"Das ist massiv gefälscht worden"

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 16.06.2009
Der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Hans-Ulrich Klose, geht von einem "massiven" Betrug bei den Präsidentschaftswahlen im Iran aus. Nach seiner Einschätzung sei der erklärte Wahlsieger Mahmud Ahmadinedschad sogar nur Dritter, sagte der SPD-Außenpolitiker.
Birgit Kolkmann: Die Massenproteste in den Großstädten des Iran stehen für die große Empörung vieler Wähler. Für sie ist es eindeutig: Das Regime hat das Wahlergebnis gefälscht. Gestern gingen trotz Verbots mehr als eine Million Menschen auf die Straßen, ihre Videoaufnahmen fanden – trotz der Versuche der Regierung, Medien, Internet und Telekommunikation zu stören – den Weg an die Weltöffentlichkeit. Sieben Demonstranten kamen nach Angaben des staatlichen Rundfunks ums Leben. Die Bundesregierung, die Außenminister der EU haben gestern das iranische Regime aufgefordert, auf Gewalt zu verzichten und den Vorwürfen der Wahlmanipulation nachzugehen. Die Fälschungsvorwürfe müssten schnell und lückenlos beseitigt werden, hieß es. Wir sind jetzt verbunden mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Hans-Ulrich Klose von der SPD!

Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Klose, hat das Ausland viel zu zaghaft reagiert auf das, was jetzt im Iran geschieht?

Klose: Ich finde nicht, weil man muss ja respektieren, das ist eine Auseinandersetzung zwischen Gruppen im Iran selber und es wäre ganz falsch, wenn der Eindruck entstehen würde, es sei eine Auseinandersetzung zwischen dem Iran und dem Westen. Das würde denen, die jetzt in großem Mut und in großen Scharen auf die Straßen gehen, nicht helfen, es würde eher schaden.

Kolkmann: Nun wurde aber auch kritisiert – zum Teil auch in vielen Zeitungskommentaren heute –, dass zum Beispiel EU-Chefdiplomat Solana dafür eingetreten ist, den Dialog mit Teheran nicht auszusetzen. Damit würde den Mullahs faktisch freie Hand gegeben. Müsste man im jetzigen Zeitpunkt nicht zumindest sagen, wir reden erst einmal nicht mit euch, bis ihr das geklärt habt?

Klose: Na ja, man muss immer überlegen, was eine solche Erklärung wirklich wert ist. So, wie ich die Gruppe um Ahmadinedschad einschätze – die legen ohnehin keinen großen Wert auf den Dialog. Es geht ja um die anderen, die jetzt auf die Straße gehen. Die möchten den Dialog, und deshalb, finde ich, sollte die prinzipielle Bereitschaft dazu bleiben.

Kolkmann: Wie kann aber eben den anderen geholfen werden, dass sie zu ihrem Recht kommen, wenn – wonach es ja ausschaut – die Wahlen in der Tat manipuliert oder sogar gefälscht worden sind?

Klose: Ich glaube, sie sind gefälscht worden und es gibt da eine Menge Hinweise aus dem Iran selber. Man kann aber auch zu Ergebnissen kommen, wenn man die Ergebnisse der vorangegangenen Wahlen vergleicht mit dem, was jetzt passiert ist plus den wenigen Voraussagen, die es gegeben hat. Meine persönliche Vermutung wäre, dass die Reihenfolge, die richtige Reihenfolge wahrscheinlich Mussawi, Karrubi und an dritter Stelle Ahmadinedschad ist. Das ist massiv gefälscht worden und ich glaube, die beste Hilfe im Augenblick besteht darin, die Tatsachen an die Öffentlichkeit zu bringen, an die Weltöffentlichkeit und alles, was man tun kann, um die Protestierer zu unterstützen, damit die Welt unterrichtet ist, das hilft.

Kolkmann: Was kann denn getan werden, um die Protestierer zu unterstützen?

