"Das ist nichts anderes als eine Rentenkürzung"

Gesine Lötzsch im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 17.11.2010
Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Gesine Lötzsch, kritisiert die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung scharf: "Ein-Euro-Jobs können keine Lösung sein". Ebenso lehnt sie die Rente mit 67 ab, da immer weniger Ältere in Arbeitsverhältnissen seien.
Jörg Degenhardt: Die CDU hat sich gerade Mut gemacht auf ihrem Parteitag. Die Linke könnte davon auch eine Portion gebrauchen, ansonsten wird sie 2013 bei der nächsten Bundestagswahl für einen Regierungswechsel nicht benötigt, das schaffen SPD und Grüne dann auch alleine. Derzeit sieht es jedenfalls danach aus. In den aktuellen Umfragen ist die Linke die einzige Oppositionspartei, die nicht vom Imageverlust der schwarz-gelben Koalition profitieren kann. Kein Wunder, wenn die Parteichefin Gesine Lötzsch im Zusammenhang mit der Programmdiskussion in ihrer Partei fordert, die Linke müsse sich stärker an der politischen Realität orientieren und dürfe sich nicht gegenseitig mit Theoriegebäuden erschlagen. Gesine Lötzsch war zu Gast bei uns im Studio, ich habe sie zunächst gefragt, wo ihre Partei stärker Flagge zeigen muss.

Gesine Lötzsch: Ich finde es ganz wichtig, dass die Menschen auch vor Ort die Mitglieder unserer Partei erleben, und zwar so erleben, dass sie sagen können, ja, es hat sich gelohnt, diese Partei gewählt zu haben. Ich darf daran erinnern, dass wir insgesamt 6000 Mandatsträger haben auf der kommunalen Ebene, und zwar in allen Bundesländern, und wenn ich jemandem meine Stimme gegeben habe, dann möchte ich auch, dass der sich für konkrete Lebensumstände einsetzt, und das ist unsere Hauptaufgabe.

Degenhardt: Im aktuellen Programmentwurf Ihrer Partei wird unter anderem eine Bankenverstaatlichung, eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und die Auflösung der NATO gefordert. Sind das die Probleme, die die Menschen derzeit wirklich umtreiben?

Lötzsch: Wir diskutieren ja über unseren Programmentwurf sehr intensiv, wir hatten am vergangenen Wochenende in Hannover eine große Debatte mit 800 Teilnehmern, und da wurde auch immer wieder die Frage aufgeworfen: Was ist mit den konkreten Alltagsproblemen; wie kann die Sicherheit von Arbeitsplätzen gewährleistet werden; wie wird die Gesundheitsversorgung gewährleistet; was kann die Linke dafür tun, dass es auch auf dem Lande Fachärzte oder ärztliche Versorgung gibt? Das sind ganz wichtige Fragen. Was die Bankenverstaatlichung betrifft, da hängen wir eigentlich mit dem Programmentwurf fast schon der Wirklichkeit hinterher, denn die Bundesregierung hat ja die Bankenverstaatlichung von maroden Banken umgesetzt, und meine Sorge ist nur, dass diese Bankenverstaatlichung der Allgemeinheit sehr teuer kommt, und das kann natürlich nicht unser Ziel sein.

Degenhardt: Machen wir es noch ein bisschen konkreter, nehmen wir die Debatte über die Rente mit 67. Sie wollen eher höhere Beiträge, statt diese Rente einzuführen – das heißt unterm Strich: weniger Netto vom Brutto?

Lötzsch: Nein, wir wollen nicht weniger Netto vom Brutto. Unsere Forderung ist ja vor allen Dingen, erst mal klarzumachen, wie der Zusammenhang von Rente und Löhnen ist, und die Basis für gute Renten sind gute Löhne, und wenn in Deutschland die Löhne immer mehr nach unten gedrückt werden, wenn durch Leiharbeit das Lohnniveau verschlechtert wird, dann haben wir natürlich auch keine gute Basis für eine gute Rente. Und jetzt haben wir erfahren durch eine Studie, die die Bundesregierung selber vorgelegt hat, dass der Anteil Älterer, die noch in Arbeitsverhältnissen sind, immer weiter gesunken ist, also ist es auch schon eine Frage der Verantwortung, dass man nicht sagen kann, Rente erst ab 67. Das ist nichts anderes als eine Rentenkürzung, und ich glaube, das ist Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nicht zuzumuten.

Degenhardt: Das heißt, es ist wichtiger, dass die Arbeitgeber erst einmal ausreichend Arbeitsplätze schaffen für die älteren Menschen?

