Das Kino spricht deutsch

Von Markus Metz & Georg Seeßlen · 11.02.2009
Am kommenden Sonnabend werden auf der 59. Berlinale die Preise für die besten Filme vergeben. Irgendwann können wir uns dann diese Filme im Kino anschauen - in der Regel mit deutscher Synchronisation. Das ist nicht überall so und das war auch nicht immer so - aber in Deutschland hat dieses Verfahren eine lange Tradition.
Um der Filmindustrie die lukrativen Auslandsmärkte zu erhalten, setzte sich die Synchronisation durch. Doch das Ersetzen der Originalstimme durch eine andere, bringt eine Reihe von Problemen mit sich: Wie getreu bleibt man bei der Vorlage? Wie sehr muss man das Gesprochene der eigenen Kultur und ihrem Zeitgeist anpassen? Wie viel technische und schauspielerische Sorgfalt wird in den Vorgang der Synchronisation gesteckt?

Im Kino können wir auf imaginäre Weise reisen: in fremde Kulturen, in fremde Geschichten, in fremde Phantasien. Im Kino kommen wir an Orte, wo wir im wirklichen Leben nie sein könnten. Wenn die Kamera, das ist die große Fiktion des Kinos, ein unschuldiges, unsichtbares, objektives Instrument der Beobachtung wäre, dann ist ein Film aus der Inneren Mongolei wahrer als meine eigene Reise dorthin.

Das Kino ist eine Kunst, die das Fremde in einer anderen Kultur respektiert. Aber mit der Fremdheit können wir uns nicht abfinden. Nur die hartgesottensten Cineasten genießen Filme in Sprachen, von denen sie kein Wort verstehen. In der Regel wollen wir das Fremde eben doch verstehen. Am liebsten sind uns Bilder der Fremde, die in einer vertrauten Sprache erklärt werden: Cowboys, Piraten und Weltraumfahrer - abenteuerliche Träumer, die sich dort herumtreiben, wo wir nie hinkommen - nur sie sollen bitteschön so reden wie du und ich.

Von Anfang an wollte der Film Sprachgrenzen überschreiten, kulturell und ökonomisch. In der Zeit des Stummfilms war das noch einfach. Das Publikum war an Zwischentitel oder "Filmerzähler" gewöhnt.
Dann kam der Tonfilm – in Deutschland besonders schnell. Ende 1930 waren alle deutschen Kinos auf die neue Technik umgestellt – aus ökonomischen Gründen.

Stefan Drößler:
"In Deutschland hat sich die Filmindustrie während des Ersten Weltkrieges ziemlich rasant und gut entwickelt, weil keine ausländischen Filme mehr in den Markt reinkamen. Und die Deutschen konnten nach dem Krieg dann dank der Inflation sehr preiswert produzieren."

Stefan Drößler, Leiter des Filmmuseums München:
"Wenn sie die Filme dann in ein anderes Land mit harter Währung verkauften, waren die Produktionskosten schon wieder drin. Insofern wurden sehr aufwändige Großproduktionen gedreht wie zum Beispiel die Lubitsch-Filme und diese Filme sind dann sogar in den amerikanischen Markt eingedrungen. Gleichzeitig haben die Amerikaner versucht, den deutschen Markt dann aufzurollen und zu erobern. Und Ende der Zwanziger Jahre waren die Amerikaner endlich im deutschen Markt drin und ihre Filme waren auch erfolgreicher. Der Tonfilm war dann letztendlich die Rettung: mit den Tonfilmen konnten die amerikanischen Filme nicht mehr so leicht konkurrieren auf dem deutschen Markt. Und so hat die UFA politisch beschlossen, sie stellen von heute auf morgen auf Tonfilm um."

Aber die Zuschauer taten sich schwer mit den Bildern, die das Sprechen gelernt hatten.

Stefan Drößler: "Die ersten Tonfilme waren natürlich amerikanische Filme: Der erste Film, der in Berlin gezeigt wurde, war "The Singing Fool" und der lief im Original. Man hat dann probiert, Untertitel zu machen, das wurde aber von den Kritikern sehr schnell verworfen: "Das sei viel zu anstrengend, gleichzeitig zu hören und zu lesen." Man hat auch eine Synchronisation versucht, die war aber technisch so unzulänglich und das wurde auch überhaupt nicht akzeptiert. Man muss sich ja vorstellen: Es war schon ein Schock, seinen Stummfilmstar plötzlich mit Stimme zu hören. Das lag, wie immer kolportiert wird, nicht zuletzt wegen "Singing In The Rain" , weniger daran, dass die Stummfilmstars keine vernünftigen Stimmen hatten. Die hatten zum Teil halt andere Stimmen als man erwartete. Die Stummfilmstars waren irgendwie von der Realität entrückt, und jetzt wurden sie plötzlich ganz konkret mit ihrer Stimme. Ich glaube, das war es, was die Leute gewaltig irritiert hat. Wenn die Stars aber auch noch mit falschen Stimmen sprachen, das war ein Schock, das war zuviel."

