Das Faible der Fürsten für die Antike

Von Jochen Stöckmann · 20.08.2008
Das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig macht in der Ausstellung "Reiz der Antike" die Vorliebe der Fürsten für das Altertum anschaulich. Zu sehen sind unter anderem dem Altertum nachempfundene Gemälde, Skulpturen und Vasen des Braunschweiger Hofes aus den Beständen des Museums.
Antike – das Wort hatte immer schon einen besonderen Klang. Und antike Stücke waren stets begehrt – eigneten sich auch als Gastgeschenk für hochgestellte Herrschaften. So wurde den Braunschweiger Erbprinzen, als sie Mitte des 18. Jahrhunderts durch Italien reisten, vom Papst höchstpersönlich eine antike Marmorbüste verehrt, auch die kostbaren Kupferstiche Piranesis von römischen Altertümern oder Korkmodelle griechischer Tempelanlagen. All diese "Mitbringsel" kamen daheim in Braunschweig ins Herzog Anton Ulrich-Museum – bis sich dann 1806 der siegreiche Feldherr Napoleon ebenfalls sehr stark für die Antike interessierte:

Gisela Bungarten: " Er hat ja Gemälde abziehen lassen, Skulpturen, eben auch Kunsthandwerk und auch antike Stücke. Wir haben aus dem Louvre nicht nur diese antike Grabstele, sondern auch noch eine attische Amphore. Die waren eigentlich sehr zuvorkommend und haben auch nicht – was wir zwischenzeitlich befürchtet hatten – gesagt: Nein, nein, das kriegt ihr nicht, sonst behaltet ihr das noch, sondern haben sofort zugestimmt und gesagt: Das sind historische Zusammenhänge, die deutlich gemacht werden sollen. "

Die Museumskuratorin Gisela Bungarten konnte im Pariser Louvre eine Grabstele nachweisen, die aus Braunschweig stammt, aber 1815 bei der Rückgabe geraubter Kunstschätze glatt übersehen wurde. Nun kommt das gute Stück für einige Monate zurück, um den "Reiz der Antike" zu illustrieren. Eine Sammlermanie der höheren Kreise, die aber weit darüber hinaus Folgen hatte:

Alfred Walz: " Ich glaube auf jeden Fall, daß eine aufklärerische Idee dahinter steckte. Etwa mit dem Kollegium Carolinum: Diese Hochschule wurde eingerichtet, um den Lateinunterricht zu verbessern. Man hat damals gesagt, im Lateinunterricht würden die Worte übersetzt, der Sinn aber gar nicht. Und das sollte sich sehr verbessern. Und tatsächlich, die Unterrichtspläne weisen aus, daß man sich sehr intensiv mit der Antike beschäftigt hat. "

Für Kurator Alfred Walz geht in Sachen Antike nicht allein um herrschaftliche Repräsentation, um Teilhabe an der einstigen Größe Roms oder Griechenlands: Pläne des Architekten Peter Joseph Krahe von der Braunschweiger Augusttor-Wache oder der Villa Salve Hospes belegen, daß der Geist der Antike damals mitten in der Stadt präsent war, mit klassischen Giebeln etwa oder großzügigen Säulenreihen. Die eigentliche Antikensammlung dagegen blieb bescheiden im Vergleich zu ähnlichen Kollektionen deutscher Königshäuser:

Gisela Bungarten: " Dresden und die dortige Sammlung, die ja von August dem Starken zusammengestellt worden ist. Und auch in Berlin merkt man einfach immer wieder, daß da größere finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Die Herzöge hier im Braunschweiger Raum haben eben das gesammelt, was ihnen finanziell möglich war. Das heißt also, großformatige antike Skulpturen konnte man nur unter größten Schwierigkeiten kriegen, die waren zum Teil auch schon verkauft."

