Das Berliner Schloss als Potemkinsches Dorf

Moderation: Matthias Hanselmann · 01.11.2006
Für den Erwerb von Einzelstücken der Fassade wirbt der Katalog des Fördervereins Berliner Schloss. Für acht Millionen Euro haben die Stifter bereits Zusagen, gebraucht werden allerdings 80 Millionen Euro – allein für die Fassade. Und noch sei überhaupt nicht sicher, wie das Schloss innen aussehen und was es beherbergen soll, kritisiert Nikolaus Bernau.
Hanselmann: Ja, wenn Sie gerade zufälligerweise 28.900 Euro lockerhaben und etwas für die Hauptstadtkultur tun wollen, dann kaufen Sie doch einfach ein Stück Berliner Stadtschloss! Zu diesem Preis gibt es zum Beispiel ein Wappenschild plus Kurkrone mit Initialen und Muschel, ein Schmuckelement der Fassade, selbstverständlich von Andreas Schlüter und Eosander von Göthe. Oder Sie kaufen gleich das ganze Portal 5, hinter dem sich einmal der Rittersaal, der Thronsaal der preußischen Könige verborgen hat. Das kostet dann allerdings etwas mehr, nämlich 4.358.000 Millionen Euro. Vor uns liegt der neue Katalog des Fördervereins Berliner Schloss e.V., darin finden Sie solche und viele andere Angebote. Stück für Stück soll das Berliner Stadtschloss an den Mann und die Frau beziehungsweise an die Stifter gebracht werden. In diesem Hochglanzkatalog sind die zu kaufenden oder zu stiftenden Teile schön bunt markiert. Das jeweilige Stück der Fassade, das man dann sein Eigen nennen kann oder zumindest sagen kann: "Guck mal, Mutti, der Adler ist von mir!" - ach nein, der Adler über dem Portaldurchgang, der ist leider schon weg: "Menge: 1 Stück, verkauft", steht da in diesem Katalog. Ich begrüße den Architekturkritiker Nikolaus Bernau. Guten Tag!

Bernau: Guten Tag!

Hanselmann: Wie finden Sie denn den Katalog? Sie haben ihn ja auch durchgeblättert, der liegt ja auch vor Ihnen.

Bernau: Ja, ich habe ihn sogar durchgelesen, da ist nämlich ziemlich viel Lesestoff auch darin. Es macht im Grunde genommen ungeheuren Spaß, sich den durchzulesen und durchzusehen, weil das ein Optimismus ist, der hinter dieser Aufgabe steht, und der hinter dieser zweiten Auflage des Katalogs steht, der doch sehr erstaunt. Wenn man sich so die Debatten der letzten Wochen, Monate, wenn man sich den endlosen Abriss des Palastes der Republik ansieht, die immensen Kosten, die dort entstanden sind, die noch entstehen werden - das war mal für zwölf Millionen Euro als Abriss geplant, jetzt sind wir inzwischen bei 21, die positiven Berechnungen gehen davon aus, das wird 30 Millionen kosten. Es gibt nicht die geringste Finanzierungszusage für den Neubau durch den Bundestag. Es gibt gar keine Großspender offensichtlich, weil sonst wären die ja längst mal an die Öffentlichkeit getreten - es gibt bis jetzt angeblich, das sagt Wilhelm von Boddien, sozusagen der Inspirator der ganzen Idee einer Schloss-Rekonstruktion, er sagt, er hätte acht Millionen Euro Spendenzusagen, man braucht minimal 80 Millionen, also zehn Mal so viel. Und dann legen die so einen Katalog vor mit sehr detaillierten Zeichnungen und eben - wie Sie ja schon gesagt haben - einen äußerst detaillierten Kostenkatalog für dieses und jenes Fassadenelement. Ich finde, das ist ungeheuer optimistisch. Und das alleine macht wirklich Spaß, sich so eine Sache durchzugucken.

Hanselmann: Also Sie, es hört sich so an, als fänden Sie, dass die ganze Sache auch wirklich Sinn macht? Also nicht nur Spaß, sondern auch wirklich Sinn?

Bernau: Nein. Das sind zwei verschiedene Angelegenheiten.

Hanselmann: Aha.

