinigkeit zwischen Bund und Land über die künftige Finanzierung der Mehrkosten für eine Hochgeschwindigkeitstrasse, die zu diesem Projekt Stuttgart 21 dazugehört. Dazu kommen noch die Reibereien mit einem Teil der Stuttgarter Bevölkerung, der den Bahnhof nicht mehr will.

Nun ist es aber nicht so, dass Stuttgart 21 von jetzt auf gleich gegen den Willen der Bevölkerung beschlossen wurde, es gab einen langen, einen jahrelangen politischen Weg zu diesem Bahnhof, zu diesem Projekt, und es gibt bestimmt so viel Argumente dafür wie dagegen.

Ein Befürworter des Projekts war immer der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Mit ihm habe ich gesprochen. Herr Schuster, wird denn Stuttgart 21 letztlich tatsächlich noch so kommen können, wie es beschlossen und verkündet ist?

Wolfgang Schuster: Ja, Stuttgart 21 ist im Bau, und die Bahn hat beschlossen zu bauen, sie hat Baurecht, und deshalb gehe ich auch davon aus, dass die Bahn das realisiert.

Ricke: Jetzt gibt es aber auch die Diskussion, dass alles immer sehr viel teurer wird und die Forderung, dem schlechten Geld kein gutes mehr hinterherzuwerfen. Haben Sie für so etwas Verständnis?

Schuster: Ich habe da deshalb wenig Verständnis, weil wir im vergangenen Jahr nochmals alle Kosten haben überprüfen lassen – die Bahn ohnehin, weil die Bahn ja als Bauherr letztlich für die Kosten geradestehen muss und das finanzieren muss.

Wir sind ja nur - gerade die Stadt Stuttgart ist mit maximal sechs Prozent an dem Projekt beteiligt - und hat dabei festgestellt, in der Tat, wenn man die Kostensteigerungen mitrechnet und die Kosten bis 2020 projiziert, dann steigen die Kosten von 3,1 auf 4,1 Milliarden.

Dann gibt es immer noch einen Puffer von etwa 450 Millionen, falls weitere Risiken tatsächlich auftauchen und die nicht durch Einsparmaßnahmen aufgefangen werden können. Das heißt, das Projekt ist eigentlich solide finanziert, und die ganzen Kostenrisiken, die in einem solchen großen Projekt stecken, sind bereits beziffert und finanziell abgesichert.

Ricke: Was heißt das jetzt, Augen zu und durch?

Schuster: Ich denke, dass der Protest, der natürlich mich ungemein nachdenklich stimmt – es sind ja meine Bürgerinnen und Bürger –, dass der viele Ursachen hat. Es gibt einige, die sehr nachdenklich, ängstlich, verunsichert sind, wo ich glaube, dass man in einem Dialog die Fragen, die Probleme, die Risiken noch mal sehr intensiv darstellen kann und diese Sorgen weitgehend nehmen kann.

Ricke: Einen solchen Dialog soll es ja geben, man diskutiert über einen Runden Tisch, aber gleichzeitig laufen ja Abrissarbeiten. Muss man die Abrissarbeiten dann nicht wenigstens erst einmal aussetzen?

Schuster: Also zunächst mal, das Klären von Fakten ist unabhängig von der Frage, dass die Bauten laufen. Wie gesagt, die Bahn hat entschieden zu bauen und die Bahn wird weiter bauen.

Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass man den Gesprächsfaden, der abgerissen ist, wieder aufnimmt, und zwar auf der Ebene der Aktionsgruppe, der Projektgegner einerseits und der Projektverantwortlichen andererseits, aber auch ein Dialogforum mit den Bürgern, das ich einrichten möchte, damit die zentralen Fragen – zum Beispiel, ist unser Grundwasser gefährdet, versinkt Stuttgart in Dreck und Staub durch diese Bauarbeiten, sprich, was bedeutet Baulogistik, wie entwickelt sich der regionale Zugverkehr und sind die Annahmen eigentlich korrekt und, und, und.

Es gibt ganz viele Themen, wo die Menschen verunsichert sind, wo sie zum Teil auch nicht ausreichend informiert sind oder halb informiert sind, wo es lohnt, dieses durchaus in einem kritischen Dialog aufzuarbeiten – das ist eigentlich mein Ziel –, und ich hoffe, dass dieser möglich würde. In den letzten zwei Jahren war das insoweit nicht immer einfach, weil die Gruppen zum Teil, einige von denen ganz massiv, jede Art von Diskussion blockiert beziehungsweise gestört haben.

Ricke: Die, die da protestieren, die, die dieses Projekt nicht wollen, die den alten Bahnhof retten wollen, die gerne verzichten wollen auf die schnellere Bahnverbindung, ist das eine kleine verirrte Minderheit oder geht der Riss nicht inzwischen durch die ganze Stuttgarter Bevölkerung?

Schuster: Also die Befürworter und die Kritiker kommen aus allen Schichten der Bevölkerung, und in der Tat, dieser Aktionskreis hat es geschafft, das Thema nicht nur in die Öffentlichkeit prominent zu bringen, sondern zum Teil auch wie eine Art Glaubenskampf zu inszenieren. Und deshalb ist es auch nicht einfach, auf dieser emotionalen Ebene Antworten zu geben.

Ich will es probieren, weil das, wie ich eingangs gesagt habe, das sind meine Bürgerinnen und Bürger. Wir haben viele schwierige Themen in Stuttgart gemeinsam angegangen – wenn ich an das Thema Integration denke, an Bildungsinitiativen, an das Thema Generationenvertrag. Wir haben viele kritische Punkte auch in Netzwerken, in der Zusammenarbeit zwischen Rathaus und Bürgerschaft lösen können. Jetzt ist in der Tat die Situation im Moment sehr verhärtet, es wird schwierig, aber es ist mein Ziel, wieder eine neue Dialogkultur zu entwickeln.

Ricke: Noch einmal die Frage: Wäre es dann nicht klug, die Bauarbeiten wenigstens auszusetzen?

Schuster: Man kann natürlich Politik auch mit Symbolik machen, aber ich bin mir sehr unschlüssig, ob das richtig ist – eine Symbolik, die ja bedeutet, wir setzen das jetzt aus, während wir miteinander reden, wissend, dass die Bauarbeiten vergeben sind und weitergehen. Das wird doch sofort dann interpretiert als etwas, was nicht ernst gemeint ist. Und ich glaube, wir sollten alle die, die Bedenken haben, die kritisch sind, auch ernst nehmen, und deshalb würde ich's für ein falsches Zeichen halten, die Bauarbeiten jetzt zu stoppen.

Ricke: Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Vielen Dank, Herr Schuster.

Schuster: Gerne!