"Das Ganze folgt keiner wirklichen Logik"

Moderation: Dieter Kassel · 03.08.2009
Der britisch-iranische Filmemacher Rafi Pitts wundert sich darüber, dass die Machthaber im Iran die Proteste gegen die Wahl Ahmadinedschads so heftig niederschlagen. Mussawi wurde schließlich "vom System zum Kandidaten auserwählt. Er wurde von der Bevölkerung zum Präsidenten gewählt. Warum gibt es also jetzt diese Gewalt gegen das Volk?"
Dieter Kassel: Weit über 300 Filmschaffende aus dem Iran haben inzwischen Petitionen zur Unterstützung des offiziell bei der Präsidentschaftswahl unterlegenen Kandidaten Mussawi unterzeichnet. Trotz Drohungen und Verhaftungen gehen auch Künstler aus der Filmbranche und aus anderen Kulturbereichen im Iran immer noch regelmäßig auf die Straße, um gegen die Wahlmanipulation zu demonstrieren.

Rafi Pitts, der leidet darunter, dass er nicht dabei sein kann. Er wurde im Iran geboren, ging aber schon im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern, einer Iranerin und einem Engländer, nach Europa, wo er seitdem, das heißt mehr als 30 Jahre lang lebt. Rafi Pitts aber dreht seine Filme immer noch grundsätzlich im Iran und wie er mir erzählt hat, dreht er sie - bei aller Freude über europäische Zuschauer - im Wesentlichen für den Iran. Sein letzter Film - "It's Winter" - war auch in Europa ein Erfolg, im Iran auch. Gerade hat er seinen neuen Film elf Monate im Iran abgedreht.

Jetzt aber ist Rafi Pitts in Deutschland, um die Endbearbeitung des Films, vor allem die Tonmischung hier fertig zu stellen. Ich habe mit ihm gesprochen vor der Sendung und ihn gefragt, warum er als jemand, der mehr als 30 Jahre nicht mehr im Iran lebt, immer noch der Meinung ist, seine Filme kann er grundsätzlich nur dort drehen.

Rafi Pitts: Na ja, ich bin ja im Iran geboren, aber auch meine Welt des Films hat im Iran angefangen. Ich war mit acht Jahren schon ein kleiner Schauspieler und ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen, die war nicht so viel älter als ich eigentlich, die war fast wie eine ältere Schwester. Ich bin also letztlich von Anfang an in der Filmwelt des Irans aufgewachsen. Ich habe gar keine anderen Erinnerungen an irgendetwas anderes. Im Alter von zwölf Jahren bin ich dann aus dem Iran weggegangen, weil der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak begonnen hatte und meine Mutter sich um mich Sorgen machte. Da bin ich also nach England gegangen, habe teilweise in England gelebt, teilweise auch in Paris, ich glaube aber, dass man letztlich nicht wirklich seine Herkunft verliert.

Ich denke letztlich, dass die Herkunft und die Landschaften einen prägen. Manchmal fragen mich die Menschen, woher ich komme, und dann sage ich, na ja, letztlich einfach aus dem Boden unter meinen Füßen. Und immer wieder in den Iran zurückzukehren hat für mich verschiedene Gründe, zunächst einmal liebe ich mein Land und die Menschen dort, das Leben, das sie dort führen, und die eigenartige Art von Freiheit, die man dort hat in der Filmindustrie. Es gibt natürlich Zensur, es gibt sehr strikte Regeln, aber künstlerisch gesehen gibt es überhaupt keine Zensur. Das heißt, auf eine verrückte Art und Weise gibt es innerhalb dieser begrenzten Welt eine gewisse Freiheit, die man anderswo möglicherweise nicht so hätte, und das, was ich dort erlebe, hat auch einen Einfluss auf die Filme, die ich mache.

Ich habe mir niemals gesagt, dass ich immer einen Film im Iran machen muss, so ist das nicht, aber meine Filme beeinflussen mich ja auch. Mein erster Film war eine Komödie, denn als Kinder haben wir im Iran viel gelacht. Der Humor war da etwas ganz Wichtiges. Als ich also in den Iran zurückkehrte, wollte ich sehen, ob ich immer noch mit meiner Familie Spaß haben und lachen konnte, und das war sehr angenehm.

