Das Patriarchat lässt grüßen

Von Sylvia Conradt · 02.05.2007
Als der Bundestag am 3. Mai 1957 das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedete, erblickte ein wahrlich armseliges Reformwerk das Licht der Welt. Es schrieb die tradierte Rollenverteilung fort. Frauen durften zwar erwerbstätig sein, allerdings nach wie vor nur "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist".
Weiterhin unumschränkt herrschte der Mann über seine Kinder, bis das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung ebenso für verfassungswidrig erklärte wie das Bundesarbeitsgericht die Frauenlohngruppen. Erst die sozial-liberale Koalition glich1976/77mit der allgemeinen Ehe- und Familienrechtsreform das Bürgerliche Gesetzbuch dem Gleichberechtigungsgebot der Verfassung an. Und der so gern konstatierte "Gleichstellungsvorsprung der DDR"? Auch er eine Mär, blieb doch in den 50er und 60er Jahren die patriarchale Familienstruktur ebenso unangetastet wie die traditionelle Gliederung des Arbeitsmarktes.

Dr. Weber, CDU/CSU: "Der Art. 3 Abs. 2 GG lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die Ehe besteht zwar aus Mann und Frau, ist aber nach ihrem Vollzug etwas Neues, eine Gemeinschaft."

3. Mai 1957. Im Bundestag wird in dritter und letzter Lesung das Gleichberechtigungsgesetz debattiert.

"Wenn diese Gemeinschaft aber eine Entscheidung soll treffen können, dann muss eine Regelung vorgesehen sein, wonach der eine oder der andere sie treffen kann. Weshalb muss nun und soll der Mann diese Entscheidung treffen? Das entnehmen wir aus der ganzen Entwicklung seit Jahrhunderten."

Mit der Gründung der Bundesrepublik und der Verabschiedung des Grundgesetzes im Mai 1949 war auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verfassungsrechtlich verankert.
Nur – Vater Staat und sein christdemokratisches Patriarchat taten sich schwer, die Gleichberechtigung Verfassungswirklichkeit werden zu lassen.
Aber auch im ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden hatten die laut Verfassung gleichberechtigten Frauen zu kämpfen.

Benjamin: "Die Gleichberechtigung der Frau in der Familie ist besonders schwierig zu verwirklichen, weil hier die hartnäckigsten Rückstände im Bewusstsein zu überwinden sind."

Hilde Benjamin, seinerzeit Justizministerin der DDR, auf einem internationalen Frauenseminar des Zentralkomitees der SED im Januar 1958.

Benjamin: "Männer führen sich in ihren vier Wänden häufig noch als die Haustyrannen auf, zu der die Ausbeutergesellschaft den Mann entwickelt hat. Oft sind es gerade die Männer, die eine Berufsarbeit ihrer Frau verhindern, die darauf bestehen, dass die Frau ins Haus gehört, die keine Unbequemlichkeit in Kauf nehmen wollen, die mit der Berufsarbeit der Frau verbunden wäre. Um hier eine wirklich echte Gleichberechtigung zu entwickeln, bedarf es noch einer angespannten Erziehungsarbeit durch die Gesellschaft, um auch hier dem sozialistischen Bewusstsein zum Durchbruch zu verhelfen."

In der DDR sollte mit "gesellschaftlicher Erziehungsarbeit" die staatlich forcierte Gleichberechtigung der Frau im Erwerbsleben auch in der Familie vorangetrieben werden.
Anders in der Bundesrepublik: Hier versuchte man zunächst hartnäckig, den Rechtskodex des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu retten.

Selbert: "Meine verehrten Hörerinnen und Hörer, der gestrige Tag, an dem im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates in Bonn, dank der Initiative der Sozialdemokraten, die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen worden ist, dieser Tag war ein geschichtlicher Tag."

Die Juristin Elisabeth Selbert, eine der vier Mütter des Grundgesetzes, in einer Rundfunkansprache im Januar 1949. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", so steht es als Artikel 3 Absatz 2 im Grundgesetz. Zweimal war ein entsprechender Antrag im Parlamentarischen Rat gescheitert. Dass er nach langen erbitterten und zermürbenden Auseinandersetzungen in einem dritten Anlauf doch noch angenommen wurde, ist nicht zuletzt der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert zu danken.
Vier Jahre blieben dem Gesetzgeber nun, um alle einschlägigen Gesetze diesem Grundsatz anzupassen.

