Das Dritte Reich und der Nahe Osten

Vorgestellt von Dorothea Jung · 06.05.2007
Das Buch 'Halbmond und Hakenkreuz' von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers widerlegt die unter Historikern populäre These, das Dritte Reich habe im Nahen Osten keine Interessen verfolgt. In Form eines Indizien-Puzzles schildern die Autoren, wie der Nationalsozialismus den Judenhass der arabischen Welt für seine Zwecke genutzt hat.
Juni 1942. Die Propagandakompanie des Afrika-Korps von Erwin Rommel berichtet im Rundfunk des Deutschen Reiches über den Fall der libyschen Festung Tobruk.

Propagandakompanie der Deutschen Wehrmacht:"An der Stelle, wo unsere Pioniere den Panzergraben überwunden haben, treffen wir den Oberbefehlshaber der Panzerarmee, Generaloberst Rommel. "Nahezu vier Wochen harter Kämpfe liegen hinter uns. Heute krönt die Truppe ihr bisheriges Werk durch die Eroberung der Festung Tobruk. Deutsche und italienische Soldaten haben durchgehalten in dem Geist, der uns alle beseelt heute, der Geist des Sieges!"

Während Rommels Afrikakorps kurz darauf nach Ägypten vorrückt, bewegen sich die deutschen Truppen an der Ostfront in Richtung Kaukasus. Adolf Hitler und seine Generäle planen, das britische Mandatsgebiet Palästina von zwei Seiten aus in die Zange zu nehmen. Zum gleichen Zeitpunkt quartiert sich im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes ein geheimes SS-Kommando in Athen ein. Ganz zufällig stießen die Historiker Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers auf Akten über dieses Kommando." Da sind wir neugierig geworden", erzählt Buchautor Martin Cüppers.

Martin Cüppers: "Wir haben uns überlegt, Sommer 1942, da lag es nahe, dieses SS-Kommando mit dieser strategischen Entwicklung in Verbindung zu bringen und als These festzustellen, dass dieses Kommando wohl dazu ausersehen war, im Rahmen der Panzerarmee Afrika mit der Eroberung Palästinas die Endlösung gegen die Juden Palästinas zu organisieren."

Die Historiker forschen in Archiven nach Quellen. Ihre Bilanz besteht aus zahlreichen Indizien, die belegen, wie die Planungen des Reichssicherheitshauptamtes aussahen. Höhepunkt ihrer Recherche: Die Entdeckung eines Befehlsschreibens von Heinrich Himmler an das Oberkommando der Wehrmacht bezüglich des SS-Einssatzes in Nordafrika.

"Das SS-Einsatzkommando erhält seine fachlichen Weisungen vom Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes und führt seine Aufgaben in eigener Verantwortlichkeit durch. Es ist berechtigt, im Rahmen seines Auftrages in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen."

Die Historiker weisen nach, dass dieser Text einer Einsatzrichtlinie entspricht, die im Jahr zuvor Grundlage für die Judenvernichtung der SS in der Sowjetunion war. Zentrale Passagen der Vereinbarung seien wortwörtlich übernommen worden. Fazit der Autoren: Das geheime Kommando sollte - nach dem Muster der Judenmorde in Russland - die eroberten Gebiete, wie es im Jargon der SS hieß, von "Juden säubern". Da sich Rommel nur wenige Tagesmärsche vor dem damaligen Palästina befand, gäbe es keinen Grund anzunehmen, dass die Juden Palästinas nicht auch im Visier der SS waren. Ob Rommel allerdings von dem SS-Kommando wusste, ist nicht bekannt.

Leiter des Einsatzkommandos war SS-Obersturmbannführer Walther Rauff. Rauff hatte seine SS-Karriere direkt unter Reinhard Heydrich gemacht, dem eigentlichen Architekten des Holocausts. "Walther Rauff war ein Mann ohne Skrupel", urteilt Historiker Cüppers.

Martin Cüppers: "Bekannt wurde er vor allem dadurch, dass er als Gruppenleiter erstmals überhaupt als Idee die Anweisung gab, aus Lastkraftwagen Gaswagen zu bauen, also diese mobilen Tötungsstationen, die dann in Osteuropa und in Südosteuropa zur Ermordung der Juden eingesetzt wurden."

Walther Rauffs Kommando sollte von einheimischen arabischen Kräften unterstützt werden. Nachrichtenoffiziere hatten ihren Vorgesetzten in Berlin die Bereitschaft zahlloser Araber zur Kollaboration gemeldet. Deren Mithilfe setzte das Reichssicherheitshauptamt den Historikern zufolge auch deshalb voraus - weil Antisemitismus in der arabischen Bevölkerung verbreitet war. Schon beim Judenmord in Litauen, Lettland und der Ukraine habe sich die SS erfolgreich der Unterstützung einheimischer Antisemiten bedient. Außerdem sei die Schlüsselfigur der Kollaboration auf arabischer Seite ein Bündnispartner gewesen, den die Nationalsozialisten gut kannten: Amin al-Husseini, Großmufti von Jerusalem. Der Großmufti, so Buchautor Cüppers, sei 1941 aus dem Nahen Osten nach Berlin geflohen.

Martin Cüppers: "Der Mufti traf sich dort mit Hitler und wurde dann fürstlich mit seinem Stab in Berlin von den Nationalsozialisten bezahlt; er wurde tatsächlich sehr großzügig vom Auswärtigen Amt und von anderen nationalsozialistischen Stellen ausgehalten."

Seinen Aufenthalt in Berlin nutzte Amin al-Husseini, um den nahöstlichen Eliten Hitler als Propheten gegen die Juden zu empfehlen - und die Deutschen als natürliche Bündnispartner im Kampf gegen das "Weltjudentum".

"Deutschland (ist) das einzige Land, das sich endlich entschlossen hat, die jüdische Frage aus der Welt zu schaffen. Dies interessiert natürlich die arabische Welt. ... Bis jetzt hat jeder die Gefahr für sich bekämpft. Jetzt bekämpfen wir sie gemeinsam."

Das Buch "Halbmond und Hakenkreuz" von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers widerlegt die unter Historikern populäre These, das Dritte Reich habe im Nahen Osten keine Interessen verfolgt. In Form eines Indizien-Puzzles schildern die Autoren, wie der Nationalsozialismus den Judenhass der arabischen Welt für seine Zwecke genutzt hat - obschon nach der Niederlage des Afrikakorps bei El-Alamein eine militärische Invasion Palästinas nicht stattfand und deswegen die Araber als Kollaborateure beim Judenmord nicht zum Einsatz kamen. Auch wenn die beiden Wissenschaftler sich in ihrer Darstellung mitunter zu sehr bei Details aufhalten und man sich in einigen Passagen eine systematischere Analyse gewünscht hätte, liest sich diese "Geschichte einer Geschichte, die nicht stattgefunden hat", spannend wie ein Roman.


Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers:
Halbmond und Hakenkreuz.
Das "Dritte Reich", die Araber und Palästina,

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006
Halbmond und Hakenkreuz
Halbmond und Hakenkreuz© Wissenschaftliche Buchgesellschaft