Das Miniaturformat bietet immerhin den großen Vorteil, auf kleinem Raum alle nur erdenklichen Varianten dicht nebeneinander zu zeigen: Aus Bronze, Holz oder auch Gips gefertigt stehen da unter Glas berühmte Figuren wie der Borghesische Fechter oder der "Dornausreißer" – letzterer sogar in Frauengestalt, sehr attraktiv übrigens. Der Untertitel "Die Schönheiten des Altertums" verweist allerdings weniger auf verführerische Damen als auf ein allgemeines Charakteristikum der Antike: Es gab nicht das eine, allein selig- oder glücklich machende Ideal. Diese Vielfalt aber hatte nicht nur schöne Seiten, sondern konfrontierte die Bildungsreisenden mit dem Problem:

Gisela Bungarten: " Dass natürlich die Händler gewitzt waren in Italien und anderswo. Und man wußte, daß gerne antike Souvenirs gekauft wurden und mitgebracht wurden. Da wurden dann für diesen Reisemarkt, für die Souvenirs Fälschungen hergestellt in Florenz und in Rom."

Also besannen sich die fürstlichen Sammler auf den bürgerlichen Sachverstand, etwa das Urteil eines Dichters, der als Bibliothekar ohnehin in ihren Diensten stand:

Gisela Bungarten: " Lessing kam ja 1770 hier an den Wolfenbütteler Hof. Und er rät Herzog Carl I. dazu, eine kleine Bronzestatuette anzukaufen, mit verschiedenen Argumenten, die eigentlich ein heutiges Gutachten aufweist: also Materialuntersuchung, Formuntersuchung, Vergleich mit Stichen."

Kupferstiche waren um 1800 noch das einflußreichste Medium, ein Bild, eine Vorstellung von der Antike zu verbreiten. Neben solchen Mappenwerken von Altertumsforschern wie dem englischen Gesandten William Hamilton oder dem Franzosen d’Hancarville tauchen in der Braunschweiger Ausstellung auch seltsam dickleibige Bücher auf, ledergebundene Folianten mit hölzernen Schubfächern. Es sind Daktyliotheken, gut sortierte Sammlungen von Abdrücken antiker Schmucksteine, Siegelringe oder Gemmen. Die nehmen fast sämtliche Bildmotive der Skulpturen auf, erlauben also eine Art Panoramablick in vergangene Zeiten. An erster Stelle aber steht auch hier ein Gemälde:

Gisela Bungarten: " Das Porträt Pompeo Batonis vom Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von 1767, worauf die antiken Vasen dargestellt sind. Und diese zwei zu identifizierenden Vasen konnten wir eben leihen aus dem Louvre und dem Vatikan. Und das ist nun eine sehr schöne Zusammenstellung, weil damit greifbar wird, wie die Darstellung damals funktioniert hat."

Nämlich musterhaft: sehr bald ließen sich alle jungen Herren, die ihre Kavalierstour absolvierten, nach dem Vorbild der Braunschweiger Erbprinzen mit attischen oder etruskischen Vasen, mit den Insignien des Altertumsforschers porträtieren. Das war en vogue – und was Carl Wilhelm Ferdinand oder sein Bruder Maximilian Julius Leopold mitbrachten, verstaubte keineswegs, mußte aber nach Jahrhunderten von Gisela Bungarten erst einmal akribisch aufgearbeitet werden, um jetzt in überraschender Fülle zeigen zu können:

Gisela Bungarten: " Wie die Antike hier im Braunschweiger Raum aufgefaßt und umgeformt worden ist. Wir haben auf der einen Seite tatsächlich antike Stücke, aber dann auch Nachformungen, Adaptionen, Umformungen des 18. Jahrhunderts. Und das in verschiedenen Medien und Materialien zu zeigen, hat uns besonderen Spaß gemacht. "

Dieses Seh-Vergnügen wirkt ansteckend, sollte aber nicht dazu verleiten, das Porträt des Altertumsforschers Johann Joachim Winckelmann auf dem Porzellan der herzoglichen Manufaktur Fürstenberg für einen Gag zu halten. Da nämlich wird für Alfred Walz die Verbindung von Antike und Aufklärung sichtbar:

Alfred Walz: " Wir sehen das eben dann auch deutlich an der Produktion der Fürstenberger Büsten. Da sind nicht mehr wie im Absolutismus adlige Personen oder Personen, die eng mit dem Adelskreis verbunden sind, vertreten, sondern da sind eben die Gelehrten der neuen Zeit, die in Büsten hergezeigt werden – und die man sich dann eben auch als Bürgerlicher zu Hause auf den Schreibtisch stellen kann. "

Service: "REIZ DER ANTIKE - Die Braunschweiger Herzöge und die Schönheiten des Altertums im 18. Jahrhundert", Herzog Anton Ulrich-Museum, 21. August bis 16. November 2008