Bernau: Also Spaß und Sinn muss man wirklich fein säuberlich auseinanderhalten. Das Ganze hat natürlich was von einem Katalog, wie diese berühmten Gips-Kataloge des späten 19. Jahrhunderts. Der Spruch ist vielleicht manchem geläufig, dass der Baumeister sein Haus fertig hat und dann den Architekten beziehungsweise den Auftraggeber fragt, was für ein Stil denn jetzt dran soll. Und genau so was hat das. Ich habe mir gestern die auch noch mal in der Kunstbibliothek angeguckt: Das sind Formenkataloge gewesen um 1900, 1890 konnte man so etwas erwerben, die ungeheuer prachtvolle Architekturen vorgesehen haben. Und was dahinter stand, war eigentlich weitgehend egal. Und das ist ja bei diesem Projekt, diesem Katalog genau das Gleiche: Die Fassade hat ja überhaupt nichts zu tun mit dem, was hinter der Fassade stattfinden wird. Das Schöne ist zum Beispiel wieder bei dem Katalog, muss man sagen, und das Erstaunliche, wie irre aktuell die reagieren. Jetzt gerade hat es das große Bohei gegeben, um die Eröffnung des Bode-Museums, wir schwelgen wieder in Wilhelminischer Pracht, sofort kommt im Vorwort "Wilhelminische Pracht". Ist doch eine ganz tolle Sache. Bis jetzt hat man immer peinlich versucht, zu verschweigen, dass das Schloss in wesentlichen Teilen ein Wilhelminischer Bau war. Plötzlich tauchen Wilhelminische Gitter auf, wilhelminische Details. Die sind ungeheuer fit. Aber es dreht sich um Fassadenarchitektur. Und das ist natürlich nicht nur für einen Architekturkritiker, sondern generell für den Umgang mit dem Bauen eine äußerst problematische Angelegenheit. Fassaden sind eine Außenhaut. Sie haben etwas im Normalfall zu tun mit dem Inneren. Auch das Berliner Schloss war nicht nur ein großartiger Propagandabau für das preußische Königtum, sondern es hatte eine direkte Widerspiegelung in den Grundrissen drin. Das Projekt der Fassadenrekonstruktion des Schlosses litt immer unter diesem Problem und leidet bis heute unter diesem Problem, und deswegen wirkt dieser Katalog so wie ein Gipsabguss-Katalog, das eben keine Entsprechung zum Inneren gefunden ist.

Hanselmann: Es gibt ja diesen berühmten Spruch: Außen hui, innen pfui! Jetzt verraten Sie uns doch: Was soll denn hinter der Fassade sich abspielen?

Bernau: Wenn man das wüsste, wäre man sehr viel klüger als die meisten Leute auf der Welt. Es gibt einen offiziellen Bundestagsbeschluss von 2002. Der ist damals hervorgerufen worden - das darf man nicht vergessen - durch die Zusage von Wilhelm von Boddien und seinen Freunden, die Fassade privat zu finanzieren. Es gibt also einen Bundestagsbeschluss von 2002, der sagt: Hinter der Fassade soll das Humboldt-Forum eingerichtet werden. Darin sollen die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin - wahrscheinlich die weltbedeutendsten Völkerkundesammlungen überhaupt -, die Sammlung der Zentral- und Landesbibliothek und die der Humboldt-Universität vereinigt werden. Die Zentral- und Landesbibliothek ist die bedeutendste öffentliche Bibliothek Europas. Jetzt hat sich allerdings nach der Wahl in Berlin und vor allem natürlich viel entscheidender nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herausgestellt, dass der Berliner Senat seinen Anteil an diesem ganzen Projekt zurückziehen wird, nämlich die Landesbibliothek und die Humboldt-Universität werden dort nicht teilnehmen. Das ist zumindest relativ sicher. Ja, wenn die nicht teilnehmen, fehlt uns ein Drittel der Finanzierung. Und das Problem der Finanzierung ist ja nicht dieses Problem der Finanzierung der Fassade - wie es auch in diesem Katalog immer wieder angedeutet wird: "Ja, wenn wir die 80 Millionen zusammenhaben, dann haben wir auch das Schloss." Nein. Das Problem ist das Gebäude hinter der Fassade. Und das kostest mindestens 590 Millionen. Da sind wir die Unterkante. Nur der Rohbau, mit einigen Ausbauten: 590 Millionen. Es gibt nicht die geringste Chance, dass der Bundestag das derzeitig alleine stemmt. Es gibt auch überhaupt keine ernsthaften Finanzierungsvorschläge. Es wird immer wieder von Sponsoren geredet und Leuten, die dafür eintreten können und so weiter. Diese Leute sind bis jetzt nie aufgetreten. Genauso wenig eben wie die von Wilhelm von Boddien angekündigten Großsponsoren, die nach dem Beginn des Abrisses des Palastes der Republik auftreten würden. Die sind bis heute auch nicht zu sehen. Ein bisschen hat man beim Lesen dieses Katalogs das Gefühl: Das ist ungeheuer aktuell gemacht, es reagiert ganz, ganz feinfühlig auf aktuelle Bedürfnisse des Geschmacks und auch der Städteplanung - es ist zum Beispiel interessant, wie häufig jetzt von dem Windkanal die Rede ist, der sich zwischen Unter den Linden und dem Alexanderplatz öffnet - diesen Windkanal gibt es nur durch den Abriss des Palastes der Republik. Den vollzustellen, dafür gibt es viele Gründe. Aber, man hat auch das Gefühl, es ist ein Verteidigungsargument: "Leute, wir haben diesen Beschluss gefasst, die Fassade zu rekonstruieren, und jetzt setzt euch auch endlich dafür ein!" Und ganz offenbar ist das nationale Bedürfnis nach dieser Schlossfassade minimal.

