"Das Inferno ist die Menschheit selbst"

Moderation: Frank Meyer · 17.05.2013
Auch Dan Browns neuer Roman "Inferno" dürfte in Deutschland wieder ein Bestseller werden. Der Theologe Rainer Kampling hat das Buch schon gelesen. Wir sprechen mit ihm über diesseitige Höllenvorstellungen, schwarze Pädagogik und vormoderne Verschwörungstheorien.
Frank Meyer: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren", so heißt es in Dantes "Göttlicher Komödie" angesichts des Höllentors. Dantes Wanderung durch die Hölle, durch das Inferno, ist die Quelle für den neuen Roman des Bestsellerautors Dan Brown . Er hat sich nicht nur den Titel "Inferno" bei Dante ausgeborgt. Mit 700.000 Exemplaren ist das Buch in dieser Woche auf den Markt gekommen allein in Deutschland, und da es da um einen so zentralen Begriff des christlichen Glaubens geht, eben die Hölle, haben wir einen katholischen Theologen als Dan-Brown-Leser verpflichtet: Professor Rainer Kampling von der Freien Universität Berlin. Seien Sie herzlich willkommen!

Rainer Kampling: Guten Tag!

Meyer: Wie war das denn so für Sie mit Ihrem ersten Dan Brown? Ich glaube, freiwillig hätten Sie das Buch nicht angefasst.

Kampling: Ich muss einfach sagen, dass ich diese Art von Literatur … sie wird ja auch besprochen, man hat ja jetzt schon das Gefühl, dass man alles weiß. Also welche Überraschung soll man noch erwarten? Das Buch ist gerade auf dem Markt, und die Seiten quellen über mit Besprechungen, und das war ja bei den anderen auch bereits so, und das finde ich dann ein wenig öde. Die Erfahrungen waren sehr gemischt, zum Teil sehr ermüdend, so wie man in einem Kinofilm denkt, wann geht das denn mal weiter, dann aber interessanterweise auch viel Déjà-vu. Die Die ganze Zeit habe ich an Hitchcock gedacht "North by Northwest" – also man weiß die ganze Zeit bei dem Buch eigentlich nicht, worum es genau geht, aber es gibt eine Verfolgungsjagd nach der anderen, man erwartet jeden Augenblick, (…), und dann kommt dieses merkwürdige Flugzeug …

Meyer: Wie bei Hitchcock eben.

Kampling: … wie bei Hitchcock. Es war ganz merkwürdig, also ich habe dauernd dieses Hitchcock-Ding im Kopf gehabt, sodass ich schon das Bild vor Augen hatte. Ja, und dann war ich erstaunt über die merkwürdigen unliterarischen Teile des Buches.

Meyer: Was meinen sie damit, unliterarisch?

Kampling: Das ist ganz merkwürdig, das Buch springt aus seiner eigenen Rolle und wird zum Fremdenführer, und zwar in einer völlig objektivierenden Sprache, auch oft ohne Bezug zur Erzählperson …

Meyer: Weil es so von Schauplatz zu Schauplatz wandert? So Venedig und so weiter?

Kampling: Ja, aber es werden dann Fakten mitgeteilt. Also wir stehen auf dem Markusplatz, und wir erfahren, was der Markusplatz ist. Also es wird nicht erzählt, was der Held oder die Heldin des Buches empfindet, sondern es kommt auf einmal wie eine objektive Berichterstattung, wie eine Stimme aus dem Off, das ist jetzt ein wichtiger Platz – überhaupt alle Plätze sind wichtig, alle Gebäude sind groß und zentral. Und das ist aber irgendwie in einem Stil vorgetragen, der mit der literarischen Umwelt eigentlich wenig zu tun hat.

Meyer: Wir haben Sie ja nun als Leser und als Höllenexperten verpflichtet. "Inferno" steht in rot brennenden Buchstaben auf dem Titel des Romans. In was für eine Hölle gerät man denn da bei Dan Brown?

Kampling: Also das ist wirklich erstaunlich, man darf ja nichts verraten, aber das wird eigentlich erst zum Schluss aufgeschlüsselt und das hat mich dann tatsächlich doch erstaunt. Man könnte vielleicht, ohne zu viel zu verraten, sagen, das Inferno ist die Menschheit selbst. Ich habe nun keine anderen Dan Browns gelesen, nur darüber gelesen, offensichtlich ist es diesmal doch so, dass wir nicht Dante als eine Spurensuche selbst haben, sondern als Folie, er wird oft zitiert. Natürlich ist dieser Professor auch in der Lage, mal eben kurz seitenweise zu zitieren.