Joseph Garncarz:
"Das war ein kulturelles Problem, das so massiv war, daß man in den meisten Ländern die Synchronisation von Filmen zunächst ganz aussetzte und einstellte."

Joseph Garncarz, Film- und Fernsehwissenschaftler an der Universität Köln:

"Zunächst wurden in Deutschland Filme eben standardmäßig in Sprachversionen hergestellt. Ein Film wurde in der Regel zeitgleich mehrmals realisiert mit den Schauspielern des jeweiligen Ziellandes. Es hat einige Jahre gedauert, bis Synchronisation in Deutschland akzeptiert wurde. Das ist ein kultureller Lernprozess, bei dem die Zuschauer in gewissem Sinne vergessen können müssen, dass derjenige, der spricht, eben nicht identisch ist mit demjenigen, den sie auf der Leinwand sehen."

In den kleineren Ländern, in denen sich die Synchronisation nicht recht lohnte, oder in mehrsprachigen Ländern entwickelte sich dagegen die Untertitelung als bevorzugte Form. Zwei Konzepte der Übertragung zwischen den Sprachen stehen sich seitdem gegenüber. Und welche von beiden die richtige ist, Untertitel oder Synchronisation, darüber redet man sich noch heute gern die Köpfe heiß.

In der Geschichte von Original, Synchronisation und Untertitel haben allerdings auch immer politische und gesellschaftliche Aspekte mitgespielt. Joseph Garncarz:

Joseph Garncarz:
"Es ist so, dass in Deutschland der Nationalsozialismus einen direkten Einfluss hatte auf die Etablierung der Synchronisation. Es gibt eine Studie in einem amerikanischen Fachjournal aus dem Jahr 1950, und diese Studio listet 60 Länder aus der ganzen Welt auf, darunter 16 europäische Staaten, und von diesen 60 Ländern gibt es nur drei Länder, die ausschließlich Synchron-Fassungen akzeptieren: das sind Italien, Spanien und Deutschland. Alle anderen Länder der Welt, die in dieser Studie aufgelistet werden, synchronisieren standardmäßig nicht. Man kann sich jetzt berechtigterweise fragen, was haben diese drei Länder in den Dreißiger Jahren gemeinsam? Und man sieht schnell, dass es die drei Länder des europäischen Faschismus sind. Das bedeutet natürlich keineswegs, dass Synchronisation in irgendeiner Weise faschistisch ist, es bedeutet nur, dass Länder, die einen besonderen Wert auf ihre kulturelle Spezifik legen, die die eigene Sprache und die eigene Kultur höher schätzen als die Sprachen und Kulturen der Nachbarländer, dass diese Länder einen besonderen Wert darauf legen, dass alles Ausländische quasi in die eigene Sprache übersetzt wird."

Und ganz nebenbei erwies sich die Synchronisation immer als perfektes Mittel, der Vieldeutigkeit der Filmbilder eine eindeutige, kontrollierte Sprache gegenüberzustellen. Soviel ist sicher: Synchronisation ist auch heute noch die ökonomisch erfolgreichste Methode, Filme aus anderen Ländern anzubieten. Und am erfolgreichsten erweist sich ein Kino-Stoff, der sich am wenigsten sträubt gegen die Übertragung in eine andere Sprache: eine bildhafte Erzählweise für Geschichten mit einfachen dramaturgischen Regeln, die innerhalb eines einzigen Films erlernt werden können. Nirgends versteht man sich darauf so gut wie in Hollywood.

Die Traumfabrik eroberte die Kino-Märkte der Welt also nicht trotz, sondern mit Hilfe der Synchronisation: Ein Hollywood-Film ist ein Film, den man durch Synchronisation am leichtesten in einen zur Hälfte amerikanischen und zur Hälfte entweder deutschen, französischen oder spanischen Film verwandeln kann. Die eigene Sprache suggeriert dabei eine kulturelle Vertrautheit, über die man ganz vergisst, dass der Kerl auf der Leinwand sich möglicherweise gar nicht so verhält, wie es uns seine Stimme glauben lassen könnte.

