Das Finnische RSO unter Hannu Lintu

Sibelius revisited

Sibelius-Denkmal in Helsinki
Sibelius-Denkmal in Helsinki © Volker Michael
06.05.2015
Über diesen Komponisten ist alles gesagt! Nein, Jean Sibelius überrascht auch 150 Jahre nach seiner Geburt. Vor allem wenn seine Werke zusammen mit denen der Zeitgenossen seiner Tage wie Wilhelm Stenhammar und denen unserer Tage wie der jungen Komponistin Minna Leinonen erklingt.
Das Finnische RSO hat sich mit seinem Chefdirigenten Hannu Lintu etwas Besonderes zum aktuellen Sibelius-Jahr ausgedacht: Es ist schön und gut, die bekannten Sinfonien und Orchester-Dichtungen des Komponisten zu spielen, die in Finnland ohnehin jeder Konzertbesucher fast auswendig kennt. Viel mehr erfährt man über diesen Giganten der europäischen Musikkultur, wenn man seine weniger bekannten Werke in neuer Gestalt präsentiert und in einen Zusammenhang stellt zu dem, was zu seiner Zeit und nach ihm in Skandinavien (und nicht nur dort) musikalisch produziert wurde.
Den Anfang dieses Konzertabends im Helsinki-Musikzentrum machte ein neues, sehr klangsinnliches Orchesterwerk der 1977 geborenen Komponistin Minna Leinonen. Sie hat ungeheuer viele Farben und Klangeffekte ersonnen, um das Phänomen des Verstreuens in Töne zu fassen. Das kann physikalisch gemeint sein, wenn Lichtstrahlen in verschiedener Materie variabel gestreut werden. Laut eigenem Kommentar hat die Komponistin aber auch an das klangliche Bild gedacht, das entsteht, wenn ein junges Kind den Inhalt seiner Spielzeugkiste im Zimmer ausschüttet und damit ganz greifbare Dinge in einem fest definierten Raum verstreut.
Der englische Gegenwartskomponist Colin Matthews hat für dieses Konzert den Auftrag erhalten, fünf verschiedene Klavier-Lieder von Jean Sibelius für ein Orchester zu instrumentieren, das auch Sibelius Vorstellungen entsprochen haben könnte. Die großartige finnische Sopranistin Soile Isokoski hat diese "Uraufführung" zweier finnischer und dreier schwedischer Lieder in einem Sibelius-Zyklus im 150. Jahr seiner Geburt gesungen.
Beim Hören von Sibelius' Musik hat es dem schwedischen Dirigenten und Komponisten Wilhelm Stenhammar fast die eigene Sprache verschlagen. Doch schließlich hat er sich gefasst und ist seinen eigenen Weg gegangen: Er wurde als Orchesterleiter zu einem der wichtigsten Fürsprecher für Sibelius' Musik, als Komponist ging Stenhammar einen selbstbewussten eigenen Weg.
Seine zweite Sinfonie ist die Antwort auf seine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Sinfonik des schwedenfinnischen Kollegen. Technisch gesehen gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen Stenhammar und Sibelius, doch der Stockholmer Komponist wirkt mitteilsamer, lyrischer und mehr romantisch als sein "modernistisches" Vorbild aus dem damals noch russisch dominierten Nachbarland.
Dass Hannu Lintu und sein Finnisches RSO mit diesem Musikprogramm an die starken finnisch-schwedischen Verbindungen erinnern, mag auch als Kommentar zur aktuellen Politik angesehen werden: Finnland orientiert sich stark an seinen westlichen und südlichen Nachbarn angesichts der Entwicklungen in seinem östlichen Nachbarland Russland. Und die finnisch Musikszene hält überhaupt nichts von dem völkischen Gehabe der rechtspopulistischen "Wahren Finnen", die den Schwedisch-Unterricht in Finnlands Schulen abschaffen wollen.
Musikzentrum Helsinki
Aufzeichnung vom 16. April 2015
Minna Leinonen
"Scatterings" (Uraufführung)
Jean Sibelius/Colin Matthews
Lieder (Uraufführung der Fassungen von Matthews):
Kaiutar
Illalle
Våren flyktar hastigt
Men min fågel märks dock icke
Var det en dröm
Wilhelm Stenhammar
Sinfonie Nr. 2 g-Moll op. 34
Soile Isokoski, Sopran
Finnisches Radio-Symphonieorchester
Leitung: Hannu Lintu