Kurz vor Ablauf der Frist debattieren Bundestagsabgeordnete Ende November 1952 in einem fast leeren Plenarsaal über den ersten Entwurf des Gleichberechtigungsgesetzes der CDU/CSU-FDP Regierungskoalition. Das Protokoll verzeichnet hin und wieder Heiterkeitsausbrüche und Zwischenrufe zumeist männlicher Abgeordneter. Besonders dann, wenn ihre Kolleginnen den vorliegenden Gesetzentwurf kritisieren, macht sich Unruhe bemerkbar. Tatsächlich enthält der Entwurf eine ganze Reihe verfassungswidriger Bestimmungen. Allen voran das Alleinentscheidungsrecht des Mannes in allen Ehe- und Familienfragen. Der Mann bestimmt über Kinder und Ehefrau, er kann darüber befinden, ob seine Frau zum Beispiel erwerbstätig sein darf oder nicht. Eine absurde Vorstellung aus der Sicht der FDP-Abgeordneten Herta Ilk.

Ilk: "Und, meine Herren, ist es nicht wirklich grotesk, wenn man sich überlegt, dass eine Frau hier im Bundestag durch ihre Stimme über das Geschick einer ganzen Nation entscheiden kann und zu Haus, wenn sie sich vielleicht mit ihrem Mann gerade nicht so gut versteht, muss sie sich dem Votum des Mannes fügen, ob das etwas anderes ist, das ist eine zweite Sache, aber es liegt ungefähr auf derselben Basis. Unter Umständen könnte natürlich auch der Mann dann sagen: Du darfst nicht in den Bundestag gehen. Und wie weit das geht, meine Herren, das werden Sie wohl nicht verantworten können."

Nach der Bundestagsdebatte verschwindet der unsägliche Gesetzentwurf in den Ausschüssen und den Schreibtischschubladen der Ministerialbürokratie. Mittlerweile schreiben wir März 1953. Nach dem Grundgesetz hätte bis dahin die Rechtsreform kommen müssen. In den Zeitungen liest man jetzt viel von "Rechtsunsicherheit" und "gesetzlosem Zustand".

Fest steht immerhin, dass der Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes in Kraft getreten ist. Fest steht außerdem, dass alle Gesetze, die dem entgegenstehen, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verfassungswidrig sind.
Im Februar 1954 bringt die Regierungskoalition ihren ursprünglichen Entwurf zum Gleichberechtigungsgesetz nahezu unverändert wieder in den Bundestag ein. Wie schon einmal sorgen erneut die männlichen Bundestagsabgeordneten mit launigen Bemerkungen für Heiterkeit – so auch der freidemokratische Bundesminister der Justiz Fritz Neumayer.

Neumayer: "Meine Erfahrungen im Wahlkampf haben mir gezeigt, dass gerade von Frauenseite es gerne hingenommen worden wäre, wenn sie die so genannte Knechtschaft der Männer noch auf ein oder zwei Jahre länger hätten ertragen müssen."

Auch sein Parteifreund Thomas Dehler, der 1952 als Bundesjustizminister im Kabinett Adenauer den ersten Gesetzentwurf vorgelegt hatte, macht in seiner Rede vor dem Bundestag kein Hehl daraus, dass er auch jetzt noch, fünf Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes, eigentlich keine dringende Notwendigkeit für eine Reform des Familienrechts sieht.

Dehler: "Nun, vielleicht haben wir politischer gedacht. Wir sahen für unser Volk andere Sorgen, wir hatten ein gewisses Gefühl für die Rangfolge der politischen Aufgaben, wenngleich wir uns durchaus bewusst waren, wie sehr unser Familienrecht reformbedürftig ist. Es ist ja nicht wahr, dass im Leben das Patriarchat gilt. Und jeder von uns ist bestimmt durch die Erfahrungen seiner Jugend, durch das Bild, das seine Mutter gab. Na, also in der Ehe meiner Eltern, von seiner eigenen Ehe spricht man ja besser nicht, in der Ehe meiner Eltern – nun, das war das Musterbeispiel eines Matriarchates. Nun habe ich das Glück gehabt, eine besonders kluge und temperamentgeladene und willensstarke Mutter zu haben. Nun, es war eine kleine Königin in ihrem Bereich. Sie betrieb in der kleinen Stadt Landwirtschaft und Brauerei und Gastwirtschaft und Metzgerei. Da musste geherrscht werden. Und alle, alle Entscheidungen, alle Entscheidungen hat doch meine kluge Mutter getroffen. Das ist doch selbstverständlich. Natürlich, natürlich war sie so gescheit, am frühen Morgen zu sagen: Ich habe heute Nacht mit dem Vater gesprochen, und er hat gesagt..."

