Das Deutschlandbild im Ausland "sehr, sehr wohltuend ergänzen"

Stephan Nobbe im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 05.07.2011
In seinen 36 Jahren Arbeit für das Goethe-Institut hat Stephan Nobbe immer wieder erfahren, dass dessen Rolle gerade in Ausnahmesituationen sehr ernst genommen wird: Bei diplomatischen Spannungen mit dem Iran genauso wie bei der demokratischen Öffnung Osteuropas.
Matthias Hanselmann: 60 Jahre Goethe-Institut, 60 Jahre deutsche Kultur und Sprache im Ausland, das wird heute gefeiert. Vorhin haben wir schon mit dem Leiter des Goethe-Instituts gesprochen, Klaus-Dieter Lehmann, und gleich im Gespräch ein Mann, der viele, viele Jahre seines Lebens für die Ziele des Goethe-Instituts gearbeitet hat in vielen Ländern dieser Erde.

Sein Name: Stephan Nobbe. Seine Leidenschaft: Die deutsche Sprache und die deutsche Kultur im Ausland zu vertreten, für sie zu werben und sie zu verbreiten und den Dialog auszubauen. Das hat er fast sein ganzes Berufsleben lang getan, unter anderem in Teheran während der Islamischen Revolution, wo er allerdings seine Koffer packen musste. Gleich hören wir, warum.

Ich habe mich vor der Sendung mit Herrn Nobbe unterhalten. Meine erste Frage war: 36 Jahre lang waren Sie für das Goethe-Institut im Ausland tätig. Wenn Sie zurück denken an die Anfänge, was war seinerzeit ihre Motivation und wie begann Ihre Zeit für das Goethe-Institut?

Stephan Nobbe: Meine Motivation, zum Goethe-Institut zu gehen, war Neugierde – Neugierde auf ein anderes Leben, als es in Deutschland möglich gewesen wäre, entweder im üblichen Beruf als Lehrer, oder aber in der Elektrotechnik, wo ich kurzzeitig gearbeitet hatte. Und es war die Neugierde auf andere Länder, auf andere Kulturen, und ich kannte die Goethe-Arbeit von Freunden, die mir erzählten, das sei ganz toll, und ich sollte mich doch mal da bemühen, dass auch mitzumachen. Und das versuchte ich dann, und das klappte dann auch.

Hanselmann: Man lernt andere Länder kennen, man lernt andere Kulturen kennen, man kann Deutschland dort repräsentieren. Und Sie sind dann nach Teheran gekommen. War das ihre erste Station eigentlich?

Nobbe: Nein, die erste Station, wo ich richtig gearbeitet habe, das war ganz normal – wie das jeder von uns macht – als Deutschlehrer, damals in Passau. Da gab es das Institut in Passau noch. Und dann kam ich allerdings sehr schnell – ich hatte in einem Anfall von Leichtsinn auf der Universität begonnen, Arabisch zu lernen und hatte mich dann für Kairo beworben. Das war kurz nach dem Siebentagekrieg, und es klappte! Meine Vorstellungen von der arabischen Welt bis dahin waren aus 1001 Nacht und so ein bisschen das, was man sonst so gehört und gelesen hatte. Und es war natürlich ganz anderes, und es war sehr aufregend. Ich war insgesamt zehn Jahre im islamischen Kulturraum, und das war eine tolle Zeit!

Hanselmann: Wie hat es sich dann ergeben, dass sie nach Teheran gegangen sind – oder entsandt wurden?

Nobbe: Teheran war Mitte der 80er-Jahre, auch das war eine ziemlich bewusste Entscheidung von mir. Ich wollte da hin! Es war einfach eine aufregende Zeit dort und ich war neugierig. Wie lebt man dort? Wie arbeitet man dort? Und es war ein größeres Institut. Es gab Schwierigkeiten in Teheran, die Arbeit war nicht ganz einfach. Also, die Einschränkungen, als ich dort hinkam dann – im achten Jahr der Revolution –, waren schon erheblich. Wir hatten bei der Durchführung unserer Deutschkurse mit großer Aufmerksamkeit des Umfelds – mit den religiösen Überwachungsorganen der Regierung – zu tun.

Wir waren zum Beispiel gezwungen, die Grundstufen-Klassen, nach Geschlechtern getrennt zu führen, Männlein und Weiblein extra, denn natürlich – das Institut in Teheran war auch eine der ganz seltenen Möglichkeiten für die Jugend dort, sich in einem freien – einigermaßen freien – Umfeld zu treffen, und vor allem, sich überhaupt zu treffen. Die Restriktionen im Umgang miteinander waren extrem.

