Das Drama eines vergessenen Krieges

17.06.2010
Realistisch und einfühlsam erzählt Tahmina Anam in "Zeit der Verheißung" von dem Unabhängigkeitskrieg Bangladeschs 1971. Mit Hilfe einer Familiensaga gelingt es ihr, kulturelle Besonderheiten dieser Region anschaulich zu vermitteln.
Als die Briten 1947 den Indischen Subkontinent in die lang ersehnte Freiheit entließen, entstand durch die Teilung des Landes auf Seiten des neu gegründeten Pakistan ein geopolitisches Monstrum. Denn Pakistan bestand zu dieser Zeit aus West- und Ostpakistan. Ostpakistan aber – das heutige Bangladesh – lag über 1000 Kilometer weit entfernt von Westpakistan, dazwischen befand sich indisches Territorium. Zugleich unterschieden sich beide Landesteile kulturell enorm. Ostpakistan litt zudem von Anfang an unter der politischen wie wirtschaftlichen Bevormundung und Ausbeutung durch den Westteil.

Separationsbestrebungen zeichneten sich früh ab. Als dann Ende 1970 während der Parlamentswahlen dem bengalischen Oppositionsführer Mujibur Rahman der Sieg aberkannt wurde, kochte das Fass über: Mujib verkündet im März 1971 die Unabhängigkeit Ostpakistans, das sich seitdem Bangladesh nennt – wenige Tage später marschiert die pakistanische Armee ein, und ein so grausamer wie blutiger Krieg beginnt, der erst endet, als indische Truppen im November 1971 die Niederlage der Westpakistaner erzwingen.

"Zeit der Verheißungen", der erste Roman der 1975 in Dhaka/Bangladesh geborenen Autorin Tahmina Anam, ist vor dem Hintergrund dieses – bis heute in Pakistan und Bangladesh tabuisierten – Krieges angesiedelt. Er beginnt am Vorabend des Krieges und endet mit der Niederlage der pakistanischen Armee.

Doch Anam schildert weniger das Morden und Schlachten und Foltern der Bevölkerung, wie es an der Tagesordnung war. Sie vermittelt diesen Krieg vielmehr anhand des Schicksals einer kleinen Zahl von Menschen, allen voran ihrer Hauptfigur Rehana, einer verwitweten Mutter, deren Kinder Maya und Sohail sich schon länger in der Studentenbewegung für die Unabhängigkeit des Landes einsetzen.

Als der Krieg ausbricht, fürchtet Rehana – die Maya und Sohail schon einmal verloren hat, als man sie ihr nach dem Tod ihres Mannes wegnahm – um das Leben ihrer Kinder, die ihr ein und alles sind. Doch Sohail, ein überzeugter Bengale, wird sich als Untergrundkämpfer ausbilden lassen, Maya geht nach Kalkutta, wo sie das Elend der Flüchtlinge zu lindern sucht. Und langsam aber sicher sieht sich auch Rehana dazu gezwungen, ihren Teil zum Sieg des Landes beizutragen: Sie näht Decken, sie versteckt in ihrem Haus Waffen, bis auch sie schließlich Dhaka verlassen muss.

Am Ende gelingt es Rehana, ihre Tochter vor der Schändung und ihren Sohn vor dem Tod zu retten. Um einen hohen Preis, der ihr dunkelstes Geheimnis ist: Dass sie zu wirklich allem bereit gewesen ist, sogar dazu - soviel sei verraten - das Leben des Mannes opfern, den sie liebt.

Von diesem noch immer vergessenen Krieg, der auch in der englischsprachigen Literatur des Subkontinents trotz zahlreicher Romane über die tragische Teilung des Landes nur selten Erwähnung findet, erzählt "Zeit der Verheißung" in so realistisch wie einfühlsamer Weise.

Dass wir als Leser diesem historischen Drama dennoch so nahe kommen, verdankt sich Anams Fokus auf das Genre der Familiensaga, das ihr zugleich erlaubt, kulturelle Besonderheiten dieser Region anschauungsreich zu vermitteln – allein ein Glossar der vielen bengalischen Ausdrücke fehlt. Nicht zuletzt aber ist Anam eine Ode an die Beharrungskraft des bengalischen Widerstands und an die Schönheit ihres Heimatlandes gelungen, dessen monsungetränkte Üppigkeit hier mit allen Sinnen geschildert wird.

Besprochen von Claudia Kramatschek

Tahmina Anam: Zeit der Verheißungen
Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Insel Verlag, Berlin 2010
319 Seiten. 19,80 Euro