"Das Aufgeben von Stadtteilen ist falsch"

Moderation: Christopher Ricke · 18.06.2008
Nach einem Besuch in der niederländischen Stadt Rotterdam hat der Bezirksbürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky, entschlossenes Handeln gegenüber schwierigen Stadtteilen in deutschen Großstädten angemahnt. Die niederländische Formel sei: keine Prävention ohne Repression. Dies müsse sich auch in Deutschland stärker durchsetzen.
Christopher Ricke: Wenn in einem Stadtteil die Arbeitslosigkeit hoch ist, wenn die Schulabschlüsse niedrig sind, wenn es Gewalt gibt, Kriminalität, Parallelwelten, dann spricht man von einem Problemviertel. Solche Viertel gibt es in allen Großstädten, die heißen beispielsweise Köln-Bocklemünd, Hamburg-Mümmelmannsberg, München-Hasenbergl oder Berlin-Neukölln. Die Aufgabe der Politik ist es, in solchen Vierteln einen neuen Ansatz zu finden, sich mit dem Problem nicht abzufinden.

Und da schauen die, die Verantwortung tragen in die niederländische Hafenstadt Rotterdam. Dort scheint es zu klappen, dort hat man das Schicksal ein bisschen gedreht. Heinz Buschkowsky ist jetzt mein Gesprächspartner. Er hat sich in Rotterdam schlaugemacht, er ist der Bürgermeister von Berlin-Neukölln. Das ist ein Bezirk, so groß wie eine durchschnittliche deutsche Großstadt. 300.000 Menschen leben hier, viele im gut bürgerlichen Milieu, aber eben auch viele in Problemlagen. Guten Morgen, Herr Buschkowsky!

Heinz Buschkowsky: Guten Morgen!

Ricke: Was ist denn Wurzel allen Übels? Ist es die soziale Schichtung, der Ausländeranteil oder die Arbeitslosigkeit?

Buschkowsky: Sicherlich alles zusammen. Wir haben hier eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit entspringt wieder dem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die einfach die Qualifikation für eine Dienstleistungsgesellschaft nicht mitbringen. Dann haben wir natürlich wieder die Probleme mit dem Schulbesuch. Sie wissen, unser Schulsystem fördert nicht gerade Menschen in Risikogebieten. Und so haben wir hier bei einem Drittel migrantischer Bevölkerung schon, aber auch 80.000 Menschen, die von Hartz IV leben müssen.

Ricke: Jetzt sind Sie ja nach Rotterdam gefahren, um mal zu gucken, was dort anders gemacht wird. Welcher Ansatz in den Niederlanden ist denn so überzeugend, dass man ihn eigentlich sofort nach Deutschland übertragen müsste?

Buschkowsky: Was mich überrascht hat und letztendlich auch überzeugt hat, es ist der Wille, dass Rotterdam allen Menschen gehört, dass es Menschen mit Problemen gibt, die Niederländer sagen, Risikofamilien oder Risikojugendliche, aber dass Rotterdam allen gehört. Wir wollen allen helfen, und wir schauen uns jeden Einzelnen an. Es kann nicht sein, dass es bei uns Viertel gibt, in die sich die Polizei nur noch zu sechst oder acht hineintraut. So ist das in Rotterdam gewesen vor fünf Jahren, und man hat dort ein sehr engagiertes Programm aufgelegt, um dann wieder das Rotterdam zu schaffen, wo jeder sich in jeder Straße wohlfühlen kann.

Ricke: Das hat aber auch etwas mit hart und gerecht zu tun. In Rotterdam gibt es, habe ich gelesen, eine polizeiliche Eingreiftruppe, die so sofort auch ohne richterlichen Beschluss Wohnungen durchsuchen kann. Das wäre ja bei uns nach unserem Rechtsverständnis gar nicht möglich. Wünschen Sie sich dennoch so eine Truppe?

Buschkowsky: Na, es ist keine Polizeigruppe. Es sind sogenannte Interventionsteams, die in Häuser, in Blocks gehen, wo es scheinbar Unregelmäßigkeiten gibt, dass mehr Menschen dort wohnen als angemeldet sind, dass die Stromversorgung nicht stimmt. Es geht auch gegen Hauseigentümer, die Häuser vergammeln lassen, aber gleichzeitig Miete kassieren. Es geht um die Frage, das ist ein großes Problem in den Niederlanden, viel größer als bei uns, um Haschischplantagen in den Wohnungen.

