"Das führt ausschließlich dazu, dass man einen armen Staat schafft"

Michael Sommer im Gespräch mit Marcus Pindur · 21.10.2010
Der Deutsche Gewerkschaftsbund lehnt es ab, die mittlerweile erwarteten deutlichen Steuermehreinnahmen nur in den Schuldenabbau zu stecken. Der Vorsitzende Sommer forderte stattdessen Entlastungen für die Kommunen, "damit sie ihre Aufgaben erfüllen können".
Marcus Pindur: Geld macht sinnlich. Und besonders schön ist natürlich ein unerwarteter Geldsegen: 30 Milliarden Euro wird die Bundesregierung voraussichtlich in diesem und im nächsten Jahr mehr an Steuern von Bürgern und Unternehmen kassieren. Genau weiß man das noch nicht, denn erst heute legt Wirtschaftsminister Brüderle die aktuelle Konjunkturprognose der Bundesregierung vor. Aber sofort wurde natürlich die Forderung laut, vom Sparpaket abzurücken. Wir sind jetzt verbunden mit Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, guten Morgen, Herr Sommer!

Michael Sommer: Guten Morgen!

Pindur: Wären Sie denn im Zweifel auch für eine Verschiebung der Sparmaßnahmen, wenn sich das bewahrheitet mit diesen Mehreinnahmen?

Sommer: Ja wir halten ja die Sparmaßnahmen prinzipiell für den falschen Weg, wir sind ja der Auffassung, dass, wenn man notwendige Mehreinnahmen braucht, von denen wir ausgehen – aber da kommen wir sicherlich gleich noch mal dazu –, dass man die sich da holen kann, wo man sie sich holen sollte, zum Beispiel bei den Verursachern der Krise, die ja weiterhin geschont werden; man müsste eine Finanztransaktionssteuer einführen, man müsste die Steuerhinterziehung wirklich energisch erkämpfen. Und dann noch mal 30 Milliarden drauf durch eine bessere Konjunktur, das würde insbesondere den Städten und Gemeinden helfen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können, übrigens auch die notwendigen Maßnahmen im öffentlichen Dienst machen, die man braucht, und insbesondere auch die Bildungsinvestitionen, die man machen müsste.

Man kann ja nicht permanent in Sonntagsreden über bessere Bildung reden, aber wenn es dann konkret wird, hat man kein Geld dafür. Dieses Geld muss insbesondere bei den Städten und Kommunen und bei den Ländern ankommen. Und deswegen wäre es sinnvoll, nicht nur auf dieses Sparpaket zu verzichten, sondern wenn man jetzt Mehreinnahmen hat durch die Konjunktur, dass man dann die insbesondere in den Bereichen investiert, wo man sie braucht. Und das wäre meines Erachtens die Bildungsinfrastruktur. Denn das ist auch die Schlüsselfrage für eine bessere Integration unserer Gesellschaft.

Pindur: Gegen bessere Bildungsinvestitionen ist nichts einzuwenden, aber die Rekordverschuldung bleibt. Und wann, wenn nicht eben in Zeiten blühender Konjunktur, beginnt man denn mit dem Schuldenabbau?

Sommer: Ja, Sie müssen natürlich nur klug sparen. Weil es geht ja nicht alleine darum, dass man jetzt sozusagen per se die Schulden abbaut, weil das führt ausschließlich dazu, dass man einen armen Staat schafft. Die reichen Leute brauchen den nicht, und sie machen die, sie bluten den Staat aus. Das ist auch der Mechanismus der Schuldenbremse, den wir nicht akzeptieren, weil er letztendlich dazu führt, dass die notwendigen Investitionen, die der Staat tätigen muss, die notwendigen Zukunftsmaßnahmen, die der Staat vornehmen muss, da nicht mehr finanziert werden und wir zum Schluss ja nur noch also sagen wir mal einen Nachtwächterstaat in wirtschaftlicher Hinsicht haben, und ansonsten noch einen Repressionsstaat, der dafür sorgt, dass die Bürger, die aufbegehren, ruhig bleiben.

Das alles wollen wir nicht, wir haben ein Bild eines völlig anderen Staatsverständnisses, und dazu gehört übrigens auch, dass man ihn vernünftig durchfinanziert. Und wenn man ihn vernünftig durchfinanziert, gibt es zwei Mittel: Das beste Mittel ist, man macht eine gerechte Steuerbasis, davon sind wir ja dann in diesem Land weit entfernt, wenn Sie sehen, wer die Steuern in diesem Land bezahlt und wer sie nicht bezahlt; und das Zweite Mittel ist, die der Staat auch aufwenden muss, wie übrigens auch jedes Unternehmen, das investiert, ist, dass er in einem vernünftigen Rahmen sich verschuldet und dann die Schulden wieder zurückzahlt.

Pindur: Aber ein verschuldeter Staat ist eben auch irgendwann ein handlungsunfähiger Staat, und schon jetzt ist es ja so, dass jeder dritte Euro im Haushalt für den Schuldendienst aufgewendet wird.

Sommer: Ja, das ist richtig. Andererseits, Sie können, Sie müssen, wie das auch im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 glaube ich oder 86 steht, müssen Sie natürlich antizyklisch handeln. Das heißt, Sie müssen dann, wenn Sie wirklich in der Hochkonjunktur sind, auch anfangen mit dem Sparen, auch anfangen damit, dass Sie dann gegensteuern. Nur wir sind ja nicht in der Hochkonjunktur, ich ...

Pindur: ... 3,5 Prozent Wachstum prognostiziert von einigen Instituten, wenn das nicht eine gute Konjunktur ist ...

