Das Ich als Illusion

Von Gerrit Stratmann · 04.05.2008
Das Ich sei nicht fassbar oder lokalisierbar, sondern nur eine nützliche Abkürzung für die zahllosen Transaktionen, die sich chemisch-physikalisch im Gehirn abspielen, meint der US-Amerikaner Douglas Hofstadter. Mit "Ich bin eine seltsame Schleife" hat er mit leichter Feder ein gut lesbares philosophisches Buch geschrieben.
Eines der spannendsten Probleme aller Zeiten ist noch immer ungelöst: Die Kluft zwischen Geist und Materie. Seit Jahrhunderten versuchen Philosophie und Wissenschaft zu verstehen, was das Bewusstsein in unseren Gehirnen ausmacht, wie das Ich-Gefühl entsteht und woher die Seele kommt, die unseren Körper bewohnt und steuert. Der Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter gibt seine Antwort auf diese zentrale Frage nach dem Ich schon mit dem Titel seines neuen Buches: Ich bin eine seltsame Schleife.

Hofstadter entwirft ein Bild vom Ich, dessen Ursprung ganz diesseits der Naturgesetze allein im Materiellen unserer Gehirne zu suchen ist. Das "Ich" ist für ihn eine unvermeidliche Illusion. Es ist nicht fassbar oder lokalisierbar, es ist nur eine nützliche Abkürzung. "Ich" ist eine Metapher für die zahllosen Transaktionen, die sich chemisch-physikalisch im Gehirn abspielen.

Um klarzumachen, wie aus "einfachen", naturgesetzlichen Vorgängen auf atomarer Ebene etwas so Komplexes wie unser sich selbst wahrnehmendes Ich entstehen könnte, bedient Hofstadter sich eines erstaunlichen Beweises aus der Mathematik. Held dieser zentralen Analogie über den menschlichen Geist ist der Logiker Kurt Gödel. Der entwickelte 1931 einen bahnbrechenden Beweis, mit dessen Hilfe er es schaffte, mittels aus der Mathematik entwickelten Symbolen eine Aussage über die Mathematik selber zu machen. In letzter Konsequenz zeigte er damit, dass jedes hinreichend komplexe Symbolsystem benutzt werden kann, um Aussagen über sich selbst zu machen.

Hofstadter interpretiert Gödels Beweis als eine Beschreibung der Mechanismen des menschlichen Denkens. Er sieht das Gehirn als ein hinreichend komplexes Gebilde, das einen nahezu unendlichen Symbolvorrat generieren kann, genug, damit darin eine "seltsame Schleife" entstehen kann, die sich selbst wahrnimmt: ein Ich.

Der Begriff der seltsamen Schleife taucht schon in seinem Kult gewordenen Erstlingswerk "Gödel, Escher, Bach" von 1979 auf. Dort hat Hofstadter seine Vorliebe für rekursive, also schleifenartige Strukturen, bereits ausgiebig offenbart: Bilder, die sich selbst zum Inhalt haben, Sätze, die über sich selber sprechen ("Ich lüge."), Spiegel, die sich gegenüber stehen, Dinge also, die immer wieder auf sich selbst zurückverweisen. Solche Schleifen nennt er "seltsame" Schleifen, wenn sie nicht nur sich selber wahrnehmen, sondern das Wahrgenommene auch symbolisch verarbeiten, das heißt denken können.

Hofstadter bemerkt, er habe "Ich bin eine seltsame Schleife" zum Teil nur deshalb geschrieben, weil er von der Rezeption von "Gödel, Escher, Bach" enttäuscht gewesen sei. Die Leute mochten sein erstes Buch aus allen möglichen Gründen, aber kaum jemand habe der eigentlichen Botschaft Beachtung geschenkt, der Idee, unser Geist sei ein schleifenartiges Phänomen des Gehirns, das – ähnlich wie die Mathematik – einen quasi unerschöpflichen Symbolvorrat hervorbringen könne, wodurch es in der Lage wäre, Aussagen über sich selber zu treffen und sich quasi selbst zu bespiegeln.

Ebenso wie sein gepriesener Erstling ist "Ich bin eine seltsame Schleife" ein philosophisches Werk. Und Philosophie, sagt Hofstadter, kann nichts beweisen, nur überzeugen. Deshalb präsentiert er seine Argumente in Form einer "Salatschüssel voller Metaphern und Analogien", wie er sein Buch selber charakterisiert. Das macht die Reise zum nichtvorhandenen Zentrum des Ichs zu einem mit leichter Feder geschriebenen Lesevergnügen. Er verliert sich weniger in Details als noch in "Gödel, Escher, Bach", wodurch sein Erzählen insgesamt geschmeidiger wird. Trotzdem oder gerade deshalb gehört es mit zum Anregendsten, was zum Themenkreis Leib - Seele bzw. Bewusstsein und Gehirn seit langer Zeit gesagt wurde. Man wünscht sich, dass Hofstadters Denkmodell nach fast 30 Jahren endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.

Rezensiert von Gerrit Stratmann

Douglas Hofstadter: Ich bin eine seltsame Schleife
Übersetzt von Susanne Held
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008
528 Seiten, 29,50 Euro