Es gehen noch weitere drei Jahre ins Land, bis schließlich 1957 das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet wird.
1958 tritt es in Kraft - neun Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes. Ein wahrlich mickriges Reformwerk erblickte da das Licht der Welt: Zwar hat nun der Ehemann nicht mehr das Recht, das Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kündigen, aber die Ehefrau kann nur erwerbstätig sein, so wörtlich, "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist". Dafür bleibt der Mann weiterhin unumschränkter Herrscher über seine Kinder. Erst 1959 wird das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung für verfassungswidrig erklären.

Nach unseren heutigen Maßstäben, sagt die Juristin und Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn, brachte die Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 keine Gleichberechtigung.

Berghahn: "Es wurden zahlreiche Relikte wieder aufgenommen, zum Beispiel das Leitbild der Hausfrauenehe wurde als verbindliches Leitbild wieder aufgenommen in das Gesetz. Und dementsprechend waren dann auch die Pflichten von Mann und Frau in der Ehe, in der Familie unterschiedlich verteilt. Und es gab ja weiterhin ein Schuldscheidungsrecht, so dass dann der Verstoß gegen diese Pflichten auch dazu führen konnte, dass Frauen dann schuldig geschieden wurden, weil sie erwerbstätig sein wollten und sich dann nach Meinung des Mannes nicht gehörig um die Familie gekümmert hatten. Auch in anderer Hinsicht, die Güterverteilung und die Regelungen bei der Scheidung entsprachen nicht unseren heutigen Vorstellungen von einer Gleichbehandlung von Berufs- und Familienarbeit. Immerhin hat aber das Gleichberechtigungsgesetz den Zugewinnausgleich geschaffen. Das ist ein Ausgleich für das in die Ehe eingebrachte und noch vorhandene Vermögen. Die Vermögensverwaltung des BGB von 1900, die oblag ja dem Mann, er hat auch das Vermögen der Frau zu verwalten gehabt, das wurde zum Glück abgeschafft."

Nicht weniger halbherzig erweist sich auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das 1957 Frauenlohngruppen für verfassungswidrig erklärt.

Berghahn: "Gleichzeitig wurde dann der Weg, das Unterlaufen dieses Urteils dann auch schon in dem Urteil angedeutet, nämlich: Man sollte Lohngruppen dann so formulieren, dass typische Frauenarbeit als leichte Arbeit eingestuft würde und dann geringer bezahlt werden konnte. Das waren die Leichtlohngruppen. Und diesen Weg hat dann die Praxis tatsächlich eingeschlagen. Also, insofern war es nicht so ganz ernst gemeint, diese Gleichberechtigung in Lohnfragen."

Auch in der DDR gab es übrigens so genannte Leichtlohngruppen, in denen sich vornehmlich Frauen wieder fanden.

In der DDR war 1949 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ebenfalls verfassungsrechtlich festgeschrieben worden. Anders als in der Bundesrepublik wurden in der Folge alle Gesetze und Bestimmungen aufgehoben, die dem Gleichheitsgebot widersprachen. Neue Gesetze regelten zunächst die Stellung von Frauen im Erwerbsleben.

21. Sitzung der Volkskammer: "Ich eröffne die 21. und letzte Sitzung der Provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik."
Reporter: " Soeben hat die 21. Vollsitzung begonnen unter besonders starkem Andrang des Publikums und der Presse."

DDR-Rundfunk, 27. September 1950.

"Unter dem zahlreich erschienenen Publikum ist bemerkenswert die große Beteiligung von Frauen. Wir begegneten auch im Foyer der Volkskammer, in den Wandelgängen vielen Frauendelegationen. Eine starke Delegation des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands ist erschienen, handelt es sich doch heute um die endgültige Beschlussfassung, um die vorausgehende erste und zweite Lesung über das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau."

Das "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau", das wenig später in Kraft tritt, bestimmt - wie schon zuvor das Gesetz der Arbeit – formal die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben und in der Familie. Ministerpräsident Otto Grotewohl begründet den Gesetzentwurf.

