Das inszenierte ideale Italien

Von Anette Schneider · 10.07.2012
Italien wurde nicht erst in der Nachkriegszeit zum Sehnsuchtsort der Deutschen: Im 19. Jahrhundert gehörte eine Italienreise zum Pflichtprogramm eines Bildungsbürgers. Zur Verklärung Italiens als Arkadien trugen unzählige Gemälde und Fotografien bei, in denen die grassierende Armut nicht vorkam.
Die Aufnahme faszinierte Wissenschaftler und Öffentlichkeit gleichermaßen: 1852 fotografierte James Anderson die Laokoongruppe. Zehn Jahre später präsentierte er das Bild auf der Londoner Weltausstellung. Das Publikum war begeistert: Erstmals sah es ein antikes Kunstwerk nicht reproduziert als Kupferstich, sondern vermeintlich "real".

In der Ausstellung bildet diese Aufnahme allerdings eine Ausnahme, denn in Innenräumen zu fotografieren, war sehr mühsam, erklärt Gerhardt Finkh, Leiter des van der Heydt Museums:

"Die Belichtungszeiten waren ja zum Teil irrsinnig: Also, wenn wir uns das vorstellen, dass manche Fotos nicht nur 24 Stunden - sogar 48 Stunden lang belichtet wurden. Das war ein wahnsinniger Aufwand, den man betrieben hat und hat dann hinterher nur ganz wenige Abzüge davon gemacht. Das macht diese Fotos eben auch so ungeheuer kostbar."

220 solcher Kostbarkeiten versammelt die Ausstellung, außerdem einige Ölbilder aus dem frühen 19. Jahrhundert. Sie führen exemplarisch das damals in der Malerei vorherrschende Italienbild vor, zeigen antike Stätten, idyllische Hirtenszenen, den Sonnenuntergang bei Capri.

Auf dieses Idealbild musste die Fotografie ab 1850 reagieren. Und wie das angeblich so wirklichkeitsbezogene Medium dies tat, erstaunt denn doch. Die meisten Aufnahmen zeigen: antike Stätten, idyllische Hirtenszenen, Sonnenuntergänge bei Capri.

Gerhardt Finkh: " Die Fotografie setzt einerseits dieses idyllische arkadische Italienbild weiter fort, die Reisenden, die im 19. Jahrhundert nach Italien kamen, haben natürlich genau dieses idyllische Italien gesucht. Man wollte einerseits die großen antiken Monumente besuchen. Aber man wollte natürlich auch das 'Volksleben' in Italien studieren. Man dachte, die Italiener seien das einzig freie Volk in Europa. Und dieses Volk hätte nichts anderes zu tun als dieses 'dolce far niente', also Nichts tun den ganzen Tag, weil einem ja sowieso die Weintrauben in den Mund wachsen. Und die Malerei und die Fotografie haben dieses idyllische Italienbild verstärkt."

Venedig, Rom, Pompeji, Sizilien. Der Ausstellungsrundgang folgt den Stationen der "Grand Tour", der klassischen Bildungsreise wohlhabender Nordeuropäer. An jedem dieser Orte boten Fotografen den Touristen ihre Sehnsuchtsbilder von Italien an. In Venedig: Rialto-Brücke, Markusplatz, Dogenpalast. In Rom: spanische Treppe, Trajanssäule, Forum Romanum. In Pompeji: die Gassen.

Diese Aufnahmen füllen nun die Ausstellungswände. Zwischendurch sieht man einige inszenierte Szenen von einer tatenlos am Strand lagernden Fischerfamilie, von Männern, die müßig in der Sonne hocken, von Kindern beim Kartenspiel. Der Italiener – faul und glücklich.
Natürlich hatte all dies nichts mit der Realität zu tun. Doch seitdem Thomas Cook Mitte des 19. Jahrhunderts organisierte Reisen anbot, waren die wohlhabenden Damen und Herren ohnehin gefeit vor zu viel Nähe zum Alltagsleben: Edelhotels, eine vertraute Menüfolge und geführte Touren sorgten dafür, dass sie unter sich blieben, und nur das sahen, was sie sehen wollten. Das schmückte dann auch die teuren Fotografien und Ölbilder, die sie sich als Mitbringsel leisteten.

Gerhardt Finkh: "Die Fotografie diente ja einerseits als Souvenir für die Reisenden aus dem Norden. Die wollten natürlich das heile Italien zuhause zeigen. Also Sozialkritik und Modernität war einfach kein Thema in diesem Italien. Auch der Krieg - also das Risorgimento mit Garribaldi - wurde ja weitestgehend ausgeblendet, obwohl es eine reale Gefahr war. Viele Reisende konnten bestimmte Ziele gar nicht mehr ansteuern, weil dort Krieg herrschte. Oder auch Pest und Cholera, die ja im Süden noch herrschte - die wurden ausgeblendet."

Diese Ignoranz führt die Ausstellung eindringlich vor, indem sie der großen Anzahl Fotografien einige wenige kritische Zitate aus historischen Reiseberichten gegenüberstellt, die von Armut und grassierenden Krankheiten erzählen, verdeutlicht sie, was die Bilder alles nicht zeigen.

Noch war die Fotografie eben kein demokratisches Medium, sondern ein Luxusgut: Entsprechend hielten die Fotografen nur das fest, was die kaufkräftigen Reisenden sehen wollten. Die sozialen Probleme, die der Kapitalismus mit sich brachte, gehörten nicht dazu. Lieber flüchtete man sich in Idealvorstellungen von der Antike - und in zynische Idealbilder von Armut.

Günter Finkh: "Die Arbeiterklasse oder die Bauern, die kommen zwar in den Bildern gelegentlich vor, aber nur in idealisierter Form: Die haben dann wunderschöne Trachten an und sind dann beim Feierabend zu sehen, wo eben der Lazarone - der Lastenträger - nicht die Last schleppt, sondern wo er seinen Korb, indem er die Lasten schleppt, in eine Ecke gestellt hat und sich selbst hineingesetzt hat. Also ganz malerisch. Wo eben die Bäuerin eben nicht die Kartoffeln aus dem Boden holt, sondern Tarantella tanzt."

Service:
Die Ausstellung "Bella Italia" ist bis zum 9.9.2012 im Von der Heydt-Museum Wuppertal zu sehen.
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