"Das Militär steht sicherlich nicht auf der Seite einer Machtclique"

Margret Johannsen in Gespräch mit Matthias Hanselmann · 02.02.2011
Ägyptens Militär sei eher volkstümlich und werde kein Instrument zur Wiederherstellung der alten Ordnung sein, meint Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Matthias Hanselmann: Welche Rolle spielt das Militär in Ägypten? Welche Macht hat es und auf welcher Seite steht es? Eigentlich eine sehr wichtige Frage, besonders in diesen Tagen der bisher weitgehend friedlichen Demonstrationen in Ägypten. Bisher wurden die Panzer – Sie haben es vielleicht gesehen – zum Beispiel in Kairo noch mit Blumen geschmückt, aber wird das so bleiben? Heute donnerten demonstrativ Kampfflugzeuge im Tiefflug über Kairo, und es gibt, wie wir eben in den Nachrichten gehört haben, erste gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Mubarak-Gegnern und Mubarak-Befürwortern. Wir sprechen mit Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg – guten Tag, Frau Johannsen!

Margret Johannsen: Guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Erst mal ganz grundsätzlich: Ist das Militär der entscheidende Machtfaktor im Land?

Johannsen: Ich denke, er ist ein außerordentlich wichtiger, vielleicht auch der entscheidende Machtfaktor. Es ist ein großes Militär, es hat allerdings keine Tradition, eingesetzt zu werden gegen innere Unruhen, das sollte man auch hinzufügen. Es ist durchaus möglich, dass die jüngste Entwicklung, nämlich der Wunsch des Militärs, dass Ordnung wieder einkehrt, auch darauf zurückzuführen ist, dass das Militär seine Rolle als Kraft, die entscheidend mitwirkt an der Wahl des Präsidenten, nicht verlieren will. Wenn die jetzigen, die Volkserhebung sozusagen ungeordnet weitergeht, dann ist es ja durchaus möglich, dass das Militär an Einfluss langfristig oder mittelfristig verliert – daran hat es natürlich kein Interesse –, und darum ist es wohl auch als eine Ordnungsmacht zu verstehen.

Hanselmann: Auf welcher Seite steht das Militär?

Johannsen: Das Militär steht sicherlich nicht auf der Seite einer Machtclique, die sich auch zum Teil durch Monopole und Ähnliches bereichert. Das Militär hat allerdings auch durchaus eine ambivalente Rolle: Auf der einen Seite hat es eine wirtschaftliche Bedeutung über Monopole und Ähnliches, auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass das Militär von seiner Herkunft her eigentlich ein eher volkstümliches ist. Das ist übrigens ähnlich wie in Tunesien. Das heißt, die Offiziere stammen zum Teil aus unteren und mittleren Schichten, und die kennen zum Teil die Nöte und die Bedürfnisse des Volkes. Insofern kann man davon ausgehen, dass das Militär sich in der Tat nicht zum Instrument einer Wiederherstellung der alten Ordnung machen wird.

Hanselmann: Bei hoher Arbeitslosigkeit, bei hoher Armut: Ist das Militär auch eine Art Betätigungsstätte, eine Möglichkeit eine Karriere zu machen, Geld zu verdienen für junge Menschen in Ägypten?

Johannsen: Ja, Ägypten hat ja aus seiner sozialistischen oder staatsbürokratischen Phase her von Anfang an, also seit es Republik ist, 1953 Republik geworden, Dinge gemacht wie zum Beispiel freie Erziehung, freier Unterricht, der also nichts kostet, ein freies Gesundheitswesen, aber eben auch eine relativ gute Elementarbildung des Volkes, und das endet dann aber sozusagen mit dem Schulabschluss. Eine riesige Arbeitslosigkeit, junge Leute können also nicht in Lohn und Brot kommen, und das Militär ist eine der Beschäftigungsmöglichkeiten. Wenn man bedenkt, dass im Bunde 480.000 Menschen sind oder 470.000 im Militär und dazu kommen dann noch mal 400.000 bei den Sicherheitskräften, beim Paramilitär, das ist riesig an Umfang und das bietet natürlich auch Beschäftigungsmöglichkeiten.

Hanselmann: Das heißt ganz konkret, es kann sein, ein junger Mann oder eine junge Frau geht zu Demonstrationen und begegnet jemandem, den man aus der Nachbarschaft kennt und der eben beim Militär ist?

Johannsen: Das ist so, und das Militär hat auch eine positive Rolle. Also die Menschen in Ägypten verstehen schon das Militär und schätzen es, sie identifizieren sich sozusagen mit dem Militär als einem Verteidiger des Landes. Ganz anders die Polizei oder die Sicherheitskräfte, die als Repressionselemente wahrgenommen werden. Das Militär hat im Grunde genommen ein positives Image.

Hanselmann: Das heißt, Sie würden sagen, es ist für die Protestbewegung ungefährlich?

Johannsen: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Das kommt drauf an, wie weit die Protestbewegung geht. Wenn die Protestbewegung einer, wenn man so will, ordentlichen Machtübergabe nicht im Wege steht, dann wäre das Militär nicht gefährlich, wenn die Protestbewegung aber so weit geht, dass auch Privilegien des Militärs infrage gestellt werden, dann kann das durchaus problematisch werden.