Otto Grotewohl: "Wir alle wissen, dass es keine soziale Gerechtigkeit im Gemeinschafts- und im Wirtschaftsleben gibt, solange die Frau eine zweitrangige Rolle darin spielt. So muss der Staat alles tun, damit die Frau ihre Aufgabe als Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann.
Die Einführung der Gleichberechtigung auch auf dem Gebiete des Familienrechts wird die Frauen der Deutschen Demokratischen Republik noch stärker machen in ihrem Kampf für den Frieden und ein einheitliches demokratisches Deutschland."

Berghahn: "In der DDR wurde die Gleichberechtigung ernster genommen. Und sie wurde insbesondere auf den Bereich der Erwerbsarbeit erstreckt."

Die Juristin und Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn.

Berghahn: "Insofern waren die Ausgangsbedingungen in der DDR einerseits besser, andererseits war aber auch das praktische Leben möglicherweise in manchen Kreisen noch härter, weil ja auch die Versorgungsmängel groß waren und die Frauen neben ihrer Einbindung in Erwerbsarbeit dann trotzdem noch die ganze Hausarbeit und Familienarbeit zu leisten hatten. Am Männerbild hat sich nichts geändert gegenüber den Zeiten vorher. Also, Männer wurden eben als die Hauptwerktätigen angesehen, und wenn ihre Arbeit dann beendet war, dann waren sie allenfalls noch so ein bisschen Mithelfende zu Hause im Haushalt, aber nicht die wesentlichen Macher in den häuslichen Sphären. Also, insofern war es ein Bild, was den Frauen auf jeden Fall die doppelte Belastung aufdrückte."

Daran ändert sich auch nichts, als 1966 das Familiengesetzbuch in Kraft tritt. Zwar sind für die Erziehung der Kinder nun beide Ehepartner zuständig, häusliche Pflichten sind zu teilen, und Ehen werden nicht mehr nach dem Schuld-, sondern dem Zerrüttungsprinzip geschieden, aber: Im realsozialistischen Alltag bleibt die patriarchale Familienstruktur ebenso unangetastet wie die traditionelle Gliederung des Arbeitsmarktes. Die Frauen quittieren das mit Teilzeitarbeit und sinkenden Geburtenzahlen, auch wenn die DDR zu den wenigen Ländern gehört, die Familien ebenso wie allein erziehende Mütter umfassend absichern. Sie werden vorrangig mit Wohnraum versorgt; Kinderkrippe, Kindergarten und Schulhort erleichtern es den Frauen zumindest, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen.

Mit Einführung der Fristenregelung im Frühjahr 1972, die den straffreien Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche erlaubt, erhalten Frauen auch die "Wunschkindpille", wie die Anti-Babypille offiziell gern genannt wird, kostenfrei auf Rezept. Die Regierung setzt darauf, mit Geburtenbeihilfen, Vergünstigungen für Familien mit drei und mehr Kindern, Arbeitszeitverkürzungen und seit Mitte der 80er Jahre mit dem Babyjahr den Geburtenrückgang zu stoppen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.
Im Wendejahr 1989 sind mehr als 90 Prozent aller 25- bis 55-jährigen Frauen erwerbstätig.

In der Bundesrepublik wird bis weit in die 60er Jahre hinein die Familie als der eigentliche Wirkungskreis der Frau idealisiert und ein konservatives Familienbild propagiert. Daran ändert auch die Anfang der 70er Jahre beginnende westdeutsche Frauenbewegung wenig. Zwar prangert sie häusliche Gewalt an und fordert die Freigabe der Abtreibung, aber in Sachen Erwerbsintegration von Frauen bleibt die westdeutsche Frauenbewegung in sich gespalten. Es ist strittig, ob Haus- und Familienarbeit aufgewertet werden sollen oder ob der Weg hin zur Erwerbsarbeit und damit zu ökonomischer Unabhängigkeit beschritten werden soll.

Rechtlich gleicht erst die sozial-liberale Bundesregierung mit der allgemeinen Ehe- und Familienrechtsreform 1976/77 das Bürgerliche Gesetzbuch dem Gleichberechtigungsgebot der Verfassung an – dreißig Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes.
Die Wissenschaftlerin Sabine Berghahn.