Ein Humphrey Bogart, der in unseren Kinos mit der bühnengeschulten, kultivierten Stimme von O. E. Hasse spricht, ist etwas anderes als der nuschelnde oder bellende Bogey, der auch in seine Stimme ein Gutteil Verweigerung zu legen pflegte.

Im Prinzp ist die kulturelle Übertragung eines Films vergleichsweise leicht zu bewerkstelligen. Über den allgemeinen Bilder-Code der Traumfabriken oder die exotischen Bilder aus fernen Ländern wird ein nationaler Sprach-Code gelegt. Bei der Synchronisation geht es nicht nur um Übersetzung wie bei den Untertiteln, sondern um die vollständige Ersetzung einer akustischen Simulation von Wirklichkeit durch eine andere. Während es bei einer Übersetzung vielleicht Fehler gibt, ist die Synchronisation immer eine Neuschöpfung.

So verwandelten sich nahezu alle großen Stars des amerikanischen Actionfilms von John Wayne bis Robert Mitchum durch die Stimme von Arnold Marquis in schnarrende deutsche Kasernenhof-Helden. Wahrscheinlich hat diese Stimme unser amerikanisches Heldenbild mindestens so sehr geprägt wie die Bilder der hüftschiefen Heroen.

Aus amerikanischen oder französischen Helden werden per Synchronisation deutsche Helden. Und ein deutsch synchronisierter Film ist zu einem nicht unerheblichen Teil sozusagen ein auch innerlich deutscher Film geworden. Die meisten Filme verlieren also mit der Synchronisation eine Dimension der mythischen Ganzheit eines Schauspielers – und erhalten statt dessen eine theatralische und nicht selten ideologische Bedeutung.

Der sprachliche Eingriff in das Geschehen auf der Leinwand ist immer auch ein Instrument der moralischen und politischen Zensur. Manchmal ist uns das bewusst, und manchmal nicht. Manchmal mischen sich politische und gesellschaftliche Institutionen ein in den Prozess. In den fünfziger und sechziger Jahren gingen politische und ökonomische Zensur Hand in Hand. Zum Beispiel verlangte die Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft immer wieder Eingriffe in die Dialoge. So blieben uns lange Zeit etwa die erotischen Anzüglichkeiten in Howard Hawks’ "I Was A Male War Bride" verborgen.

Aber hauptsächlich geht es darum, es dem Publikum so bequem wie möglich zu machen. Auch in der Film-Synchronisation ist der Markt die beste Zensurinstanz.
Die Filmgeschichte ist voll von mehr oder weniger erheiternden Anekdoten über Synchron-Zensur:

Das spanische Publikum etwa war in der Franco-Zeit sittlich so gefährdet, dass man aus dem Liebespaar in "Casablanca" in der spanischen Synchronisation kurzerhand ein Geschwisterpaar machte.

Das deutsche Publikum der Wirtschaftswunderzeit indes schien allergisch zu sein gegen jede Erinnerung an das tausendjährige Reich und seine Verbrechen. Deshalb machte man in Alfred Hitchcocks "Notorious" aus einer Verschwörung alter Nazis die einer Bande von Rauschgiftschmugglern.

In "Casablanca" wurden die antifaschistischen Szenen entweder geschnitten oder akustisch verfälscht. Und in Roberto Rossellinis "Rom, offene Stadt" durften die Partisanen keine Kommunisten sein.

Joseph Garncarz: "Wenn man sich die historischen Akten ansieht, die überliefert sind, dann wird deutlich, dass es eine Instanz gibt, die ganz wichtig war für solche Veränderungen wie etwa die von "Casablanca": Das waren nämlich die Verleiher. Wenn man heute sagt, die Nazis wurden herausgeschnitten, dann klingt das selbstverständlich wie ein Akt der Zensur. Das wollte eigentlich niemand so haben, aber irgendjemand hat aus irgendwelchen Gründen so gehandelt. Aber so war es wohl nicht: Auf der einen Seite haben wir Dokumente der Verleiher, die ganz klar belegen, dass die Verleiher davon ausgegangen sind, dass man Bilder des hässlichen Deutschen – und in der Regel waren ja alle Deutschen in amerikanischen Filmen Schurken – den Deutschen nicht zumuten könnte.