Hanselmann: Nun hat das Land in den letzten Jahrzehnten ja immer wieder auch Kriege gegen Israel geführt – spielt das noch eine Rolle, also das Militär als eine Schutzmacht gegen eine Bedrohung von außen?

Johannsen: Das Militär hat seinen letzten großen Krieg gegen Israel im Grunde 73 geführt, und seit der Zeit ist das vorbei. Das Militär hat aber natürlich nach wie vor eine Rolle auch nach außen hin. Ägypten hat Nachbarn – Sudan oder Äthiopien –, es gibt auch Streit um zum Beispiel Rechte am Nil, also Wasserrechte, das Militär hat also auch diese Rolle. Ein Krieg gegen Israel wäre – also theoretisch einfach gesprochen – von seiner Struktur her nicht ausgeschlossen, politisch ist das aber ausgeschlossen. Es ist aber auch zu sehen, dass in dem Maße, in dem Ägypten sich demokratisiert, auch Stimmungen im Volke, auch was Israel angeht, eher zum Tragen kommen könnten. Und Israel ist in Ägypten nicht populär, insbesondere die Politik Israels gegenüber den Palästinensern ist alles andere als populär, und darum kann es eben durchaus sein, dass sich Ägypten und sein politisches System entwickeln in den nächsten Monaten zu einer Rolle, die sagen wir mal eine sehr stark an Stabilität orientierte Beziehung zwischen Israel und Ägypten denn doch infrage stellt, also ein etwas unbequemerer Nachbar.

Hanselmann: Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass Mubarak eine Art Garant des Friedens gewesen ist bisher.

Johannsen: Mubarak hat selber… steht einem Land vor, das einen Friedensvertrag, den er ja nicht abgeschlossen hat, mit Israel geschlossen hat. Mubarak hat auch vermittelt, hat sich bemüht, in Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu vermitteln, hat auch versucht zu vermitteln zwischen Fatah und Hamas, also dem innerpalästinensischen Streit auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben viele Menschen in Ägypten doch das Gefühl, dass die Sache der Palästinenser keinen guten Anwalt hat in Ägypten und in Mubarak. Und genau das kann eben auch dazu beitragen, dass diese stabilisierende Rolle nicht mehr die Erwartung erfüllt. Ich will aber dazu sagen, es geht im Grunde genommen ja nicht nur um die Bequemlichkeit, es geht eben auch darum, dass man eine Lösung findet. Und eine Lösung, einer Lösung förderlich in dem israelisch-palästinensischen Konflikt war letztlich die an Stabilität allein orientierte Rolle Ägyptens nicht. Ägypten hat sozusagen außenpolitisch seine enorm wichtige Bedeutung, die es in den 80er-, 90er-Jahren gehabt hat, verloren.

Hanselmann: Wir befinden uns ja nun gerade heute an einem Tag, wo nicht ganz klar ist, welche Interessen werden von wem durchgesetzt, deswegen interessiert mich jetzt noch mal besonders das Verhältnis des Militärs zu Mubarak: Er kam aus dem Militär, also es herrscht noch ein Mann des Militärs – er wollte ja eine Familienherrschaft aufbauen, indem er seinen Sohn zum Nachfolger machen wollte –, hatte er damit viel Sympathien innerhalb des Militärs in Ägypten?

Johannsen: Nein. Das Militär hat dafür keine Sympathien gehabt, eigentlich aus zwei Gründen. Der eine Grund ist der, dass der Sohn, Gamal, dafür steht, für eine weitere neoliberale Öffnung sozusagen Ägyptens. Das ist etwas, was das Militär eigentlich weniger vertritt, also auch die militärischen oberen Ränge sind eigentlich nach wie vor ein Teil dieses sozialen Kontrakts, wenn man so will, der sozialen Ausrichtung dieses Landes. Die Bevölkerung hat Probleme mit dieser Liberalisierung, sie bezahlt sie zum Teil, und das Militär steht da nicht unbedingt dahinter – das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist der, dass das Militär seine Rolle als, ich sag mal in Anführungsstrichen "Königsmacher", also als Präsidentenmacher nicht mehr spielen kann, wenn Ägypten sich auf den dynastischen Weg begibt, den ja zum Beispiel Syrien gegangen ist. Und auch aus diesem Grunde kann das Militär kein Interesse daran haben, dass der Sohn des Präsidenten der nächste Präsident wird. Ich will aber auch noch hinzufügen: Es ist eigentlich noch komplizierter insofern, als auch das Militär seinerseits nicht ein homogener Block ist. Es kann sein, dass zum Beispiel die Luftwaffe, die etwas elitärer ist, dass die eher zu Mubarak hält als das Heer.

Hanselmann: Deswegen vielleicht auch diese Drohgebärde mit den Kampfflugzeugen über Kairo?

Johannsen: Das ist durchaus so interpretierbar.

Hanselmann: Also Sie würden sich jetzt auf keinen Fall festlegen, ob das Militär in Ägypten in Zukunft ein Stabilisierungsfaktor ist oder nicht, das habe ich daraus geschlossen.

Johannsen: Ich halte es da mit der etwas ironischen Aussage, dass Prognosen über die Zukunft heikel sind. Das Militär ist ein wichtiger Faktor, ob es der entscheidende in ein paar Monaten sein wird, ist offen.

Hanselmann: Vielen Dank, Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Danke schön nach Hamburg!

Johannsen: Gerne!
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