Das Ende der Ära Berlusconi

Von Karl Hoffmann · 12.11.2011
Silvio Berlusconi, dessen Regierung seit Monaten wie gelähmt erschien vor den wachsenden wirtschaftlichen Problemen, wollte Mitte der Woche am Rande des Abgrunds noch einmal mit dem Staatspräsidenten verhandeln, um sein politischen Überleben zu sichern, ohne zu ahnen, dass er längst ausgespielt hatte.
Beweis dafür, wie wirklichkeitsfremd seine Weltsicht inzwischen geworden ist. Seit Monaten bereits hatte sein designierter Nachfolger Mario Monti im Auftrag des Staatspräsidenten ein Regierungsprogramm erarbeitet, das er in der kommenden Woche, nachdem er formal zum Ministerpräsidenten gekürt ist, vorlegen wird. Die Absetzung Berlusconis und die bevorstehende Amtsübergabe an Monti war mit perfekter Diskretion vorbereitet worden. Niemand hatte dem bis dato eher passiv wirkenden Staatspräsidenten Giorgio Napoletano zugetraut, derart beherzt und schnell die Ära Berlusconi zu beenden.

Siebzehn Jahre nach seinem Einstieg in die Politik ist der Medienzar am Ende. Nicht Sexskandale noch politische Peinlichkeiten, nicht Wählerwut noch Bürgerproteste haben seinen Sturz verursacht, sondern Banken und Börsen, also jene Welt, in der er sich eigentlich selbst bestens auskennen müsste. Trotz des sich dramatisch verschärfenden Drucks auf sein Land hatte Berlusconi noch vor wenigen Tagen erklärt, in Italien gebe es keine Krise. Diese Scheuklappen kosten den italienischen Steuerzahler schätzungsweise 8 bis 10 Milliarden Euro. Sein starrköpfiges Klammern an der Macht förderten den internationalen Vertrauensverlust und trieben die Verzinsungen für italienische Staatsanleihen in Schwindel erregenden Höhen. Berlusconi erschien das das kleinere Übel. Ihn schmerzte vor allem der Verfall der Aktienkurse seiner eigenen Firma von mehr als 12 Prozent, nachdem sein Rücktritt besiegelt war.

Die Kehrseite eines jahrzehntelangen Interessenkonfliktes. Schamlos hat Berlusconi seine politische Position missbraucht, um sein Vermögen seit seinem ersten Wahlsieg 1994 um das Siebenfache zu vermehren. Nun wird er abgesetzt und die Börse spekuliert gnadenlos um den Verlust seiner Politikerprivilegien. Aber das sind Nebensächlichkeiten verglichen mit den Problemen des Landes. Im nächsten Jahr müssen etwa 260 Mrd. Euro des Gesamtschuldenbergs von etwa 2000 Mrd. Euro refinanziert werden.

Bleiben die Zinsen für neue Staatsanleihen so hoch bisher, dann ist Italien pleite, der Euro am Ende, ja sogar das geeinte Europa in Gefahr. Das Schicksal des Kontinents wird in den nächsten Monaten wesentlich von den Entscheidungen in Rom abhängen. Italien muss massive Sparmaßnahmen beschließen, die extrem unpopulär sein werden. Die von Europa geforderte Eliminierung des Haushaltsdefizits bis zum Jahr 2013 wird immer schwieriger zu verwirklichen sein, denn das Wachstum geht derzeit gegen Null. Der Unternehmer Berlusconi hat es in nicht wenigen Jahren an der Macht nicht fertiggebracht, ein wirksames Konzept zur Wirtschaftsförderung auf die Beine zu stellen.

Dies alles soll jetzt sein designierter Nachfolger Mario Monti innerhalb kürzester Zeit fertigbringen. Monti ist ein fähiger Wirtschaftsexperte, hat erfolgreich als EU Kommissar jahrelang Europa gedient, ist ein Mann von Welt, polyglott und kultiviert - das Gegenteil von Berlusconi. Er muss sich nun in die Schlangengrube des römischen Parlaments begeben, dessen Mitglieder alle die Verantwortung für das italienische Desaster tragen.

Das Ansehen der Volksvertretung ist kaum besser als jenes von Berlusconi: Dort sitzen neben Fähigen und Ehrlichen auch viele Vorbestrafte, Korrupte, Mafiaverdächtige, Rassisten und Ignoranten, Opportunisten und Mitläufer, die sich allesamt schon wieder über die Machtverteilung nach Berlusconi in den Haaren liegen. Berlusconi selbst will sein Imperium um jeden Preis retten und schießt mit seiner ungebrochenen Medienmacht bereits aus vollen Rohren. Er selbst ist abgesetzt, sein System lebt aber weiter.

Und Mario Monti muss aufpassen, dass er nicht vom erhofften Retter zum willkommenen Sündenbock wird, sollte er an den byzantinischen Verhältnissen im heutigen Rom scheitern, was durchaus möglich ist.