Das Geheimnis der doppelten Helena

Von Michael Laages · 09.06.2010
Peter Handke gibt "Helena" in seiner Neuübersetzung modernere Farben und lässt die Protagonistin doppelt auftreten. Darüber hinaus aber schärft Luc Bondys Inszenierung diese Satire eher nicht.
Die grandiose, kunstvoll gestrickte Haupt-Pointe des Abends verdankt sich schon der ironischen Bosheit des antiken Satirikers Euripides – der dem erstaunten Publikum nämlich mitteilt, dass Helena, die angeblich zehn Jahre lang bis aufs Blut umkämpfte schöne Trophäe im Krieg um Troja, ebenda im Grund niemals war.

Hera hat’s gerichtet, die Göttermutter - um Helena, das Ergebnis eines Seitensprungs von Göttervater Zeus (als er Schwan war bei Leda …), vor den diversen Verführungen zu bewahren, die in dieser ganzen verflixten Entführungsgeschichte lauerten (und wohl auch um der zickigen Tochter Aphrodite eins auszuwischen, die das ganze Desaster ja angezettelt hatte mit ihrer elend eitlen Schönheitswette um einen Apfel), ließ sie Helena nur als Idee, als Schemen, als Wunschgebild’ aus lauter Männerphantasie und Äther mit nach Troja ziehen; während die echte, die aus Fleisch und Blut, ins Exil nach Ägypten ausgelagert wurde.

Dort erfährt sie nun, zu Beginn des Stückes und nach allerlei Lamento über das eigene Schicksal in der Fremde, dass der Krieg schon sieben Jahre vorbei ist und zuvor zehn Jahre gedauert hat; der Gatte Menelaos, dem sie immer treu war, wird zwar als tot gemeldet – taucht aber kurz darauf leibhaftig auf.

Und er lernt die eigene Gemahlin praktisch neu kennen und lieben; Kunststück, nach 17 Jahren. Zwar hat er auch noch das Helena-Wunschbild mit dabei, vor sieben Jahren aus Troja befreit – aber nun trifft er eindeutig die Richtige wieder.

Gemeinsam tricksen sie nun Theoklymenos aus, einen Diktator in klein-ägyptischer Provinz, der nie recht hören mochte auf die Weissagungen der eigenen Schwester Theonoe. Die Flucht ist eine grandiose Fallenstellerei, eines Odysseus würdig – auf diese Weise belehrt, wandelt sich selbst der betrogene Betrüger noch zum Besseren. Und die "falsche" Helena, die Tochter der Luft sozusagen, huscht zum Schluss noch einmal heimatlos durchs Bild.

Die Doppelung der schönen Helena ist theatralisch natürlich ein Knüller – und gibt Birgit Minichmayr, der zentralen Protagonistin in Luc Bondys Wiener Festwochen-Inszenierung im Burgtheater, gleich doppelt Gelegenheit, berauschend schön zu sein.

Fleißig kokettiert sie mit der eher unbequemen Toga, rafft sie immer und immer wieder, um möglichst viel Bein zeigen zu können, legt sie auch einmal ganz ab, wenigstens obenrum, um den noch zweifelnden Gatten nach all dem Leid von der eigenen Echtheit zu überzeugen. Der fühlt sich denn auch angemessen animiert.

Zugleich ist diese Helena Diva und Duse, Weibchen und Vamp, und schließlich noch ein bisschen durchtriebener als all die armen, tumben Verehrer zusammen. So demontiert der große antike Satiriker Euripides zum einen den Trojanischen Krieg selbst: als Schlächterei um Nichts und wieder Nichts, um einen Traum, den eine massenmörderische Göttin den Männern eingab. Und zum anderen setzt er dem Irrsinn des (männlichen) Kollektivs die Klugheit und Berechnung der (einzelnen) Frau gegenüber.

Peter Handke gibt dieser Komödie vom Krieg ein paar moderne Farben (der "Massenmörder"-Begriff etwa ist von ihm), aber darüber hinaus schärft Luc Bondys Inszenierung diese Satire dann eher nicht.

Bondy setzt ganz auf die schöne Verführsamkeit der Heldin in Minichmayrs schmucker Gestalt (die als Schauspielerin im Theater ja immer besser ist als im Kino!) und auf die virile Kraft von Ernst Stötzner an ihrer Seite; dieser Menelaos wird hier aus erotischer Erregung zum virtuosen Täuscher, der sich selber totsagen muss, um zu überleben.

Johann Adam Oest schaut als ägyptischer Diktator ein wenig aus wie Nordkoreas Kim Jong Il, nur viel komischer; Andrea Clausen ist die schlangenartige Wahrsagerin an seinem Hof. Glücklich, wer obendrein Libgart Schwarz oder Branko Samarovski in kleinen, aber genau gezeichneten Miniaturen im Ensemble haben kann – das gibt’s halt so nur am Burgtheater.

Karl Ernst Herrmanns Bühne immerhin führt ein wenig über die bloß komische Satire hinaus – eine Miniatur wie aus der Bibliothek von Alexandria hat er erfunden, im Finale rauschen Castor und Pollux als kleine Kometen in den ägyptischen Sand; und hier studieren die chorischen Sirenen-Mädchen, was sie wissen sollten über Troja und den Krieg. Und über Helena – die (so Euripides) nie das war, was die Welt von ihr hielt.

Erstaunlicherweise kennt der Jubel durchaus Grenzen im Burgtheater – derart verwöhnt, so scheint es, fühlen sich die Wiener. Selber schuld.

Homepage "Helena" am Burgtheater Wien
Mehr zum Thema