"Das kann nicht sein, dass dem Steuerzahler der Dienst an der Waffe mehr wert ist als der im Altenheim"

Gerold Reichenbach im Gespräch mit Gabi Wuttke · 27.07.2011
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerold Reichenbach hält die geringe Entlohnung im Bundesfreiwilligendienst gegenüber der Besoldung Freiwilliger in der Bundeswehr für nicht gerechtfertigt. Die Umstellung des Wehr- und Zivildienstes sei insgesamt nicht durchdacht.
Gabi Wuttke: Die Bufdis lösen die Zivis ab – so ist der Plan nach der Aussetzung des Wehrdienstes in Deutschland. Aber die Sozialen Dienste hängen derzeit an einem seidenen Faden. Sie funktionieren eigentlich nur noch, weil über 14.000 Zivildienstleistende ihre Verträge verlängert haben. Bufdis werden weiter händeringend gesucht.

Wäre die Bezahlung besser, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerold Reichenbach, dann wäre das Problem kleiner. Um 7:50 Uhr begrüße ich ihn im Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Reichenbach!

Gerold Reichenbach: Einen schönen guten Morgen!

Wuttke: Ein Bundesfreiwilligendienstler bekommt maximal 330 Euro, Sie würden ihm 1.000 zahlen. Mit welchem Argument?

Reichenbach: Nun, ich glaube, dass die Ungleichbehandlung zwischen den Bundesfreiwilligendienstleistenden und denjenigen, die freiwillig Wehrdienst leisten, einfach nicht zu rechtfertigen ist. Das war früher bei der allgemeinen Wehrpflicht so, dass Zivildienstleistende und Wehrdienstleistende den gleichen Sold bekamen. Jetzt haben wir plötzlich eine Ungleichbehandlung, und ich denke, das kann nicht sein, dass dem Steuerzahler der Dienst an der Waffe mehr wert ist als der im Altenheim.

Wuttke: Um mal den Gründen nachzuspüren, warum es so eine geringe Nachfrage gibt, ein Bufdi werden zu wollen: Liegt der Hase womöglich auch im Pfeffer, weil knochenharte Jobs im Sozialbereich bei uns nie gebührend gewürdigt wurden?

Reichenbach: Das ist, glaube ich, einer der Gründe, wobei man grundsätzlich sagen muss, die Herausforderung, die im Sozialen Bereich etwa in der Pflege auf uns zukommt, alleine mit Freiwilligen lösen zu wollen, das ist ein Modell, das nicht funktioniert. Da muss man grundsätzlich anders rangehen. Ich glaube, da muss der Staat bereit sein, das auch zu finanzieren, und nicht sozusagen Billiglösungen anzustreben, das ist, glaube ich, grundsätzlich zu sagen.

Und deswegen ist, glaube ich, diese Vorstellung, man könne jetzt mit dem Bundesfreiwilligendienst die Lücken füllen, die mit dem Wegfall der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes entstanden sind im sozialen Bereich, von vornherein grundfalsch, sondern es wäre sinnvoller gewesen, diese Idee des freiwilligen sozialen Engagements im sozialen Bereich oder auch im Umweltbereich weiter zu fördern, dazu hätte es des Ausbaus des Jugendfreiwilligendienstes bedurft und nicht einer Parallelkonstruktion. Ich halte die gesamte Konstruktion, die man jetzt nach dem Wegfall der Wehrpflicht gewählt hat, für wenig durchdacht und eigentlich auf dem Weg in die falsche Richtung.

Wuttke: Aus den Koalitionsparteien kommen zumindest Vorschläge, ein bisschen herumzudoktern. Die CDU will, dass Bufdis aus dem Kreis von Hartz-IV-Beziehern mehr als ein Fünftel des Lohns bekommen. Gehen Sie da mit?

Reichenbach: Das halte ich für richtig. Ich halte es nicht für gerechtfertigt, dass jemand, der in der Dauerarbeitslosigkeit ist, also Hartz IV bezieht, dass der dann auch, wenn er freiwillige Leistungen für den Staat, also für die Gemeinschaft, erbringt, schlechter gestellt wird. Der Vorschlag ist richtig, geht auch in die richtige Richtung, was grundsätzlich etwa die Gleichstellung von Hartz-IV-Beziehern in diesem Bereich betrifft.

Aber es ist, wie gesagt, ein Herumdoktern an einem Ansatz, der von sich aus schon sehr verfehlt und übereilt gestartet worden ist, wie ich insgesamt glaube, dass die Abschaffung der Wehrpflicht wenig überlegt war, und was Grundlage war bei den Koalitionsfraktionen, das als Sparmodell zu sehen, das halte ich von Anfang an für völlig falsch.