Im zweiten Film ging es dann um das Thema, keinen Vater zu haben, der dritte Film war dann "It's Winter", den haben wir ja damals hier in Berlin vorgestellt, und dabei ging es mehr darum, wie ich mich in Bezug auf das Viertel und die Nachbarschaft gefühlt habe, in der ich im Iran aufgewachsen bin und es ging letztlich auch darum, wie das Volk, das die erste Revolution gestartet hat, aufgegeben hat beziehungsweise aufgegeben wurde. Die Intellektuellen haben das Volk aufgegeben, geben dem Volk die Schuld, blicken auf das Volk herab und deswegen habe ich diesen Film gedreht. Es war eine Art Obsession, die ich hatte.

Kassel: Sie haben gesprochen, Rafi Pitts, gerade von der Zensur, die es natürlich gibt im Iran, mit der man leben muss, wenn man da Filme macht und gleichzeitig der künstlerischen Freiheit. Was bedeutet das praktisch? Vielleicht erklären Sie das an Ihrem neuesten Film, der ja noch nicht ganz fertig ist. Was mussten Sie machen, bevor Sie im Iran drehen konnten und was müssen Sie machen, wenn der Film gezeigt werden soll eventuell im Iran?

Pitts: Ja, ich habe jetzt ja eben gerade schon sehr lange gesprochen, aber die künstlerische Freiheit heutzutage ist auch nicht so wunderbar, wie ich Sie gerade dargestellt habe. Arthausfilme sind nicht mehr so ohne weiteres zulässig. Arthausfilme sind ja auch etwas Kritisches. Sie kritisieren, und deswegen werden sie auch weniger finanziell unterstützt. Das ist ein Problem, ich muss aber auch sagen, dass sich das ein wenig, ein bisschen wandelt.

Der normale Vorgang, wenn man im Iran einen Film dreht, insbesondere, wenn der auch im Iran vorgeführt werden soll, das ist ja für mich sehr wichtig, dann muss man sich an gewisse Regeln halten. Zunächst einmal: Man schreibt das Drehbuch und legt es dem Ministerium vor, und dort wird dann entschieden, ob man eine Dreherlaubnis für den Film erhält. Und hierfür gibt es eine Abstufung. Stufe A bedeutet: Alles in einem Drehbuch ist problemlos, Stufe B bedeutet, das Drehbuch ist interessant und Stufe C bedeutet, das Ministerium hält das Drehbuch für schlecht. Diese Abstufungen gibt es, weil die Unterstützung durch die Regierung genau davon abhängt. Wenn man eine Stufe A hat, dann bekommt man viel Geld, für B wenig Geld und für C gar kein Geld. Das ist also der erste Schritt.

Wenn man dann die Erlaubnis hat, beziehungsweise wenn man die Erlaubnis nicht bekommt, dann kann man den Film natürlich drehen und versuchen, ihn zu vermarkten, aber das Problem ist ja, man möchte letztlich wirklich sicherstellen, dass der Film auch gesehen und gezeigt wird. Wenn man den Film dann gedreht hat, dann muss man ihn erneut der Kommission vorführen und die Kommission fällt wieder genau die gleiche Entscheidung, Stufe A, B oder C. Stufe A bedeutet, der Film wird in allen Kinos im Land gezeigt, B bedeutet, in einigen Kinos, und C bedeutet, er wird praktisch gar nicht gezeigt.

Aber andererseits muss man auch sagen, dass im Iran - aber auch anderswo - es schwierig ist, Filme zu drehen, nicht nur bei uns. Ich glaube, bei uns ist das Problem das ABC-System, die Zensur, die etwas mit Moralischem zu tun hat, auch mit Religion. Aber allmählich wird es auch überall auf der Welt schwieriger, Geld für Filme zu erhalten, insbesondere, wenn es keine sehr kommerziellen Filme sind. Da es also immer schwieriger wird, Finanzmittel für Filme zu erhalten, hat man aber trotz allem noch eine gewisse Freiheit.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem iranischen Filmemacher Rafi Pitts, der gerade einen neuen Film, na ja, eben noch nicht ganz fertiggestellt hat, der in Berlin ist, um genau das zu tun, der seine Filme immer im Iran dreht und der uns erzählt hat, Herr Pitts, dass Sie sie eben nicht nur im Iran drehen, sondern ganz stark auch für den Iran. Jetzt sind Sie nicht da nach dieser Wahl. Welche Informationen bekommen Sie im Moment aus dem Iran und wie fühlen Sie sich dabei, im Moment nicht da sein zu können? Sind Sie froh oder eher das Gegenteil?