Hanselmann: Aber sagen wir doch mal die Frauenkirche in Dresden sei ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann, ein solches Gebäude wieder herzustellen und sozusagen weltweit damit Aufsehen zu erreichen und auch Millionen von Menschen anzuziehen, dann entsprechend viel Geld in die Kassen zu bekommen, um das nachträglich zu finanzieren. Warum soll das nicht auch funktionieren mit dem Stadtschloss?

Bernau: Ich meine, es ist ja nicht so, dass man das nicht versucht hätte beim Berliner Stadtschloss. Also beim Berliner Schloss übrigens - ich möchte Sie nicht korrigieren … aber es ist das Berliner Schloss, nicht Stadtschloss. Nur, die Sache ist die: Die Frauenkirche war schon vor dem Weltkrieg ein hochbedeutendes Objekt nationaler Repräsentation. Dort haben sich wenigstens alle Protestanten wiedergefunden, durch ihre Zerstörung, durch die Zerstörung Dresdens ist die Frauenkirche zu einem gesamtnationalen Symbol geworden. Das Schloss der Hohenzollern war niemals ein solches Symbol. Das hat Wilhelm II. verzweifelt versucht, es zu einem kaiserlichen Schloss und nicht bloß zu einem königlich-preußischen zu machen. Das ist aber historisch niemals gelungen. Auch in den 20er Jahren konnte es deswegen einfach auch an Museen abgegeben werden, und da ist dann eben nicht wie zum Beispiel Lenin in den Kreml oder eben der französische Präsident in den Elysée-Palast, es ist eben nicht der deutsche Präsident in das Schloss eingezogen. Weil das Schloss keinerlei nationale Funktion hatte. Das ist das eine Problem. Diese Schwelle ist offensichtlich von den Schlossfreunden bis heute nicht überwunden worden, die nationale Frage. Die ist aber zentral für die Finanzierung. Die zweite ist eine technische: In der Frauenkirche hat man seit der Zerstörung 1945 Baudetails von jedem Gesims gesammelt. Man hat sorgfältig darauf geachtet, dass alle wichtigen und auch alle unwichtigen Baudetails irgendwie durch Originalstücke dokumentiert sind. In Berlin ist das ganz, ganz anders. Das Schloss war weitgehend ein Backsteinbau, an den einzelne Sandsteinbaudetails eingesetzt waren. Von diesen Baudetails sind - selbst nach Aussagen des großen Schlossfreundes Wilhelm von Boddien - etwa ein Promille erhalten. Also ein minimaler Bestandteil. Der allergrößte Teil des Schlosses ist nur fotografisch dokumentiert, nicht einmal durch gute Zeichnungen oder durch Baupläne. Die Baupläne sind schon im 19. Jahrhundert verlorengegangen. Wir haben nur Fotos. Fotos haben den großen Nachteil: Sie sind zweidimensional. Architektur und Bauplastik ist aber dreidimensional. Das heißt, ein Bildhauer muss aus den Fotos nachschöpfen. Ein Bildhauer ist immer zeitgebunden. Diese Broschüre zum Beispiel wirbt sehr groß damit, dass eben selbst die großen Schlossfreunde wie Goerd Peschken vollkommen überzeugt wurden von den Nachschöpfungen der aktuellen Bildhauer. Das ist vollkommen logisch, dass er davon überzeugt ist: Der Bildhauer und der Schlossfreund Peschken entstammen der gleichen Zeit. Der Bildhauer macht genau das, was dem Barock-Bild von Peschken entspricht. In spätestens 50 Jahren werden wir genau sehen: Das ist eben ein Werk des frühen 21. Jahrhunderts, es ist kein Werk des 18. Jahrhunderts. Wir werden Schlüter nie wiederbekommen. Das wird in dieser Broschüre selbstverständlich nicht erzählt. Auch ein moderner Bildhauer kann keine Kunst des 18. Jahrhunderts herstellen. Er wird immer Kunst des 21. Jahrhunderts herstellen im Gewand des 18. Jahrhunderts. Das ist ein zentraler Unterschied. Und den kann man nicht oft genug betonen. Wir werden dort nicht die Schlüter-Fassade wiederherstellen, wir werden ein Bild der Schlüter-Fassade, wie sie unserer Vorstellung von Barock entspricht, wiederherstellen.

Hanselmann: Darf ich das, was Sie gesagt haben, dahingehend zusammenfassen: Ein Katalog, der Spaß macht. Eine Aktion, die keinen Sinn macht.

Bernau: Ja, ganz grob gesehen schon. Es sei denn, der Bundestag stellt sich plötzlich hin und sagt: Wir rücken 590 Millionen Euro raus.

Hanselmann: Architekturkritiker Nikolaus Bernau im Radiofeuilleton für Deutschlandradio Kultur, Danke schön!