Auf der anderen Seite gibt es Belege dafür, dass dies tatsächlich beim Publikum abgelehnt wurde. Zum Beispiel, als "The African Queen" auf dem Filmfestival in Locarno lief, kam es zu einem großen Protest der deutschen Filmkritiker: Dies zeigt, dass zumindest die deutschen Filmkritiker hochsensibel reagierten und dies unabhängig von politischen Positionen. Von daher ist es wirklich nachvollziehbar, dass die Veränderungen von amerikanischen Filmen, die die amerikanischen Verleiher selbst vorgenommen haben, die Absicht hatten, den Marktwert der Filme zu erhalten, also die Filme beim deutschen Publikum überhaupt absetzen zu können."

In den Siebzigerjahren hatte man weniger Probleme mit Sex und Politik im Kino als vielmehr damit, das Publikum in den Schachtelkinos überhaupt noch bei Laune zu halten. Die Synchronisation war ein Teil der kulturellen Verwahrlosung des deutschen Kinos in dieser Zeit. Dem internationalen Gebrauchskino, den italienischen Western, den Martial Arts-Filmen aus Hongkong oder den B-Filmen aus Hollywood wurden schauerlich kalauernde deutsche Dialoge verpasst, die mit dem ursprünglichen Erzählinhalt der Filme oft nichts mehr zu tun hatten.

Es mag angehen, dass Eliza Doolittle in "My Fair Lady" vom Cockney-Englisch zur Berliner Schnauze wechselt. Wenn Klaus Kinski in Billy Wilders "Buddy, Buddy" als Psychiater in New York sächselt, lacht heute niemand mehr. Kinski hätte diese Ermordung seiner Rolle durch Synchronisation niemals selber ausgeführt.

In der B-Klasse freilich galt es damals als ausgemacht, dass ein deutscher Dialekt in möglichst exotischem Ambiente das Publikum zu Lachstürmen hinreißt. Da mußte ein koreanischer General im Kampf gegen ein Riesenmonster bayrisch sprechen oder ein chinesischer Piratenführer in einem Historienfilm aus Hongkong wie der Charge aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater.

Aus einem kulturellen Übersetzungsprozess wurde spätestens hier ein Akt kultureller Barbarei. Rainer Brand, ein Spezialist für diese Art der Brachial-Synchronisation, formulierte dazu ein dankenswert offenes Arbeitsprogramm:

"Wenn kein Supervisor da ist, der darauf besteht, genau am Originaltext zu bleiben, und ich merke, der Text ist nicht gut, drehe ich den Ton ab, schaue mir die Schauspieler an und schreibe was auf die Gestik. Und dann wird’s auch komisch. Aus einer Geschichte über ABC-Waffen und Mao Tse Tung wird im Handumdrehen die Story eines Drogenhändlers in Florida. Hauptsache, es passt zum Bild."

Diese strukturellen Verfälschungen wurden zwar punktuell kritisiert. Aber die Kritik an den Auswüchsen der Synchronisation führte nicht so weit, das Verfahren generell in Frage zu stellen. Es wurde Mode, nach untertitelten Originalfassungen zu verlangen. Doch die Nische dafür blieb auf dem deutschen Kino-Markt überschaubar.

Die Praxis, ein unliebsames Bild der eigenen Nation aus fremden Filmen zu tilgen, ist keineswegs verschwunden. Im Thriller "Die Hard", in dem Bruce Willis gegen die gewohnte Übermacht kämpft, ist der Chef der Terroristen nur im Original eindeutig als Deutscher identifiziert. In der Synchronfassung fehlt jeder Hinweis darauf. Und diese Säuberung durch Synchronisation beschränkt sich nicht nur auf den Mainstream-Bereich. Aus nervtötenden deutschen Touristen in Hanif Kureishis "London Kills Me" sind in der Synchronfassung auf wundersame Weise nervtötende französische Touristen geworden.

Auch wenn es heute im Synchrongeschäft wieder respektvoller zugeht – noch die sorgfältigste Synchron-Arbeit muss ihr Material auf eine Weise verändern, die weit über den Prozess einer Übersetzung hinausgeht. Die Synchronisation ist eine Technik des akustischen Übermalens. Für eine so schrift-orientierte Kultur wie die deutsche ist es offensichtlich vorrangig, jedes Wort zu verstehen.

