Das Geräusch des Spatens

Von Tobias Wenzel · 10.10.2009
Der israelische Schriftsteller Amos Oz, der spätestens mit seinem autobiografischen Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" weltbekannt wurde, unternimmt derzeit eine Lesereise durch Deutschland. Hier stellt der 70-Jährige sein neuestes Buch vor.
Amos Oz, ein Mann mit kurzen grauen Haaren und einer dicken Brille, die seine grüngrauen Augen stark vergrößert, liest die Erzählung "Graben". Sie stammt aus seinem neuen Buch "Geschichten aus Tel Ilan". In "Graben" meint ein alter israelischer Mann, ein ehemaliges Knessetmitglied, Spaten-Geräusche unter seinem Haus zu hören. Seine Tochter glaubt ihm anfangs nicht. Der alte Mann verdächtigt den arabischen Studenten, der für ihn arbeitet, heimlich unter dem Haus zu graben.

"Ich habe weder diese noch eine andere Geschichte als ein Statement zur Nation oder der Politik im Nahen Osten geschrieben. Wenn ich meiner Regierung sagen will, dass sie zur Hölle fahren soll, dann nehme ich meinen Füller zur Hand und schreibe einen wütenden Artikel, in dem ich der Regierung sage, sie solle zur Hölle fahren. Die Regierungsmitglieder lesen zwar meine Artikel, aber sie tun mir leider nie den Gefallen, zur Hölle zu fahren. Wenn ich dagegen eine Geschichte schreibe, erzähle ich einfach nur eine Geschichte. Ich schreibe keine Allegorien. Ich schreibe über die condition humaine und nicht über die Krise im Nahen Osten. In meinen Geschichten mache ich CNN keine Konkurrenz."

Sieben der acht meisterlich erzählten, oft tragikomischen Geschichten drehen sich um das 100 Jahre alte israelische Dorf Tel Ilan, eine Erfindung des 70-jährigen Amos Oz. Der lässt einige seiner Figuren gleich in mehreren Geschichten auftauchen. So ist formal ein lockerer Roman entstanden und inhaltlich ein verblüffend glaubhaftes Dorfpanorama mit Menschen, die verzweifelt nach dem Glück suchen:

"Ich bin mein ganzes Leben lang ein Spion gewesen. Ich belausche Menschen, ich betrachte, beobachte sie. Ich mache das schon seit frühester Kindheit, seit ich das Alphabet kann. Geschichten zu erzählen heißt für mich: beobachten und zuhören. Wenn ich eine Geschichte schreibe, möchte ich, dass der Leser das Gefühl hat dorthin zu reisen, in diesem Fall in das Dorf Tel Ilan. Der Leser soll die Geräusche vernehmen, die Örtlichkeiten vor sich sehen, die Gerüche riechen. Er soll glauben, selbst im Dorf zu sein. Gerade das macht doch gute Literatur aus."

Die letzte Geschichte des Buches spielt allerdings nicht mehr in Tel Ilan, sondern schildert einen Alptraum von Amos Oz. Es ist ein Ort der Inzucht, des Siechtums, des Inzests, ein Ort, an dem die Insekten mächtiger erscheinen als die amoralischen Menschen. Ein Alptraum, der in den Augen des israelischen Nobelpreisanwärters und Friedenskämpfers irgendwann mal Zukunft sein könnte?

"Ich habe keine Antwort darauf. Aber das ist nicht unmöglich. Das hat es schon gegeben. Wir haben gesehen, was für schreckliche Dinge Menschen anderen Menschen antun können. Die Zukunft liegt in unserer Hand, nicht in den Händen irgendwelcher höheren Mächte. Ob die Zukunft ein Alptraum wird oder nicht, diese Frage geht uns alle an, jeden von uns."

Die drei Hauptfiguren aus der Erzählung "Graben", der knorrige alte Ex-Politiker, seine Tochter und der junge Araber, der für beide arbeitet, könnten zwar verschiedener nicht sein, vermitteln aber letztlich so etwas wie Hoffnung. Denn sie haben etwas gemein: Alle drei hören schließlich seltsame Geräusche unter dem Haus, die so klingen, als würde jemand graben:

"Hören wir in gewisser Hinsicht nicht alle manchmal ein Graben unter den Fundamenten unseres Lebens? Das ist ein sehr universelles Phänomen: die Unsicherheit, die Angst, vor allem nachts, wenn wir allein sind; die Neigung dazu, sich untereinander zu verdächtigen und zu beschuldigen: 'Wenn jemand unter dem Haus gräbt, dann sicher der Araber!' 'Nein, es muss die Frau sein!' 'Nein, das ist bestimmt der alte Mann!' 'Es muss jemand anderes sein!' Am Ende stellt sich heraus: Genau das ist die condition humaine, das, was den Menschen zum Menschen macht."

Service:

"Geschichten aus Tel Ilan" ist im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 187 Seiten und kostet 16,80 Euro. Am Montag, den 12. Oktober 2009, liest der Autor daraus in Karlsruhe und am Mittwoch, den 14. Oktober 2009, in Berlin.