Meyer: Der Professor ist die Hauptfigur, der Ermittler.

Kampling: Ja, jener Herr Robert Langdon, der ja einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte hat, wobei er bisweilen erstaunlich wenig Ahnung von Kunstgeschichte hat. Aber Dante ist nur die Folie, glaube ich, es ist nicht, wie wohl sonst, dass es selber der Schlüssel ist. Es taucht oft auch als Assoziation auf einfach nur.
Meyer: Das ist interessant, wenn Sie sagen, die Menschheit ist die Hölle selbst, weil das bringt mich auf die Frage: Wie ist eigentlich die Höllenvorstellung heute, ist die so säkularisiert, wir hören ja oft, wenn wir Menschen uns nicht umwenden, wenn wir nicht anders leben, nachhaltig leben, dann machen wir unseren Planeten selbst zur Hölle, gibt es da eine Beziehung?

Kampling: Ja, ich denke, dass wir natürlich ansetzen müssten bei Sartre in der europäischen Geistesgeschichte, also die Wahrnehmung, dass die Hölle wirklich das ist, was wir selber sind. Also wenn man an "Die Eingeschlossenen" denkt, dieses Theaterstück, die Hölle ist tatsächlich eine Chiffre geworden, und zwar für völlige Vernichtung. Das scheint mir schon so zu sein, und das scheint auch das Motiv zu sein, das nun bei Dan Brown überwiegt. Die Hölle ist nicht etwas Jenseitiges, sondern was Diesseitiges, vielleicht schon Daseiendes oder oder Schaffbares.

Meyer: Ist das heute selbst in der katholischen Kirche so, dass man gar nicht mehr im alten Sinne an die ewige Verdammnis glaubt, sondern dass auch für die katholische Kirche die Hölle säkularisiert ist?

Kampling: Nein, die katholische Kirche ist ja doch noch ein Glauben, in dem die Säkularisation nicht so weit vorangeschritten ist. Die Hölle ist die Bezeichnung nicht eines Raumes, sondern eines Zustandes, nämlich des Zustandes des völlig von Gott getrennt seienden Menschen, der also nach dem irdischen Leben in einem Zustand der absoluten Gottesferne existiert. Dass dieser Zustand gleichsam räumlich auch gedacht wird, ist traditionell bedingt und entspricht einem Weltbild, das wir heute vielleicht in dieser Form nicht mehr teilen, aber es ist eben ein Zustand primär, eine Existenzweise, die von Gott getrennt ist, so könnte man es am besten definieren.

Meyer: Ich erinnere mich an viele Lebensbeschreibungen von Schriftstellern zum Beispiel, die so vor 80, 100 Jahren großgeworden sind, und da ist oft ein Motiv, was wiederkehrt, wenn es katholische Schriftsteller sind, dass sie beschreiben, wie sie in ihrer Kindheit geschreckt wurden mit Schilderungen der Höllenqualen, und sich bis heute daran erinnern und auch beschreiben, was das für eine Pein war für ihre kindliche Seele. Wird das heute so gar nicht mehr vermittelt in der Kirche?

Kampling: Also das ist eine Phase, die wir gern der Geschichte der schwarzen Pädagogik zurechnen dürfen. Ich selber habe das auch noch gelernt, ich bin also vorm Zweiten Vatikanum zu den Sakramenten zugelassen worden. Und ich wusste nach dem Kommunionsunterricht auch besser, wie die Hölle aussieht als die Erde. Das hängt, glaube ich, wirklich damit zusammen, dass die Hölle eine lange Zeit eine Funktion hatte, Menschen auf die Ernsthaftigkeit ihres Tuns zu verweisen, man hat mit der Strafpädagogik gearbeitet. Es ist ein pädagogisches Modell, was wir ja auch sonst noch kennen. Und das ist prägend, das stimmt wirklich, das könnte ich mir gut vorstellen, dass es auch anderen Menschen so ergeht.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, der Theologe Rainer Kampling ist bei uns, und wir reden über den neuen Dan Brown, seinen neuen Bestseller-Roman "Inferno" – es wird wahrscheinlich wieder ein Bestseller. Ich würde gerne noch die Beziehung Dan Brown – katholische Kirche auf einer anderen Ebene ansprechen: Mit seinem Roman "Sakrileg", da ging es ja um eine alternative Geschichte des Christentums, hatte Jesus eine Frau, hatte er Kinder, es ging auch um Mauscheleien, um es mal ganz zurückhaltend zu sagen, hinter den Mauern des Vatikan. Und als das Buch herauskam, war Dan Brown eine Zeit lang so was wie der Lieblingsfeind der katholischen Kirche. Das hat sich inzwischen etwas abgemildert, und so im Rückblick könnte man da nicht sagen, eigentlich war er ein genialer Marketingmitarbeiter der Kirche?