Pitts: Vor allen Dingen fühle ich im Augenblick Heimweh. Ich würde jetzt sehr gerne im Iran sein und ich habe auch das Gefühl, dass das, was dort passiert, ein wichtiger Teil von mir selber ist. Deswegen ist es eigenartig, jetzt so weit weg zu sein. Ich bin jetzt im Augenblick hier und der Film, den ich gedreht habe, ist ein sehr wütender Film und das ist etwas Ironisches, denn es ist ein wütender Film und die Realität, wie man sie im Augenblick im Iran vorfindet, macht mich auch wütend, immer, wenn ich die Nachrichten höre, auch Nachrichten über andere Filmemacher. Jeffar Pannah zum Beispiel ist gestern verhaftet worden, weil er es gewagt hat, zu demonstrieren.

Ich frage mich: Warum passiert so etwas, warum werden die Menschen dort geschlagen? Das Ganze folgt keiner wirklichen Logik. Mussawi kam ja schließlich aus dem System, er war selber zwei Mal Premierminister, er hat sich nicht als Kandidat aufgedrängt, sondern er wurde vom System zum Kandidaten auserwählt. Er wurde von der Bevölkerung zum Präsidenten gewählt. Warum gibt es also jetzt diese Gewalt gegen das Volk? Es ist eine sehr sonderbare Situation, die sich wahrscheinlich auch nicht oft in der Geschichte gefunden hat bisher.

Ich finde das Ganze obszön: Die Bevölkerung wird vor die Wahl gestellt, sie entscheidet sich in die eine Richtung und wird dafür attackiert. Und die Menschen haben sich ja schließlich nicht gegen das System gestellt. Sie haben einfach nur die Wahl getroffen, vor die sie gestellt wurden durch das System. Ich selber fühle mich etwas schuldig, weil ich jetzt nicht an den Debatten im Iran teilnehmen kann, weil ich nicht mit demonstrieren kann. Etwas sehr Ungerechtes geht im Iran vonstatten. Ich bin sicher, das wird eines Tages auch wieder aufhören, aber ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass die Iraner wissen, dass sie im Augenblick Seite an Seite zusammenstehen und das ist schon mal ein großer Schritt.

Kassel: Niemand kann es wissen und jeder will es wissen, deshalb frage ich Sie das auch: Was erwarten Sie von der Zukunft im Iran, wie wird das Ganze ausgehen? Ich packe das mal in eine Frage, die zu einem Filmemacher passt: Glauben Sie, dass Sie Ihren Film, wenn er nun fertig ist, in nächster Zeit im Iran werden zeigen können, dass die Welt dort so sein wird, dass es mindestens so viele Freiheiten gibt wie jetzt oder vielleicht mehr?

Pitts: Ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass der Film dann auch wirklich gezeigt wird. Wenn man diesen Film als politischen Film bezeichnen möchte, dann ist natürlich das Wichtigste, dass man den Film genau den Menschen vorführt, die mit einem selber nicht übereinstimmen. Also werde ich mich darum bemühen, dass der Film in meinem Land gezeigt wird.

Es ist aber in diesem Zusammenhang ganz wichtig, einmal festzustellen, dass der Iran sich nur von innen heraus wandeln kann. Natürlich ist es schön, wenn in anderen Länder die Menschen uns zum Wandel ermutigen, aber letztlich müssten wir den Wandel von innen heraus herbeiführen, das heißt, wir müssen die Regeln des Systems befolgen und können dann versuchen, das System zu verändern.

Für uns ist auch ein Konsens sehr wichtig. Wir wollen keine Kämpfe, wir hatten schließlich jahrelang Krieg. Wir sind ein sehr religiöser Staat, und deswegen wollen wir keine Kämpfe miteinander ausfechten. Man muss auch wissen, dass nicht jeder in unserem Land Kandidat sein kann, wenn es um die Präsidentschaft geht. Shishin Nebardi zum Beispiel würde Schwierigkeiten haben, sich als Kandidatin zu präsentieren. Das heißt also, das System wählt zunächst einmal die Kandidaten aus und stellt das Volk vor die Wahl, und darum verstehe ich nicht, warum die Wahl des Volkes nicht akzeptiert wird.

Ich bin auch sehr traurig darüber, dass so viele Menschen im Iran umgekommen sind. 70 Prozent unserer Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Das bedeutet zunächst einmal, dass 70 Prozent zurzeit der ersten Revolution noch nicht einmal geboren waren. Und diese jungen Menschen wollen größtenteils den Wandel, sie wollen Mussawi als Premierminister, der er ja schließlich auch schon im Krieg gewesen ist. Und warum sollte man ihnen das nicht geben, wenn sie das wollen, solange man sich dabei natürlich immer an die Regeln des Systems hält.