Berghahn: "Da wurde einiges nachgeholt, was eigentlich schon in den 50er Jahren hätte passieren können. Und in anderen Staaten ist das ja tatsächlich auch früher passiert, und die Pflichten in Ehe und Familie sind in anderen Ländern auch früher gleichberechtigt geregelt worden. Ja, insofern war es eine Nachholung. Es wurde auch die Absicherung bei der Scheidung auf dem Papier des Gesetzes verbessert, die Unterhaltstatbestände wurden nach Bedürftigkeit formuliert, und es wurde ein Versorgungsausgleich eingeführt, der für die Rentenansprüche einen Ausgleich, eine Gleichverteilung zwischen Mann und Frau anstrebte. Also, insofern bemühte man sich, da formale Rechtsgleichheit zwischen Mann und Frau herzustellen. Aber die tatsächlichen Verhältnisse wurden nicht sonderlich tangiert davon. Die Ernährerehe blieb bestehen und blieb das vorherrschende Muster, weil eben die Ansicht weiter in der Bundesrepublik, also im Gegensatz zur DDR, existierte, dass Frauen eben für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig sind und nur, wenn sie sich das außerdem noch erlauben können, dann durften sie erwerbstätig sein."

Die Resistenz der bundesrepublikanischen Gesellschaft, sagt Sabine Berghahn, sei historisch zu erklären.

Berghahn: "Man spricht da von Pfadabhängigkeit. Also, der Pfad der Existenzsicherung, der Organisation von Existenzsicherung, der wurde im 19. Jahrhundert so festgelegt in Deutschland durch Bismarcks Schaffung einer Sozialversicherung für Arbeiter und später Angestellte. Dadurch war festgelegt, dass der männliche Arbeiter oder Angestellte so abgesichert werden konnte und sollte, dass er dann seine Familie ernähren können sollte. Und die Frauen und Kinder waren als Abhängige, als Unterhaltsbeziehende gedacht, und alles war sehr stark mit der Ehe verknüpft. Das ist das konservative Wohlfahrtsstaatsmodell, im Gegensatz zum sozialdemokratischen Modell, was in skandinavischen Staaten sich durchgesetzt hat, wo eben auch Frauen als gleichberechtigte Erwerbsbürgerinnen gedacht sind und dies auch im wesentlichen so praktiziert wird, so dass sie nicht vom Unterhalt ihrer Ehemänner abhängig sein müssen. Das hat man in Deutschland versäumt, in der Bundesrepublik, das hätte man in den 60er, 70er Jahren des 20. Jahrhunderts dann durchführen können und müssen. Aber da war die konservative Anfangsideologie der Bundesrepublik, also das, was in den 50er Jahren stattgefunden hat, offenbar noch so prägend, dass daran nicht zu denken war."

Obwohl Mädchen und Frauen in der Bundesrepublik seit den 60er Jahren verstärkt zu höherer Bildung gelangten und gelangen, bedeuten Kinder in der Regel für Frauen immer noch berufliche Nachteile – und wegen fehlender Kinderbetreuung mitunter auch immer noch einen Abschied aus dem Erwerbsleben.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2003 sind zwei von drei Müttern erwerbstätig – und neun von zehn Vätern.
Beruf und Familie zu vereinen sei ein Drahtseilakt, sagt die halbtags arbeitende Mutter eines 14 Monate alten Sohnes.

Mutter: "Gefühlt spielt es insofern eine Rolle, als es so aussieht, als würde das gleiche Arbeitspensum erwartet, auch wenn rein institutionell eine halbe Arbeitszeit vereinbart ist und auch sicher allen bewusst ist, dass man nur die Hälfte der Zeit arbeitet und die Hälfte der Zeit zur Erledigung der Aufgabe zur Verfügung steht. Aber ich denke, unbewusst ist die Erwartungshaltung nach wie vor die, dass das gleiche Arbeitspensum bewältigt wird. Und die Wahrnehmung ist natürlich auch die, dass der Mitarbeiter, also ich, plötzlich weg ist, während andere noch einen halben Tag weiterarbeiten müssen. Was, ich denke, auch mit dazu führt, dass teilweise eine ungute Stimmung entsteht. Ich gehe eigentlich davon aus, dass wirklich keine Frau weiß, was auf sie zukommt, bevor sie es nicht selbst erlebt hat. Das kann man sich intellektuell nicht vergegenwärtigen."

Frauen werden teilweise noch immer schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen und haben schlechtere Aufstiegschancen, wenn sie Kinder haben. Das hat auch die kinderlose Miriam Pauli beobachtet, die im Medienbereich arbeitet.

