"Das polare Packeis schrumpft dramatisch"

Arved Fuchs im Gespräch mit Christopher Ricke · 22.09.2009
Angesichts des Abschmelzens des polaren Packeises fordert der Wissenschaftler Arved Fuchs eine weltweite Wende in der Energiepolitik.
Christopher Ricke: Es knackt und klemmt beim Klimaschutz. Heute treffen sich am Rande der UN-Generalversammlung zahlreiche Staats- und Regierungschefs, um die stockenden Klimagespräche voranzubringen. Schließlich will man im Dezember in Kopenhagen ein Ergebnis vorlegen. Nirgends ist der Klimawandel so greifbar wie in der Arktis, auch wenn dort zum Wintereinbruch das Eis wieder gefriert. Es ist weniger geworden. Der Forscher Arved Fuchs ist seit dreieinhalb Monaten in der Region unterwegs, er brach in Island auf, segelte in Richtung Nordwestküste Grönlands bzw. Nordostküste Kanadas. Hier gibt es die größten Gletscher der Arktis, Gletscher, die längst begonnen haben zu schrumpfen. Fuchs sucht nach Spuren einer Expedition im 19. Jahrhundert und vielleicht kann das klappen, da das Packeis diese Spuren jetzt freigibt. Ich sprach vor dieser Sendung mit Arved Fuchs und fragte ihn: Herr Fuchs, kann man ganz zynisch sagen, dass zumindest in diesem Bereich der Forschung das Abschmelzen der Polkappen ein Glücksfall für die Forschung ist?

Arved Fuchs: Nein, ein Glücksfall für die Forschung ist es, glaube ich, nicht, einmal davon abgesehen, dass man vielleicht an Plätze kommt, zu denen man vorher nicht gelangt wäre. Einige Unternehmen, Wirtschaftsunternehmen sehen das als Glücksfall, weil dort oben so ein bisschen wie Goldgräberstimmung herrscht. Man hofft, an neue Bodenschätze heranzukommen, also, das ist so eine etwas kurzfristige Gewinnperspektive, möchte ich einmal sagen, aber das ist schon wirklich zynisch, so zu argumentieren. Wenn man einmal sieht, was für Auswirkungen dieser Klimawandel – hier wirklich auch für den Laien ablesbar – hat, dann ist das schon ein wenig haarsträubend und im hohen Maße besorgniserregend.

Ricke: Welche Veränderung erkennen Sie denn im Vergleich zu ein paar Jahren früher?

Fuchs: Nun, man muss einmal differenzieren zwischen dem Packeis, das ist das Eis, was auf dem Ozean, dem Meer schwimmt, und das ist wirklich in einem atemberaubendem Tempo am Abnehmen. Wir haben hier gerade sehr viele Interviews, also auch mit Jägern, mit Einheimischen geführt, weil die natürlich über sehr umfangreiche Erfahrung verfügen und die sagen also: Die Zeit, wo man wirklich mit Hundeschlitten herausfahren kann, die ist drastisch gesunken. Hinzu kommt, dass man auch nicht mehr so weit rausfahren kann, weil das Meer teilweise überhaupt nicht mehr zufriert. Man hat es auch gesehen, oben in der sogenannten Nares-Straße zwischen Kanada und Grönland, dass man im Januar dort hätte hinauffahren können, wo sonst immer dichte Packeisfelder sind. Das ist also … Und wenn man auch die aktuellen Eiskarten beguckt, die Nordwestpassage eisfrei, die Nordostpassage eisfrei, also: Das polare Packeis schrumpft dramatisch. Und dann gibt es ja noch eben dieses Festlandeis, das grönländische Inlandeis, was auch an Masse verliert, teilweise fördern die Gletscher sehr viel mehr Eis ins Wasser, was erst mal so aussieht, als wenn alles intakt wäre, aber dadurch schrumpft natürlich die Eismasse des grönländischen Inlandeises.

Ricke: Wie verändert das das Leben der Menschen? Es sind ja nicht alle Jäger, die nun nicht mehr so weit hinausfahren können.

Fuchs: Nun, es gibt natürlich immer einige Gewinner ob solcher Situation, das heißt, man kann vielleicht länger fischen; dadurch, dass das Wasser wärmer wird, gibt es vielleicht auch einen etwas größeren Fischreichtum hier in diesen ansonsten sehr kalten Gewässern natürlich. Aber inzwischen … Vor ein paar Jahren – und man braucht gar nicht so weit zurückzugucken –, vor fünf, sechs Jahren, da hat man eigentlich noch diese Diskussion um den Klimawandel ein wenig belächelt, heute lächelt eigentlich keiner mehr darüber, weil die Auswirkungen bis in die äußersten Siedlungen spürbar sind. Wir sind in Siorapaluk gewesen, das ist die nördlichste Siedlung der Welt, wo es wirklich Grönländer gibt, die dort seit Jahrhunderten leben. Dort sind die Auswirkungen des Klimawandels in der Lebenswirklichkeit der Menschen angekommen und es gibt viele andere Regionen, also, dort findet das keiner mehr spaßig und jeder macht sich eben natürlich auch Gedanken, wo das Ganze denn enden wird. Im Moment kann man da vielleicht noch mit umgehen, aber man blickt natürlich nach vorne und das sehr sorgenvoll und sagt, wo wird das Ganze enden?

Ricke: Heute treffen sich am Rande der UN-Generalversammlung viele Staats- und Regierungschefs, im Dezember soll das Klimaschutzabkommen von Kopenhagen geschmiedet werden. Wie optimistisch sind Sie denn und wie groß ist denn Ihr Vertrauen in die Politik, wenn Sie das jetzt einmal aus dieser grönländischen Perspektive sehen?

Fuchs: Nun, irgendwelche Mutmaßungen anzustellen – weiß ich nicht, ob das produktiv ist. Aber man kann wirklich nur mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, das ist ja auch wirklich der Konsens der internationalen Wissenschaft, also die Klimaforscher, die Glaziologen – alle sprechen eigentlich mit einer Sprache und sagen: Die Regierungen dieser Länder müssen handeln. Natürlich müssen auch wir Bürger uns irgendwie umstellen, das ist das eine, aber es muss einfach eine andere Energiepolitik weltweit her. Wir müssen irgendwie von den fossilen Brennstoffen wegkommen. Und es gibt ja Lösungsmöglichkeiten! Es ist ja nicht so, dass die Volkswirtschaften dann in einem übermäßigen Maße belastet würden. Der Wille muss nur da sein, der politische Wille, und man muss einfach auch gegen Lobbyisten, die den Status quo erhalten wollen, entschieden denen gegenübertreten und sagen: Wir müssen eine Wende herbeiführen, sonst hat das Auswirkungen ja nicht nur auf die Arktis, sondern auf die ganze Welt in einem ganz breit gestreuten Fächer an Konsequenzen.

Ricke: Der Polarforscher Arved Fuchs, zurzeit auf Polarexpedition im Norden Grönlands. Vielen Dank, Herr Fuchs!

Fuchs: Herzlich gern!