Das Ende einer politischen Romanze

Rezensiert von Richard Szklorz · 07.10.2012
Für Peter Beinart ist die einzige Demokratie im Nahen Osten in großer Gefahr: Er warnt vor den Folgen des Siedlungsbaus. Norman G. Finkelstein kritisiert des Weiteren die fast bedingungslose Unterstützung der israelischen Politik durch die USA.
Am Anfang war ein Damaskuserlebnis vor dem Computerbildschirm. Peter Beinart, Professor an der New Yorker City University und orthodoxer Jude, klickte ein Video an, das ihm ein israelischer Freund zugeschickt hatte. "Ich wünschte, ich hätte es nicht getan", schreibt Beinart in seinem Buch "The Crisis of Zionism".

Das von israelischen Friedensaktivisten gemachte Dokument zeigte, so Beinart, wie ein fünfjähriger palästinensischer Junge verzweifelt versuchte, israelische Soldaten daran zu hindern, seinen Vater abzuführen.

"Die meiste Zeit meines Lebens habe ich auf Meldungen über das Leiden der Palästinenser mit Rationalisierungen reagiert und nach Gründen gesucht, warum die Berichte übertrieben sind und das Leiden selbstverschuldet sei. Ähnlich wie viele amerikanische Juden."

Beinart war jahrelang Mitarbeiter der neoliberalen Zeitschrift "The New Republic". Seine Positionen zu Nahost-Fragen lagen damals auf der Linie von AIPAC, einer Organisation, die sich als Lobbyist der Regierung Netanjahu betätigt und Bündnisse mit rechten Strömungen der amerikanischen Gesellschaft schmiedet.

Wie mächtig die Israel-Lobby ist, illustriert Beinart jetzt minutiös am stufenweisen Einknicken Barack Obamas in der Frage des Siedlungsstopps. Die Demütigungen des Präsidenten durch AIPAC und durch Netanjahu im schwierigen Jahr 2010 der Kongresswahlen, die ungenierte Fortsetzung der Siedlungstätigkeit führten schließlich zum völligen Verhandlungs-Stillstand zwischen Israel und den Palästinensern.

Beinarts Buch rief in der amerikanischen Öffentlichkeit großes Aufsehen hervor. Wie zu erwarten, kam die schärfste Ablehnung aus dem Lager, dem er einst selbst angehörte: Beinart sei ein "Ex", ein Überläufer, gar ein "Apostat"! Die Bezeichnung ist normalerweise für Menschen reserviert, die sich von ihrer Religion abwenden.

Beinart dürfte sich in einer seiner Zentralthesen bestätigt fühlen, wonach aus einer allzu starken Hervorhebung des Holocausts und der unkritischen Unterstützung Israels eine Art Ersatzkult erwachsen ist. Die Ursache dafür sieht er im Verlust von überkommener religiöser und ethischer Substanz.

Dabei seien die Juden Amerikas mit einer historisch neuartigen Situation konfrontiert:

"Wir sind nicht die ewigen Opfer der Geschichte! Wir brauchen eine andere amerikanische jüdische Erzählung, die unsere neue Realität abbildet: Dank einer glücklichen, fast schwindelerregenden Umwälzung entspringen unsere größten Herausforderungen nicht der Schwäche, sondern der Macht."

Für Beinart ist die "einzige Demokratie im Nahen Osten", wie Israel bezeichnet wird, in großer Gefahr. Er beschreibt ein doppelgesichtiges Israel: Die immer noch demokratische Gesellschaft des Kernlandes und das undemokratische Israel in den besetzten Gebieten, repräsentiert durch die über 600.000 Siedler, für die die Missachtung von demokratischen Spielregeln gegenüber den palästinensischen Nachbarn zum Alltag gehört. Dieser Zustand unterhöhle auch die freiheitlichen Strukturen im eigentlichen Israel.

Es fällt auf, dass Peter Beinart in seinem Quellennachweis keinen einzigen Bezug auf Arbeiten von Norman Finkelstein nimmt, obwohl dieser Autor ein umfangreiches Œuvre zum israelisch-palästinensischen Konflikt vorzeigen kann. Es scheint, dass ein Verweis auf einen Autor, der von manchen als jüdischer Selbsthasser abqualifiziert wird, immer noch heikel ist. Allemal für den Überläufer Beinart in seiner nicht gefestigten neuen Rolle.

Diese fortschreitende Entfremdung zwischen Amerikas Juden und dem Staat Israel wird auch in Norman Finkelsteins Buch "Knowing too much" deutlich. Schon der Untertitel ist aussagekräftig: "Warum sich die amerikanisch-jüdische Romanze mit Israel dem Ende nähert".

"Das Ende dieser engen Beziehung wird nicht nur für die Palästinenser, sondern auch für die Israelis ein Segen sein. Denn seit dem Krieg 1967 wurde Israel die Bühne, auf der amerikanische Juden ihre Machtphantasien auslebten, und falls es stimmt, dass Israel ein ziemlich verrückter Staat geworden ist, dann lag es zu einem nicht geringen Teil an den amerikanischen Juden."

Die ehemals enge Beziehung hatte viel damit zu tun, dass die jüdische Gemeinschaft während des Zweiten Weltkrieges ohnmächtig zusehen musste, wie Europas Juden abgeschlachtet wurden. Aus dem "Nie wieder!" erwuchsen eine beinahe bedingungslose Unterstützung der offiziellen israelischen Politik und der Glaube an ein demokratisches Israel. Dieser werde nun von Informationen über die Realität der Besatzung zermürbt.

Mit Genugtuung stellt Finkelstein fest, dass frühere "Pro-Israel-Aktivitäten" an den Universitäten deutlich abgenommen hätten. Umso mehr lobt er das zunehmende Auftreten prominenter jüdischer Blogger und namhafter Intellektueller, die die israelische Besatzungspolitik anprangern.

Auch bei der "schweigenden Mehrheit" scheine sich die Einsicht durchzusetzen, dass die Siedlungspolitik nicht zu verteidigen sei. Nur noch bei echter Bedrohung von Israels Existenz werde sich in den USA jüdische Solidarität mobilisieren lassen, meint Finkelstein.

Beinart dagegen begnügt sich nicht mit der Rolle des prognostizierenden Beobachters. Als demokratisch gesinnter Zionist und religiöser Jude fordert er die Einmischung, um Israel vom Irrweg der Okkupation abzubringen. Vor einigen Monaten rief er sogar zum Boykott von Waren auf, die aus jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten stammen.

Spiegeln die Einschätzungen beider Autoren die realen Haltungen und Stimmungen unter den amerikanischen Juden wieder?

Zwar ist den Netanjahu nahestehenden Lobby-Gruppen eine ernsthafte Konkurrenz in Gestalt der jüdisch-linksliberalen Organisation "J-Street" erwachsen. Andererseits erklärte Obama-Herausforderer Mitt Romney während eines Israel-Besuches im Juli Jerusalem zur "Hauptstadt Israels". Eine völkerrechtlich inkorrekte Aussage, die offenbar den Zuspruch potentieller jüdischer Wähler erheischen sollte.

Der Kampf um Herz und Hirn der amerikanischen Juden scheint noch lange nicht entschieden zu sein.

Peter Beinart: The Crisis of Zionism
Times Books, New York 2012

Norman G. Finkelstein: Knowing too much
OR Books 2012
Cover Norman G. Finkelstein: "Knowing too much"
Cover Norman G. Finkelstein: "Knowing too much"© OR Books
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