Das literarische Schwergewicht der Türkei

Von Semiran Kaya · 14.10.2008
Der türkische Autor Murathan Mungan hat mit 35 Romanen sowie Erzählungen, Gedichten, Hörspielen und Theaterstücken ein umfangreiches Werk vorgelegt. In der Türkei wird er verehrt wie ein Popstar, obwohl er kurdischer Abstammung und bekennender Homosexueller ist. Er gilt als einer der vielseitigsten und experimentierfreudigsten Autoren der türkischen Gegenwartsliteratur.
Ästhetisch, männlich, selbstverliebt und inszeniert wirken die schwarz-weißen Ausschnitts-Porträts von Murathan Mungan, denen man auf seinen Buchcovern und seiner Internetseite begegnet. Ein Star. In Wirklichkeit aber trifft man auf einen kleinen, unscheinbaren Mann, der jede Art von Szenetreff und Rummel meidet. Viel lieber sitzt er hinter runtergelassenen Jalousien an einem winzig kleinen, viereckigen Tisch in seinem Arbeitszimmer. Hier zeichnet und schreibt er seine Geschichten.

"Meine literarischen Werte, meine Sicht auf die Welt und meine Wahrnehmung in der Literatur ist wie Jemand, der seine eigene Insel gegründet hat, dabei das Profil eines Schriftstellers vermittelt und von dieser Insel aus spricht. Und wenn sie mich fragen, wie ich an diesen Punkt gekommen bin, dann lautet die Antwort: durch meine Leser. Ich habe mir meine Leser selbst herangezogen und sie bekennen sich zu mir."

Doch nicht der Zufall, sondern der volle Einsatz entscheide schließlich beim Schreiben über das Ergebnis, meint Mungan in seiner nachdenklich-ruhigen Art. Seine einfachen, jedoch kraftvoll geschriebenen Bücher erreichen stets enorm hohe Auflagen.

Dabei hat der 53-Jährige, der wie ein Popstar verehrt wird, nicht nur ein umfangreiches, sondern auch ein beeindruckend vielfältiges Werk geschaffen: 35 Romane, Erzähl- und Gedichtbände, Theaterstücke, Hörspiele und Songtexte.

"Ich muss gestehen, ich befinde mich in einer Situation, die ich nicht ganz erklären kann. ich bin ironisch gesehen, ein Phänomen."

"Palast des Ostens" ist ein Erzählband mit fünf Liebes- und Paargeschichten, die in Sagen und Mythologien eingebettet sind. Aus drei Büchern hat er sie selbst zusammengestellt, um eine Einheit zu bilden. So traditionell der Stoff auch ist - Mungan gibt den Akteuren einen modernen, individuellen Charakter und lässt sie wie im realen Leben in existenziellen Situationen aufeinanderprallen, um ihre Reaktionen wie ein Psychologe im Detail zu enträtseln. Eine typische Mungan’sche Herangehensweise.

"Nun, ich bevorzuge das Detail, weil ich nur so die Atmosphäre der Geschichte aufbauen und die Architektur, den Hype der Handlung verlängern kann. Aber nur so lang, wie es die Geschichte ertragen kann, sonst ertränken sie den Leser und die Geschichte. Detailliert zu sein, heißt nicht alles zu nehmen. Detailliert heißt, nur soviel wie nötig zu nehmen."

Geboren ist der kurdisch-arabischstämmige Türke 1955 in Istanbul, wo er auch heute wieder lebt. Geprägt aber hat ihn die harte Kultur des Ostens. Seine Kindheit verbrachte er in der südöstlichen Stadt Mardin, nahe der syrischen Grenze. Deshalb bezeichnet er das Buch als das "Gedächtnis des Ostens".

Doch es ist auch die Kritik am türkischen Männlichkeitsideal aus der Perspektive eines bekennenden Homosexuellen, der gesellschaftlich geschätzt wird, weil er zur kulturellen Elite gehört.

"Die Erscheinung von Gay-Figuren hat in der Türkei eine ambivalente Position. Es ist eine Hassliebe. In einer geschlossenen Gesellschaft wie unserer werden diese Figuren mit ihrer künstlerischen Seite wahrgenommen. Deshalb geht man nachsichtig mit ihnen um, so als hätten sie sich bei der Gesellschaft entschuldigt.

Aber nur solange wie dieser Zustand nicht politisiert wird, denn dann wird er bedroht. Die eigentlich Revolutionären sind doch die Fabrikarbeiter, die sich outen. Bei den Künstlern wird es abgetan als: 'der ist ja verrückt', das gehört quasi zum künstlerischen Label. Sie sehen, der Schein und das Sein spielt sich über all gleich ab."

Bei der Frage, ob sich selbst erlebte Geschichten in seinen Romanen wieder finden, wird der Stift, mit dem er alle Antworten durch Punkte oder kurze Striche auf einem Blatt skizzierend miterklärt, fest aufgedrückt und ein strenger Blick funkelt über den Tisch.

"Dass selbst erlebte Geschichten in meinen Romanen auftauchen, erlaube ich nicht! Ich bin dickköpfig und von meinem Können überzeugt. Vielleicht wenn ich meine Memoiren schreibe, aber nicht jetzt."

Mungan gilt als einer der vielseitigsten und experimentierfreudigsten Autoren der türkischen Gegenwartsliteratur. Er hat Theaterwissenschaften studiert, lange in Theaterhäusern gearbeitet, Dramen verfasst und sich literarisch als Redakteur einer Kunst- und Kulturseite ausgetobt, bevor er mit 25 Jahren sein erstes Buch schrieb.

Richtig Aufsehen erregte Mungan mit der elfstündigen Uraufführung seiner "Mesopotamien-Trilogie" im Jahr 1994. Seine Geschichten werden nicht nur international rezipiert, sondern auch als Stücke aufgeführt. So auch in Deutschland.

"Palast des Ostens" ist das erste Buch, das auf Deutsch herauskam. Das zweite, "Tschador", ist gerade erschienen. Hier kehrt der noch junge Akbhar nach längerem Exil in sein Heimatland zurück. Ängstlich, aber auch von Sehnsucht getrieben, begibt er sich auf die Suche nach Menschen und Orten, die ihm einst vertraut waren. Doch er kennt es kaum wieder: verschleierte Gesichter, unter denen er seine Geliebte zu finden hofft.

Seine Gedichte kursieren per sms. Und wer unter türkischen Popstars etwas auf sich hält, hat ein Gedicht von ihm vertont. Nicht er, sondern der Leser sei der Interpret. Zu diesen zählen auch die isländische Sängerin Björk und die türkische Popdiva Sezen Aksu.

Mungan ist ein faszinierender Autor, der mit seinen Begabungen jongliert und weder das Triviale noch die Tiefgründigkeit scheut. Ein literarisches Cross-Over-Talent, das vor allem eines will:

"In Ländern wie der Türkei, wo man auf viele politische Wehen trifft, werden oft und gerne Genuss und Freude vergessen. Deshalb will ich dem Leser genussvolle Minuten schenken."