Das Antlitz der Zeit in Bildern

05.03.2013
Renate von Mangoldts nun vorgelegter Bildband mit Portraits und Aufnahmen von Autoren wie Herta Müller, Max Frisch, Peter Handke oder Erich Fried ist vor allem ein dokumentarisches Werk. Mit ihren Bildern erlaubt die Fotografin ihrem Gegenüber, Raum und Haltung einzunehmen.
Am Anfang stand ein glücklicher Zufall: Renate von Mangoldt, junge Absolventin einer Münchner Fotoschule, fotografiert 1963 bei einem Studententheaterfestival in Erlangen den Berliner Literaturwissenschaftler, Kritiker und Herausgeber Walter Höllerer. Zwei Jahre später sind die beiden verheiratet, Höllerer hat in Berlin das Literarische Colloquium gegründet, und Renate von Mangoldt ist dort fest angestellt -als Fotografin.

Auf der ersten Seite ihres eben erschienenen Bildbandes "Autoren" befindet sich das Foto von Höllerer - ihm widmet Renate von Mangoldt ihr Buch. Er sei es gewesen, der ihr die Welt der Literatur eröffnet habe und in der sie sich bis heute zuhause fühle, so beschreibt sie es in ihren, den Fotos als Nachwort angefügten Erinnerungen.

Über fünfhundert Aufnahmen hat Renate Mangoldt mit Hilfe des Lyrikers Dietmar M. Gräf nun ausgewählt. Unaufgeregte, konzentrierte, teilweise unscharfe, immer aber aussagekräftige Schwarzweißfotos von Autoren und Autorinnen. Sie sind aufgenommen über einen Zeitraum von gut fünfzig Jahren: ein halbes Jahrhundert deutscher und internationaler Literaturgeschichte.

Es sind alle dabei, die Rang und Namen haben, viele Nobelpreisträger, aber auch etliche, die man beinahe vergessen hat. Eingeteilt ist das Buch – wohlüberlegt - in Dekaden, eine Entscheidung, die tatsächlich ermöglicht, auch das Antlitz einer Zeit zu erfassen. Allein schon durch die Anzahl der Zigaretten und Pfeifen, die auf den Fotos der 1960er und 1970er Jahre das hervorstechendste Accessoire eines jeden Schriftstellers, einer jeden Schriftstellerin, zu sein scheinen. Und überrascht stellt man aber fest: die Brillenmodelle von damals sind wieder ganz en vogue. Szondi und Frisch, Handke und Fried, kaum zu glauben, wirken rein äußerlich ganz modern.

Mangoldts Fotos bringen die Porträtierten jenseits ihres öffentlichen Charakters dem Betrachter nah. Sie sind im Wortsinn: berührend. Sie zeigen Zeit und Dauer. Deutlich, durch Bildunterschriften markiert, zeigen sie das Jahr ihrer Entstehung, vermitteln aber im selben Moment etwas Zeitloses. Posen und Gesichtsausdruck wirken, selbst wenn sie vor dreißig Jahren mit der Kamera festgehalten wurden, nicht antiquiert.

Mangold fotografiert Essenz: Herta Müller, kurz nach ihrer Übersiedlung aus Rumänien in den 1980er Jahren, hatte kurz geschnittene, hell gefärbte Haare und trug eine nicht unbedingt als elegant zu bezeichnende Garderobe. Doch der innere Ausdruck - eine wägende, beobachtende Verschlossenheit - ist geblieben und findet sich auch in Mangoldts Porträt aus dem Jahr 2000 wieder.

Viele Autoren hat Mangoldt immer wieder getroffen. Auch das sieht man den Fotos an: wie sich Persönlichkeiten entwickeln, wie einer anfängt, was Alter und Erfolg mit ihm machen und was dabei auf der Strecke bleibt.

Renate von Mangoldt hat vor allem dokumentarisch gearbeitet, ihrem Gegenüber, erlaubt, Raum und Haltung einzunehmen, die Modell wie Fotografin als bezeichnend, der Person angemessen betrachten. Ein Zwang zum Marketing und zur Pose, wie er heute in der Autorenfotografie vorherrscht, ist in Mangoldts Aufnahmen beglückenderweise nicht zu spüren.

Besprochen von Carsten Hueck

Renate von Mangoldt: Autoren. Fotografien 1963 - 2012
Steidl Verlag, Göttingen 2013, 544 Seiten, 38,00 Euro
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