Hanselmann: Ein entscheidender Tag war für Sie der 15. Februar 1987, als es eine ganz bestimmte Ausgabe der Satiresendung "Rudis Tagesshow" im Deutschen Fernsehen gab. Ein ganz kurzer Spot – zwölf Sekunden lang – führte zu einer – man kann sagen – diplomatischen Krise. Wie haben Sie das damals erlebt?

Nobbe: Das war eine sehr schöne Sache, typisch Rudi Carrell! Eine Mischung aus oberflächlichem Witz und Sexismus. Das, was ihn offensichtlich interessierte an der ganzen iranischen Bewegung und an dem Islam und so weiter, waren die sich herumgesprochen habenden sexuellen Einschränkungen. Und es wurde gezeigt, dass die Feierlichkeiten – es wurde behauptet, es seien die Feierlichkeiten zum achten Jahrestag der Revolution, und die iranischen Frauen zahlen Tribut an den großen Führer. Man sah eine Marschkolonne der Tschador-Frauen – also Tschador und eine Kalaschnikow –, und im Gegenschnitt sah man den Khomeini auf einer Tribüne oben. Dann kam wieder die Marschkolonne, schwenkte, ging auf Khomeini zu und verbeugten sich vor ihm, und dann der letzte Schnitt war, Khomeinis Hände widmeten sich diesem Tribut, und das waren Höschen und BHs und so weiter und so fort. Schrecklich witzig!

Hanselmann: Da kann man natürlich drüber streiten, aber das Ganze führte zu einem Skandal!

Nobbe: Es war nicht witzig, aber es führte zu einem Skandal, weil der iranische Botschafter in Bonn die wunderbare Gelegenheit entdeckte – die einige seiner Kollegen in anderen europäischen Ländern schon wahrgenommen hatten –, beleidigt zu sein. Er nahm Anstoß und war beleidigt und berichtete nach Teheran. Und die waren auch gleich beleidigt, beschwerten sich bei Kohl – war damals der Kanzler – und sagten, er solle sich entschuldigen, oder am liebsten die ganze Anstalt schließen. Herr Kohl wies auf die Pressefreiheit hin, die bei uns gang und gäbe sei. Er habe da nicht wirklich die Möglichkeiten, die man von ihm erwarte.

Das wurde nicht akzeptiert, und der zweite Mann der Botschaft wurde ausgewiesen – und der Kulturreferent der Botschaft wurde ausgewiesen. Ich habe mich damals gefreut, muss ich gestehen, denn die Italiener hatten Ähnliches erlebt ein Vierteljahr vorher, und da war das italienische Kulturinstitut geschlossen worden. Da dachte ich: Ah, die haben dich vergessen! Hatten sie nicht, Herr Moussawi, der ja in den letzten Jahren sehr bekannt wurde, veranlasste damals, dass auch das Goethe-Institut geschlossen wurde.

Und ich hatte dann noch zwei Monate Zeit mir genommen. Ich habe zuerst geschrieben – wir haben Briefe an Rafsandschani geschrieben, und so weiter –, es half nichts, ich musste raus. Und ich wurde auf die Polizei bestellt, und der Polizeichef eröffnete mir, er habe die Anweisung, mich auszuweisen. Na ja, sagte ich, okay, schade, aber was machen wir nun? Da meinte er: Nun ja, Ausweisung bedeutet, dass du nie wieder ins Land darfst. Und da habe ich gesagt, das sei aber schade, denn das Land ist toll und die Menschen sind außerordentlich anregend und nett. Ja, sagte er, wir können was anders machen, gib mir mal deinen Pass rüber, und auch den vom Kollegen.

Und dann hat er nicht die Ausweisung verfügt, sondern er hat einfach das Visum, das wir beide ja hatten – das wurde von Jahr zu Jahr erteilt –, das wurde einfach gecancelt. Und das ist ein Riesenunterschied!

Hanselmann: Weil es Ihnen die Möglichkeit gab, ein neues Visum zu beantragen?

Nobbe: Es gab mir die Möglichkeit, überhaupt mal wieder einzureisen mit einem neuen Visum, es gab mir vor allem die Möglichkeit, noch etwas zu bleiben, das Institut aufzuräumen und zu schließen, und so weiter. Ich musste aber schließen, denn ich fand keine Unterstützung bei der Politik, da waren andere Aspekte der deutsch-iranischen Zusammenarbeit wichtiger – was man nehmen kann, wie man will.