Kampling: Ja, angeblich ist ja gleichgültig, wie die Werbung ist, Hauptsache, es ist Werbung. Es ist schon kurios, aber ich denke, er hat wirklich eigentlich nur etwas wieder hervorgehoben, was in den USA viel verbreiteter ist als in Europa, er hat es aber transportiert. Wenn Sie zum Beispiel daran denken, welche Verschwörungstheorien im Umfeld der Wahl von John F. Kennedy waren, da gibt es Dokumente, das glauben Sie nicht – der jüdische Katholik John F. Kennedy will die Macht, und das hat er einfach bedient. Er kommt offensichtlich aus einem, würde ich sagen, sehr reaktionären Kontext.

Also ich finde, es ist eben auch hart an der Grenze zum Rassismus. Natürlich müssen bei den Familien, die die Verschwörung der Welt bilden, auch zwei jüdische Familien dabei sein, nicht? Also das wird in Deutschland vielleicht noch zu wenig gesehen, wie aktuell Verschwörungstheorien in den USA bis heute sind, bis in die Politik hineingehen, man muss sich nur diesen Unsinn mit der muslimischen Geburt von Obama vorstellen. Das hat er transferiert und hat dankbare Anhänger gefunden, was einfach zeigt, dass die Moderne nicht angekommen ist, denn Verschwörungstheorien, auch wenn sie sich modern geben, sind immer ein Zeichen der Vormoderne.

Meyer: Ich würde gern noch mal auf den neuen Roman zurückkommen: In einer Rezension hieß es, der thematische Kern dieses neuen Dan Brown, das sei der Gegensatz einerseits der Allmachtsvorstellungen der Menschheit, wir können alles machen, gerade haben wir erfahren, dass jetzt auch Menschen geklont werden können, andererseits die menschliche Beschränktheit. Und da sagt eine der Hauptfiguren am Ende des Romans, wir sollten unsere Technologie dazu einsetzen, die Spezies voranzubringen und Menschen zu erschaffen, die gesünder, stärker und widerstandsfähiger sind und bessere Gehirne besitzen. Ist diese Art Menschenaufrüstung dann am Ende tatsächlich so eine Art Botschaft dieses Romans?

Kampling: Also das ist sehr ambivalent, das ist wirklich herrlich. Es gibt ja auch im Französischen das Bild vom glücklichen Betrunkenen, der nie über die Klippe fällt – Dan Brown scheint zu vermitteln, dass dies eine positive Wahrnehmung der Entwicklung ist, er verteidigt Darwin und dann kommt irgendwann der Satz: Aber ethisch ist das alles nicht. Also ein ganz kurioses Zurückschrecken vor seinen eigenen Sätzen, es wird das, was dort gesagt wird, was Sie jetzt zitiert haben, wirklich positiv rezipiert, und …

Meyer: Das spricht auch eine positive Heldin übrigens aus.

Kampling: … und es ist eine tiefe Sorge um die Menschheit, und dann kommt da irgendwann der Satz: Ja, ethisch nicht, aber alle sind glücklich, dass es jemand getan hat. Ein klassisches Modell, das wir kennen aus der Menschheitsgeschichte, und das ist schon erstaunlich. Er hat ja offensichtlich immer so ein Hauptthema, soweit ich das verstanden habe: Einmal die katholische Kirche und die Verschwörung der Welt, und irgendwie war es dann eine neue Form von transportablen Geistern, was weiß ich, und diesmal ist es tatsächlich dieser Plot: Wie weit dürfen wir gehen? Und ich will jetzt Dan Brown nichts unterstellen, weil er ist ja Autor, er will Geld verdienen, und was seine Figuren sagen, ist ja erst mal davon unbeschadet, aber es ist schon auffallend, dass eine positive Figur einen solchen Satz sagt, und dass wirklich nur die Ethik das ganze noch rettet.

Meyer: In dem Roman "Inferno" von Dan Brown, in dieser Woche erschienen, aus dem Englischen übersetzt von Axel Metz und Rainer Schumacher, das Buch ist im Gustav Lübbe Verlag herausgekommen mit fast 700 Seiten, für 26 Euro ist es zu haben. Und unser Leser war Professor Rainer Kampling von der Freien Universität Berlin. Danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Kampling: Bitte!


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Kampling, Rainer
Rainer Kampling© Christian Arlt