Klose: Na ja, alle Informationskanäle öffnen und in der Medienberichterstattung – im Westen wie auch in der arabischen Welt – nicht nach einem oder zwei Tagen zur Tagesordnung übergehen. Das wäre entscheidend.

Kolkmann: Nun frage ich Sie nicht als Medienvertreter, sondern als Politiker, als Mitglied des Deutschen Bundestages: Was kann da ein Gremium wie der Auswärtige Ausschuss tun mit seinen Kontakten?

Klose: Der Auswärtige Ausschuss hat glücklicherweise Kontakte, aber ich sehe nicht, was er operativ im Augenblick wirklich tun kann. Wir versuchen natürlich, telefonisch Kontakt zu halten. Das gelingt nur in Maßen, aber das ist immerhin ein Zeichen, dass wir Anteil nehmen, und das ermutigt diese wirklich sehr mutigen, jungen Leute. Im Übrigen muss ich sagen, es bestätigt sich im Augenblick das, was ich immer vermutet habe: Der Iran ist eigentlich ein Land, ein Volk, in dem die besten Chancen für Demokratie vorhanden sind, weil die jungen in der Regel gut ausgebildeten Menschen ein anderes Regime wollen. Die Problematik besteht darin, dass wir es im Augenblick zu tun haben mit einer Machtübernahme der Nationalisten, die sich überwiegend aus der iranischen Unterschicht rekrutieren, und die kämpfen zum einen gegen die Mehrheit der geistlichen Führer und die kämpfen zum anderen gegen das, was man früher den Basar oder das iranische Bürgertum nannte.

Kolkmann: Was befürchten Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen in Teheran? Steht das Land am Rande eines Bürgerkriegs?

Klose: Das darf man dem Land natürlich nicht wünschen und alles, was auf eine gewaltsame, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung hinausläuft, wäre eine Katastrophe, weil die Milizen überaus gut ausgerüstet sind, manche sagen, besser als die iranische Armee. Es wäre gut, wenn die Proteste anhielten, wenn die Weltöffentlichkeit weiter aufmerksam nach Iran blicken würde und wenn alles unterbliebe, was auf eine Ermutigung von Ahmadinedschad hinausläuft, wobei man hinzufügen muss: Das Problem scheint zu sein, dass es dann auch wohl um den religiösen Führer ginge, der sich immer und geradezu kritiklos hinter Ahmadinedschad gestellt hat. Mal sehen, was im Augenblick herauskommt, wenn der Wächterrat berät. So, wie ich den kenne, ist das ein Club von Hardlinern, das mag schon sein, aber wohl kann denen in ihrer Haut auch nicht sein.

Kolkmann: Gesetzt den Fall, es kommt zu einem Regierungswechsel im Iran. Könnten dann die im Moment doch ziemlich auf Eis liegenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Iran und Deutschland – die sind ja seit Anfang des Jahres um ein Drittel eingebrochen, auch wegen des Embargos –, könnten die dann wieder praktisch aufgetaut werden, wieder aktiviert werden, damit auch den Menschen im Lande geholfen ist?

Klose: Na ja, das muss man schon auseinanderhalten. Die Sanktionen gibt es ja wegen des iranischen Nuklearprogramms. Die Welt, die westliche Welt ist sicherlich bereit, dem Iran zu helfen, auch wirtschaftlich zu helfen, aber es muss halt sichergestellt sein, dass vom Iran keine Gefahr ausgeht und deshalb muss man auch über das iranische Atomprogramm reden – dies übrigens nicht nur aus der Sicht des Westens, sondern auch aus der Sicht vieler Staaten in der Region, die besorgt sind über das Vormachtstreben des Iran.

Kolkmann: Hans-Ulrich Klose, der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag von der SPD. Ich danke Ihnen für das Gespräch in der Ortszeit!

Klose: Ich bedanke mich meinerseits, schönen Tag!

Kolkmann: Ihnen auch!