Filmwissenschaftler Joseph Garncarz: "Wenn man amerikanische Filme in der Originalfassung im Kino sieht, ist das beinahe so wie in der Oper: ich habe mich gewundert, dass ich alles Mögliche nicht verstehe und dachte, meine Sprachkompetenz ist zu eingeschränkt. Aber als ich die Filme zusammen mit Amerikanern gesehen habe, ging es denen nicht anders. Das heißt in der amerikanischen Synchronisation kommt es gar nicht darauf an, dass man immer alles versteht, was gesagt wird. Die Musik schiebt sich manchmal in den Vordergrund und verunmöglicht die Verständlichkeit der Sprache. Wenn man sich diese Filme in der deutschen Synchronisation ansieht, wird immer Wert darauf gelegt, dass alles verständlich bleibt. Die Filme sind so gemischt, dass die Musik leiser wird, wenn gesprochen wird. Diese Dominanz der Sprache, das Primat der Verständlichkeit scheint besonders charakteristisch zu sein für die Synchronisation amerikanischer Filme in Deutschland, und zwar bereits immer."

Die Synchronisation verrät immer mindestens so viel über die Kultur, für die sie vorgenommen wird, als über die, aus der das Original kommt: der brave Hansjörg Felmy als Stimme des bösen Jack Nicholson; Peer Schmidts nur ein bisschen abgeschliffenes Deutsch statt des aggressiven Nöhlens Jean-Paul Belmondos; Dietmar Schönherr als Stimme des ‚Rebellen ohne Grund’ James Dean; der aufgedrehte Komödiant Georg Thomalla interpretiert Jack Lemmon, den amerikanischen Stadtmenschen am Rande des Nervenzusammenbruchs. In der Wahl der Synchronsprecher hat die deutsche Filmkultur stets verstanden, das Beunruhigende aus den Bilderzählungen zu vertreiben.

Der akustische Code der Synchronisation ist um ein Vielfaches ärmer als der Bild-Code: Warren Beatty, Harvey Keitel, Alain Delon, Dennis Hopper, Robert Redford, Burt Reynolds und Robert De Niro sprechen in deutschen Kinos alle mit der zugegeben variantenreiche Stimme von Christian Brückner. Dass Sylvester Stallone mit Ausnahme seiner frühen Filme die gleiche deutsche Stimme hat wie Arnold Schwarzenegger, lässt beider Rollen in der amerikanischen Mythologie verschwinden. Auch Julia Roberts und Sharon Stone sprechen bisweilen mit der gleichen Synchronstimme. Was es bedeutet, dass ein und dieselbe Person ganz unterschiedliche Charaktere spricht, darüber denken wir wenig nach.

Und wo werden aus ökonomischer Rationalität, aus der Bedienung tatsächlicher oder vermeintlicher Publikumswünsche und aus dem Stil weniger maßgebender Synchron-Firmen auch ideologische Raster? Zum Beispiel werden Schwarze prinzipiell mit komisch kieksenden Stimmen ausgestattet. Und man achte auf die Ironie, wenn Woody Allen sagt, seine deutsche Synchronstimme passe viel besser zu ihm als seine eigene. Wie nannte Rainer Brandt seine Blödelsynchron-Sprache?

"Eine Mischung aus Berlinisch, Jiddisch, Unterwelt."

Der Siegeszug der DVD schien das Problem der Synchronisation zu entschärfen. Eine Qualitäts-DVD enthält heute neben der jeweiligen Synchronisation mindestens auch die Originalfassung sowie zuschaltbare Untertitel. Oft bietet die DVD sogar verschiedene Sprachversionen nebeneinander an. Das soll natürlich in erster Linie die internationale Vermarktung erleichtern, hat aber auch den schönen Nebeneffekt, dass man die Wirkung verschiedener Sprachfassungen erproben kann.

Mit der Fernbedienung kann man jederzeit zwischen Original und Synchronisation wechseln. Selbst wenn man der Originalsprache nicht mächtig ist, bemerkt man Unterschiede bei Atmosphäre und Sprecherqualität. Die Praxis, sich nach Gutdünken vom Original zu entfernen und sich Filme durch die Synchronisation gleichsam neu zu erfinden, wie es in den Blödel-Synchronisationen der siebziger Jahre der Fall war, ist damit ebenso ausgeschlossen wie eine Ummontage nach Gutdünken.

Andrerseits ist bei der Masse der B- und C-Produktionen, die von vorneherein auf dem Grabbeltisch vermarktet werden sollen, eine qualifizierte Synchronisation eher die Ausnahme. So hören sich die deutschen Fassungen von Horror- und Fantasy-Filmen der niederen Güteklassen oft an, als würden Laien die Rohübersetzung der Dialog-Liste vorlesen, ohne sonderlich auf emotionale Atmosphäre und Lippensynchronität zu achten. Wohlweislich sucht man auf solchen DVDs vergeblich nach einer Originalfassung.