Sommer: ... ja, aber Herr Pindur, das Problem ist doch, wir reden doch von einer Basis, wo wir noch lange nicht auf dem Vorkrisenniveau sind. Wir haben, im zweiten Quartal dieses Jahres hatten wir den Stand von 2006 erreicht. Sie können natürlich erst mal den Laden so runterwirtschaften, um dann anschließend wunderbare Wachstumshöhen zu haben, aber dieses Wachstum drückt doch nicht tatsächlich die Wirtschaftsleistung aus, die wir schon mal erreicht hatten!

Wir müssen auch doch davon ausgehen, die Bundesregierung und die Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass wir Ende 2011 den Vorkrisenstand von 2007 wieder erreicht haben. Wir gehen davon aus, dass wir das erst 2013 erreichen werden. Also nur, um mal wieder auf den Boden zu kommen: Sie können natürlich mit hohen Wachstumsraten arbeiten, nachdem Sie den Laden vorher in den Sand gesetzt haben; andersrum formuliert: Wir sind noch lange nicht an dem Stand, den wir mal erreicht hatten vor der Krise, und wir sind noch lange nicht gefeit davor, dass die nächste Krise wieder kommt. Also deswegen muss man jetzt stabilisieren, übrigens auch bei den Einkommen umrechnen, man muss stabilisieren bei der Handlungsfähigkeit des Staates. Und wir sind noch lange nicht oben.

Pindur: Im Moment ist es ja nicht nur der Export, der das Wachstum trägt, auch das Binnenwachstum und auch der private Konsum, der ja die Achillesferse eigentlich in Deutschland so lange Jahre war, der private Konsum hat auch angezogen. War es vielleicht richtig von der Bundesregierung zu Anfang des Jahres, die Steuern für mittlere und kleine Einkommen zu senken?

Sommer: Nein, wissen Sie, was richtig war: Dass wir in der Krise gemeinsam dafür gesorgt haben, dass wir die Menschen in Arbeit gehalten haben, und dass wir weitgehend vermieden haben, dass die Menschen aus der Arbeit rausgefallen sind, sodass sie, wenn jetzt der Aufschwung beginnt, sie auch an dem Aufschwung teilnehmen können. Das war die richtige Maßnahme.

Die Steuersenkungsmaßnahmen sind doch letztendlich auch für den Einzelnen ein Witz, die werden doch kompensiert sofort dadurch, dass zum Beispiel bei der Gesundheitsreform den Leuten wieder voll in die Tasche gegriffen werden soll und wir demnächst wesentlich höhere Mieten haben werden, weil die Umlagen für energetische Gebäudesanierung ja einseitig bei den Mietern verbleiben. Nein, nein, das alles, die entscheidende (…), der entscheidende Faktor, um Menschen zu helfen ist gute Arbeit, ist gut bezahlte Arbeit und vor allen Dingen Arbeit für alle, und nicht an der einen oder anderen Stelle ein Steuergeschenk, um zu kompensieren oder zu vertuschen, dass man den ganz Großen immer wieder die Steuern gesenkt hat und weiter senken will.

Pindur: Eine Steuervereinfachung wäre aber durchaus gegeben: Wir haben in Deutschland die komplizierteste Steuergesetzgebung der Welt. Wären Sie denn zum Beispiel wenigstens dafür, den Mehrwertsteuerdschungel etwas zu lichten und da einfach eine Begradigung einzuführen und die vielen Ausnahmetatbestände abzuschaffen?

Sommer: Ja also erstens gibt es meistens für die Ausnahmetatbestände Gründe – mit Ausnahme der Hotelsteuer, da können Sie das sofort wieder rückgängig machen, also die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes ...

Pindur: ... gut, da haben wir den ersten Posten schon mal erledigt, machen wir mal weiter ...

Sommer: ... ja, da haben wir ein paar erledigt, wir könnten ein paar weiter erledigen, aber es geht ja mal ...

Pindur: ... nennen Sie doch mal ein paar! ...

Sommer: ... ja ich geh mal andersrum ran: Ich geh’ mal so ran und sage erst mal, wozu dient denn der eigentlich, der gesenkte Mehrwertsteuersatz, der dient dazu, die Bedürfnisse des täglichen Lebens, insbesondere Nahrungsmittel und Ähnliches mehr, fortan mit einem deutlich niedrigeren Steuersatz zu belegen. Wer daran geht, der würde sich wirklich versündigen an den Ärmsten der Armen in diesem Lande, weil die nämlich über den Konsum direkt und mit der Steuer dann abgegriffen werden.

Wenn Sie mich fragen, wie man eine Steuervereinfachung macht, dann kann ich Ihnen sagen, fangen Sie erst mal an, die Steuerbasis zu verbreitern. Ich hatte Ihnen ein paar Punkte genannt, ich könnte Ihnen noch ein paar Punkte mehr nennen. Man kann auch auf das eine oder andere Rüstungsgeschäft sicherlich verzichten. Und dann kann man rangehen zu sagen, okay wir begradigen zum Beispiel den Einkommenssteuertarif und machen dieses und jenes, um dann dafür zu sorgen, dass zum Beispiel die Facharbeiterinnen und Facharbeiter nicht übermäßig belastet werden.

Nur ich würde nie anfangen, das Geld bei den Ärmsten der Armen zu holen, also sprich zum Beispiel über eine indirekte Mehrwertsteuererhöhung, indem ich bestimmte Sachen aus dem gemäßigten Mehrwertsteuersatz rausnehme, sondern ich würde immer erst mal gucken diejenigen zu besteuern, die sich bis heute der Steuerzahlung, der gerechten Steuerzahlung entziehen.

Pindur: Herr Sommer, vielen Dank für das Gespräch!

Sommer: Bitte schön!

Pindur: Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Deutschlandradio Kultur.