Lötzsch: Wir brauchen erstens ausreichend Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze müssen auch vernünftig bezahlt werden, und natürlich muss sich auch die Politik fragen: Was kann sie denn tun, um Arbeitsplätze zu sichern? Wie müssen die Rahmenbedingungen sein? Und da ist es natürlich ganz wichtig, zu verhindern, dass zum Beispiel durch Leiharbeit vernünftige Arbeitsplätze kaputtgemacht werden, und dort, wo die Privatwirtschaft nicht in der Lage ist, entsprechend Arbeitsplätze auch anzubieten, stellt sich auch die Frage: Warum gelingt es uns nicht, durch einen öffentlich geforderten Beschäftigungssektor Arbeitsplätze zum Beispiel im kulturellen, im sozialen, im Sorgebereich zur Verfügung zu stellen?

Degenhardt: Bleiben wir bei den Arbeitsplätzen, andere Baustelle: Der Bundesrechnungshof hat in einem internen Bericht scharfe Kritik an der Vergabe der Ein-Euro-Jobs geäußert. Sollen die abgeschafft werden, weil sie reguläre Arbeitsplätze gefährden?

Lötzsch: Die Kritik des Bundesrechnungshofes ist unbedingt gerechtfertigt. Ich unterstütze diese Kritik. Ein-Euro-Jobs können überhaupt keine Lösung sein. Unser Konzept sieht anders aus: Wir wollen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, dafür haben wir in Berlin und übrigens auch in Brandenburg schon Anstrengungen unternommen, haben tausende von Arbeitsplätzen auf dem Gebiet geschaffen. Dieser öffentliche Beschäftigungssektor wird jetzt allerdings durch Maßnahmen der Bundesregierung wieder angegriffen, und dem stellen wir uns natürlich entgegen. Aber Ein-Euro-Jobs können nicht die Lösung sein.

Degenhardt: Frau Lötzsch, im Osten sind Sie Volks-, im Westen noch weitgehend Splitterpartei. Wie wichtig ist Ihnen das Mitregieren, wenn Sie dadurch einerseits was für die Menschen tun können, erreichen können, andererseits aber Positionen, zum Beispiel auch aus dem Programmpapier, dann preisgeben müssen?

Lötzsch: Also im Westen sind wir nicht Splitterpartei, sondern Interessenpartei, im Osten, das haben Sie richtig gesagt, sind wir Volkspartei. Wir müssen uns immer entscheiden, in welcher Position wir das Meiste erreichen können, und wenn ich nur die Bundesebene betrachte, haben wir auch aus der Opposition heraus Veränderungen erreicht. Ich erinnere nur daran, dass eine der ersten Beschlüsse des Bundestages nach der Wahl 2005 darin bestand, den Hartz-IV-Regelsatz im Osten auch auf das Westniveau anzuheben. Ich finde nicht, dass es zwangsläufig ist, dass man in der Regierung seine Positionen aufgeben muss, ganz im Gegenteil. Man muss, auch wenn man in Regierungsverantwortung ist, dafür kämpfen, dass man seine eigenen Positionen, seine eigenen Projekte durchsetzt, und nicht schon vorher aus lauter Angst, dass einem das nicht gelingen könnte, sagen, nein, nein, das wird nichts. Mir ist aufgefallen, dass die Menschen, die uns gewählt haben, nicht darauf gucken, ob wir Regierung oder Opposition sind. Sie wollen, dass die Dinge, die wir in der Wahlauseinandersetzung angesprochen haben, auch von uns umgesetzt werden. Und das ist eine ganz klare Erwartungshaltung, und der möchte ich mich stellen.

Degenhardt: Ist das eine Position, die Sie alleine haben, oder die Sie zum Beispiel auch mit Oskar Lafontaine teilen?

Lötzsch: Ich bin da, glaube ich, überhaupt nicht alleine mit dieser Position, sondern vertrete die breite Mehrheit meiner Partei, und fragen Sie Oskar Lafontaine selbst, aber ich bin sicher, er würde mir zustimmen.

Degenhardt: Oder andersherum noch mal gefragt: Wie viel rebellischer Geist steckt eigentlich noch in der Linken, wenn man bedenkt, dass Sie sich ja auch längst mittlerweile im Fünf-Parteien-System in der Bundesrepublik etabliert haben?

Lötzsch: Die Linke ist nicht nur eine rebellische Partei, sie muss auch die Partei von Gerechtigkeit und Fortschritt sein, und diese Aufgaben müssen wir zusammenbringen. Und rebellischer Geist besteht ja nicht darin, nur zu sagen, an der einen oder anderen Stelle machen wir nicht mit, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen die Gesellschaft so verändern, wie es unseren Vorstellungen von Gerechtigkeit und Freiheit entspricht.

Degenhardt: Und wann erleben wir die Einführung des demokratischen Sozialismus?

Lötzsch: Na ja, der demokratische Sozialismus, der wird ja nicht eingeführt per Order di Mufti, sondern das ist ein langer Prozess, wenn wir ihn erreichen wollen. Und die Grundlagen für demokratischen Sozialismus sind Gerechtigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung, und daran arbeiten wir Tag für Tag.

Degenhardt: Zu Gast im Studio war Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Partei Die Linke, zum künftigen Kurs ihrer Partei.
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