Wuttke: Von der FDP – wie wir ja wissen, auch eine der Regierungsparteien – kommt gegen die CDU ein Einwand, über den ich doch mal mit Ihnen gerne sprechen würde, denn das macht das Thema etwas weiter auf: Der Bundesfreiwilligendienst dürfe, heißt es, kein arbeitsmarktpolitisches Instrument werden. Deshalb also sollen Hartz-IV-Bezieher auch nur ein Fünftel dieser 330 Euro bekommen. Wie kontern Sie da als Oppositionspolitiker?

Reichenbach: Ich glaube, vom Grundsatz her ist das, was die FDP sagt, richtig. Der Bundesfreiwilligendienst darf nicht dazu missbraucht werden, ordentliche Arbeitsplätze zu ersetzen. Das heißt, Beschäftigung, die sozialversicherungspflichtig ist und die dann auch so entlohnt wird, dass derjenige, der dort arbeitet, davon leben kann. Das ist richtig. Das aber jetzt, diese Debatte, über das Thema Hartz IV zu führen, das halte ich für falsch.

Weil hier geht es nicht um die Frage arbeitsmarktpolitischer Instrumente, sondern hier geht es einfach um eine Gerechtigkeitsfrage, dass derjenige, der in Hartz-IV-Bezug ist, nicht einfach dadurch, dass er sich freiwillig engagiert, dann ein bisschen schlechter gestellt wird. Ich glaube, das aber dieses Durcheinander in der Koalition ein weiterer Beleg dafür ist, dass das ganze Modell nicht durchdacht wird und jetzt an Symptomen rumgedoktert wird.

Darunter zu leiden haben die Träger, die jetzt ihre Stellen nicht ausfüllen können. Und darunter zu leiden haben insbesondere die Menschen, die in der Vergangenheit vom Dienst der Zivildienstleistenden so profitiert haben.

Wuttke: Ein Träger ist die Arbeiterwohlfahrt, und die stellt sich hinter die Position der FDP! Warum?

Reichenbach: Ich habe es ja eben erläutert. Ich glaube, es ist richtig, zu sagen, wir dürfen den Bundesfreiwilligendienst nicht dazu missbrauchen, weil zu wenig Geld im System ist, dann ordentliche Arbeitsplätze zu ersetzen, sondern da muss die Lösung sein, etwa in der Pflege, aber auch in anderen sozialen Bereichen, wieder mehr Geld in die Hand zu nehmen. Da hat die FDP in ihrer Position recht. Nur: Sie zieht ja die Konsequenzen daraus nicht, sondern im Gegenteil, sie verspricht weiter Steuersenkungen, obwohl sie weiß, dass etwa im Sozialbereich in Zukunft auf den Steuerzahler viel, viel mehr an Herausforderungen zukommen wird.

Ich habe das Thema Pflege genannt, etwa die Alterspyramide. Und da ist sie in sich nicht konsequent, wie insgesamt die Koalition in sich völlig unschlüssig agiert, und das scheint mir eines der Hauptprobleme zu sein, das sich jetzt auch in diesem Bereich niederschlägt.

Wuttke: Ist es vielleicht auch ein Problem, dass zwar das ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement in dieser unserer Gesellschaft immer hochgelobt wird, aber möglicherweise der Einsatz auch eine Generationenfrage, eine Einstellungsfrage ist, oder womöglich hat das was mit den Geburtenzahlen in Deutschland zu tun?

Reichenbach: Natürlich, wenn immer weniger junge Menschen auf die Welt kommen, dann haben wir auch ein immer geringer werdendes Reservoir, aus dem sich freiwilliges Engagement schöpft. Aber der allgemeine Eindruck, dass freiwilliges Engagement von jungen Menschen zurückgeht, lässt sich durch die Zahl nicht belegen. Der Bund führt ja dieses sogenannte Freiwilligensurvey durch, es steht jetzt das nächste an, und die in der Vergangenheit haben alle gezeigt, dass das freiwillige Engagement von jungen Menschen nicht etwa abnimmt, sondern in der Vergangenheit sogar leicht zugenommen hat.

Der Grund ist der, dass allerdings junge Menschen nicht mehr so in festen Strukturen sich engagieren. Das hat aber etwas mit der Veränderung in der Berufs- und Arbeitswelt zu tun. Auch das ist natürlich dann eine Entwicklung, die es jungen Menschen auch immer schwerer macht, sich dauerhaft in festen Strukturen zu engagieren. Aber das Engagement insgesamt ist nicht rückläufig.

Wuttke: Deutschland und der Bundesfreiwilligendienst, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerold Reichenbach. Besten Dank, Herr Reichenbach, Schönen Tag!

Reichenbach: Ja, einen schönen Tag noch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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