Das Tröstliche bei diesem ganzen Vorgang für mich ist, dass ganz offensichtlich Kultur und die Arbeit, die das Goethe-Institut dort machte, sehr ernst genommen wurde. Denn man erkannte oder erachtete es als Gefahr. Und natürlich wussten die, dass im Sprachunterricht nicht nur der Dativ gelehrt wird, sondern dass mit den Texten eine ganze Menge rüberkommt, was man als gefährlich für die iranische Jugend betrachtete. Man wollte vermeiden, dass die Seelen der Jugendlichen, der Kinder vergiftet werden.

Hanselmann: Das ist ja – man kann sagen, noch bis heute so! Deshalb die Frage vor dem Hintergrund Ihres Falles in Teheran: Wie gelingt es den Goethe-Instituten, Kulturpolitik zu machen in Ländern, deren politische und kulturpolitische Verhältnisse völlig anders sind als unsere?

Nobbe: Das erfordert also erstens eine gute Kenntnis des Landes und der Kultur, in der wir arbeiten. Das erfordert die Bereitschaft, aber auch die Befähigung zu einem vorsichtigen Dialog. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Partner nicht in Gefahr bringen. Aber wir müssen das tun, was die von uns erwarten. Wir müssen wirklich die Informationen bieten und die ästhetischen Neuigkeiten anbieten und auch alles das vermitteln, was in dem Wort Kulturpolitik beinhaltet ist. Es geht nicht um direkte politische Einflussnahme, es geht nur darum, zu zeigen und zu erklären und zu sagen, wie läuft etwas bei uns? Die Schlüsse ziehen die alleine, dazu sind sie klug genug.

Hanselmann: Sie haben in den USA gearbeitet, später sehr viel in Osteuropa, in Polen, Tschechien. Sie sind im Laufe dieser 36 Jahre natürlich durch sehr, sehr unterschiedliche Kulturfelder gereist. Wie ist das eigentlich? Zu welchen Einsichten kommt man über die Jahre? Welche Sicht auf die unterschiedlichen Kulturen bekommt man dabei?

Nobbe: Ich war zehn Jahre praktisch im islamischen, arabischen und iranischen Kulturkreis tätig. Das ist natürlich eine Wahnsinnsbereicherung – weil man beginnend in Ägypten 5000 Jahre Kultur erlebt, die irgendwie präsent ist. Zehn Jahre in Amerika - das wesentliche Erlebnis in Amerika ist für mich gewesen, das ist eine Art kreatürliches Freiheitsempfinden, das unterschätzen wir oft hier, dieses Bewusstsein: Wir sind ein freies Volk, wir sind freie Menschen und wir wollen uns das erhalten, und wir geben das weiter!

Hanselmann: Woher kommt eigentlich ihre besondere Bindung an Osteuropa?

Nobbe: Ich bin in Polen geboren, meine Mutter war Polin, ich habe die Sprache so ein bisschen im Ohr noch. Und Polen und Mittelosteuropa, wie wir das nennen, war einfach faszinierend als Aufgabe, weil dort der Vorhang mit einem Mal hochging und ein Austausch, ein freier Austausch möglich wurde, und zwar direkt mit Menschen verbunden. Vorher kannten wir die Musik, kannten wir die Literatur, aber dann war das wirklich möglich durch Mensch-zu-Mensch-Begegnungen. Vor allem, zu merken, was auch dort Freiheit bedeutet, und der Wunsch nach Freiheit.

In Amerika ist es die Bereitschaft, Freiheit zu verteidigen und zu exportieren – wenn man das ein bisschen polemisch formulieren will –, in Osteuropa war es der dringende Wunsch nach Freiheit und das Gefühl, dass ja niemals eingeschränkt war – das wir nur nicht entwickeln konnten, weil wir nicht rüberkonnten –, ein Teil Europas zu sein!

Hanselmann: Herr Nobbe, wie würden Sie die Rolle des Goethe-Instituts zurückblickend auf die vergangenen 60 Jahre, die es existiert, beschreiben? Welche Botschaft sollte es haben?

Nobbe: Dieses Institut – Goethe-Institut – ist nicht nur für Deutschland wichtig, es ist auch für unsere Freunde, Nachbarn und die anderen Völker wichtig. Wir können damit eine ganze Menge vermitteln und Botschaften senden, die sehr wohl verstanden und aufgenommen werden, und die das Bild von Deutschland als einer mächtigen Wirtschaftsnation und einer politisch mächtigen Nation sehr, sehr wohltuend ergänzen.

Hanselmann: Doktor Stephan Nobbe, 36 Jahre tätig für das Goethe-Institut mit ihm habe ich gesprochen aus Anlass des 60. Geburtstags des Goethe-Instituts. Vielen Dank, Herr Nobbe!

Nobbe: Danke auch!

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