Und dieses Interventionsteam, das sind sechs, sieben Leute von den Elektrizitätswerken, vom Jugendamt, vom Sozialamt, von der Polizei, ganz unterschiedlich von der Bauaufsicht, und die klingeln und sagen, können wir uns bei Ihnen mal umsehen. Und wenn die Menschen sagen, nein, wir wollen das nicht, dann dürfen sie natürlich die Wohnung nicht betreten, aber sie sagen dann, wir bleiben jetzt solange hier, bis wir einen richterlichen Beschluss haben. Dann werden sie auch reingelassen. Das ist sicherlich erst mal für uns Deutsche sehr gewöhnungsbedürftig, das hat ja was wie ein Überfallkommando. Aber es bedeutet, dass natürlich diese Interventionsteams sich Block für Block ansehen und schauen, was ist da los. Das geht so weit, dass sie sagen, hier leben acht Personen in einem Zimmer, das geht nicht, Sie bekommen heute sofort eine neue Wohnung. Und so entstehen dann eben nicht Blocks wie teilweise bei uns hier auch, wo wir eigentlich gar nicht mehr so richtig wissen, was da vorgeht.

Ricke: Das sind diese Parallelwelten, und in diesen Parallelwelten gibt es Vollzugsprobleme. Es gibt auch in Berlin, in Köln oder in München Jugendliche, die mit Drogen dealen, denen nicht sofort etwas passiert. Da gibt es auch Eltern, die fahren einfach zurück in die alte Heimat, eine Woche, bevor das Schuljahr zu Ende ist oder schicken ihre Töchter nicht in den Sportunterricht. Da ist doch auch eine Frage nach dem Vollzug geltenden Gesetzes?

Buschkowsky: Ja, und alle diese Probleme haben wir in Rotterdam auch gesehen, weil, ich sage mal, in bestimmten bildungsfernen Bevölkerungsschichten sind die Problemlagen immer alle gleich, egal, um welche Ethnien es sich handelt. Aber die Rotterdamer haben das System entwickelt, dass sie sagen, wir helfen jedem. Bei uns steht die Prävention an allererster Stelle. Aber wer die helfende Hand ausschlägt, da greift dann auch die Repression. Sie haben eine ganz große Formel, keine Prävention ohne Repression. Sie sagen, immer, wenn du nicht mitmachst und wenn du nicht aufhörst, deinen Müll vom Balkon zu schmeißen oder deine Nachbarschaft zu tyrannisieren, dann kriegst du auch keine Sozialhilfe mehr. Das kann dann nicht sein. Und alleine das Ankündigen und die Gewissheit, dass es durchgesetzt wird, das hilft dann schon.

Ricke: Jetzt will man das gerne nach Deutschland übertragen, das klingt ja sehr gut. Nur die Frage, schafft das die Kommunalpolitik mit eigenen Mitteln, oder bleibt wieder nur der Ruf nach mehr, nach mehr Polizei, nach mehr Lehrern, nach mehr Geld?

Buschkowsky: Ich glaube nicht, dass es mehr ist. Das war auch nicht die Botschaft, die ich in Rotterdam gesehen habe, sondern sie arbeiten einfach anders. In Rotterdam sind die Behörden untereinander wirklich vernetzt. Sie sitzen wirklich an einem Tisch. Und sie verfügen alle über das gleiche Material. Und es gibt eben Problembüros im Bezirk, wo das Jugendamt sagt, wir haben hier eine Familie, wir haben alles ausprobiert und wissen nicht mehr weiter. Dann sitzen dort in diesem Quartier alle zusammen und sagen, jetzt überlegen wir gemeinsam, wie gehen wir mit dieser Familie um.

Ricke: Wann fangen Sie an in Berlin-Neukölln?

Buschkowsky: Ja, wir müssen erst mal diskutieren, weil der grundlegende Unterschied ist eine entschlossene Politik und zu sagen, man kann auch Gebiete, die schon verloren glauben, wieder umdrehen. Wenn man nur engagiert hinschaut und wirklich anpackt und alle sagen, ja, wir wollen es, es ist unsere gemeinsame Stadt. Und das ist das, was ich in Rotterdam gelernt habe, dass dieses Aufgeben von Stadtteilen, das ist falsch. Sondern die Politik muss sagen, wir intervenieren hier, wir schaffen eine Stadt für alle Bürger und dann funktioniert das. Und da sind wir in Deutschland noch einen großes Stück entfernt, weil wir immer noch glauben, dass es böse ist, wenn man Menschen auch an der ein oder anderen Stelle nachdrücklich an die Hand nimmt und sagt, hier sind unsere Regeln, und bitte du hältst dich jetzt auch daran, und wir sagen dir das auch sehr, sehr deutlich. Ich denke mal, ich glaube, die Aktivität ist es und der Wille ist es, der bei uns noch nicht so richtig Platz greift.

Moderator: Heinz Buschkowsky ist der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln. Vielen Dank, Herr Buschkowsky!

Buschkowsky: Bitte sehr!