Gute Synchronisation ist also eine Synchronisation, die sowohl die Nähe zum Original zu erhalten sucht, Tonfall und Eigenheit der eigenen Sprache nutzt als auch technisch so angepasst ist, dass man zumindest nicht über das Auseinanderklaffen von Ton und Bild verzweifelt. Schlechte Synchronisation dagegen ist eine Synchronisation ohne Gespür für Sprache, Handlung und Charakter. Und die Schere zwischen beidem, zwischen Glanz und Elend der Synchronisation, scheint sich weiter zu öffnen.

Die DVD ist ein polyglottes Medium, das dem Cineasten neue Möglichkeiten eröffnet und das Original wieder in seine Rechte setzt. Die DVD ist aber oft auch ein schnelles, billiges, kommerzielles Medium, das Synchronisation nur als Kostenfaktor versteht. Daher werden Erfolgsfilme, die sich im Kino schon bewährt haben, durch das mehrsprachige Angebot aufgewertet, werden filmhistorische Raritäten, sofern es ein kulturelles Engagement dafür gibt, auch im Audio-Teil liebevoll ergänzt. Bei der schnellen DVD-Ware wird an der Synchronisation und bei den Sprach-Optionen gespart: insbesondere Filme aus asiatischen und afrikanischen Ländern bekommen bei der Synchronisation nur selten die sprachliche und technische Aufmerksamkeit, durch die sie sich etwa einem deutschen Publikum erschließen könnten.

Und so bleibt es schließlich doch bei einer alten und ein wenig deprimierenden Formel: Erfolgreiche Filme werden durch gute Synchronisation noch erfolgreicher; erfolglose und vielleicht verkannte Filme werden durch schlechte Synchronisation noch erfolgloser.

Die Synchronisation verknüpft zwei Systeme der Darstellung von Wirklichkeit miteinander: das sprachliche System und das bildlich-musikalische System. Im Idealfall sollten beide eine glaubwürdige Einheit bilden. Der Klang einer Stimme bedeutet aber immer mehr als der Text, den sie spricht. Daher kann auch die beste Synchronisation der Welt die ursprüngliche darstellerische Einheit nicht erreichen. Betont die Sprache der Synchronisation all zu sehr ihre Eigenheit, so passt sie nicht und wird zum Verräter am Bild. Versucht sie dagegen, sich dem Original all zu sehr anzupassen, verwandelt sie sich selbst und wird zum Verräter an der Sprache.

So entstand etwa das berüchtigte "Synchron-Deutsch": mit seinen typischen unlogischen Pausen, mit seinen Anleihen bei der Ursprungssprache, mit seinen wörtlichen Übersetzungen von Sprachwendungen, die zuerst noch befremdlich klingen und beim dritten oder vierten Mal schon selber Sprachfloskeln sind. Menschen aus fremden Cinematografien sprechen in unseren Kinos weder ihre noch unsere Sprache.

Das Synchron-Deutsch ist ein ideales akustisches Sedativ: ein verbales Valium, das unsere Aufmerksamkeit, unsere Neugier, unser Misstrauen unterdrückt. Die Synchronisation überwindet die kulturellen Grenzen also nur als Illusion von Verständnis. In Wahrheit verrät sie gleich zwei Sprachen. Die Synchronisation verschiebt die Wahrnehmung der Fremdheit ins Unterbewusste und setzt an ihre Stelle die Floskel.

Die "Zensur" der Wahrnehmung setzt sich fort in einem stereotypen, aber eben auch immer wirksamer umgesetzten Sound Design. Sprache, Musik und Geräusche bilden eine kompositorische Einheit, in die durch Synchronisation wesentlich heftiger eingegriffen wird, als wir uns das immer klar machen: eine Synchronfassung ist kein übersetzter, sondern ein zum Teil neu komponierter Film.

Man kann das gut oder schlecht machen, eigensinnig oder originalgetreu. Entscheidend ist, dass uns diese Veränderung bewusst ist, und dass wir bei einer Synchronfassung nicht vollständig der Illusion der Verständlichkeit verfallen. Denn in Wahrheit macht die Synchronisation die Botschaft aus einer anderen Kultur nicht verständlicher. Sie hilft uns nur, sie besser falsch zu verstehen.

"Casablanca": "Ich seh dir in die Augen, Kleines"