Miriam Pauli: "Es gibt wesentlich mehr Väter als Mütter bei uns in der Redaktion, da bin ich auch wirklich erstaunt drüber, die gehen auch teilweise relativ unkompliziert damit um. Einer bringt dann auch manchmal, wenn offenbar dann der Kindergarten vielleicht schon zu hat oder so was, bringt die Kleine dann auch mit. Aber es ist, denke ich mal wirklich, grundsätzlich auch doch für einen Mann einfacher, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ich bin wirklich erstaunt, was da für eine Ideologie darum betrieben wird. Es ist wieder so diese Rabenmütterdiskussion, dann wird gerne von einem Bischof so dieses DDR, Frau von der Leyen wollte diese DDR-Ideologie hier einführen. Ich finde, das ist also eine unglaubliche Diskussion, die Mütter auch wieder in eine so 'ne Rolle reinbringt: Du bist eine Rabenmutter, du gibst dein Kind weg, du gibst die Verantwortung ab, wenn man einfach Möglichkeiten wahrnimmt und eben auch wirklich eine Wahlfreiheit hat. Ich weiß nicht, da ist Deutschland wirklich noch nicht weit genug. Da ist auch etwas ganz Komisches gerade bei uns im Gange. Auch wieder den Müttern das so zuzuschieben, anstatt zum Beispiel zu sagen, wie es ja auch in skandinavischen Ländern üblich ist, zu sagen: Okay, liebe Väter, dann übernehmt doch auch ihr euern Teil, dann ist es nicht nur bei der Mutter. Ich weiß nicht, wie man das aus den Köpfen hier rausbringen kann, aber es ist ein alter Zopf, der irgendwie nicht abzuschneiden ist, ich weiß nicht, warum."

War die DDR dann doch das gelobte Land des Gleichstellungsvorsprungs? Sabine Berghahn vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Berghahn: "Teils, teils. Es ist insofern schon eine nachhaltige Prägung, als Frauen in den Neuen Bundesländern in sehr viel höherem Maße erwerbstätig sind oder ihr Interesse daran bekunden, wenn sie arbeitslos sind, dann sind sie ja konkret nicht erwerbstätig, aber sie zählen als Erwerbspersonen. Die Quote der Erwerbspersonen ist bei Frauen in den Neuen Bundesländern anhaltend wesentlich höher als in Westdeutschland. Aber auf der anderen Seite ist das ein Gleichberechtigungsvorsprung, der von oben so angeordnet wurde und durchgesetzt wurde, weil, wie gesagt, die Erwerbstätigkeit von Frauen in der DDR eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit war. Und sie haben einem Leitbild gehorcht, das sie nicht unbedingt so selbst mitbestimmt haben. Und so, ja, konnte sich dann nach der Vereinigung relativ einfach wieder eine Restauration männlicher Dominanz in allen möglichen Bereichen durchsetzen. Und teilweise wurden die Frauen dann mit einer Brutalität aus dem Erwerbsleben und aus den Positionen gedrängt, die also nicht nur mit Kapitalismus zu tun hat, sondern die auch so mit dem Bewusstsein zu tun hat: Jetzt werden endlich wieder die naturgegebenen Zustände hergestellt, die künstlich in der Zeit des Sozialismus verzerrt worden waren."

Dennoch: Auch Konservative können heute in der Bundesrepublik das Rad nicht wieder zurückdrehen.

Berghahn: "Heute versucht man hauptsächlich zu einer stärkeren Erwerbsintegration zu kommen, weil es auch der Konsens und der Mainstream der europäischen Entwicklung in der Beschäftigungspolitik ist. Das ist sehr hilfreich, dass da aus Europa solche Aufforderungen kommen. Und die andere Richtung, durch soziale Leistungen, durch steuerfinanzierte Leistungen eine gleichwertige Absicherung von Familienarbeit zu gewährleisten, das hat seine Grenze, weil der Staat nicht so leistungsfähig ist. Ja, und weil das nur immer für kurze Perioden stattfinden kann. Und da geht der Trend mit dem neuen Elterngeld auch dazu, diese Zeit des Ausstieges und Kürzertretens im Beruf möglichst kurz zu halten. Insofern ist das tatsächlich eher das Modell der DDR, aber nun leider unter viel schwierigeren politischen und ökonomischen Verhältnissen."
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