"Das Abenteuer der Moderne"

Von Volkhard App · 31.07.2008
Die berühmte französische Kunsthändler-Dynastie Maeght nahm einst mit einer kleinen Galerie in Cannes ihren Anfang. Werke aus der erstklassigen Sammlung sind nun unter dem Titel "Maeght: Das Abenteuer der Moderne" im Münsteraner Picasso-Museum zu sehen. Darunter befinden sich Arbeiten von Marc Chagall, Joan Miro, Giacometti und Georges Braque.
Porträts des Sammler- und Galeristenpaares bilden die Ouvertüre: Marguerite Maeght, von Matisse mit wenigen Strichen umrissen, und Gatte Aimé, gestrichelt von Giacometti. Mit den Großen der Moderne waren die beiden Kunstliebhaber auf Du und Du. Und so hatte es angefangen: von der Farbenpracht eines bei Aimé Maeght in Auftrag gegebenen Plakats war Pierre Bonnard derart beeindruckt, dass er dem Drucker seine Gemälde anvertraute und er machte ihn mit Matisse bekannt. Aus dem einfachen Laden in Cannes wurde die Galerie, 1945 öffnete dann ihr Geschäft in Paris, bald eine international wichtige Adresse - und 1964 schließlich wurde in Saint-Paul an der Cote d’Azur die "Stiftung Maeght" mit traumhaft gelegenem Ausstellungshaus eingeweiht. "Baue ein Museum für Moderne Kunst, wo es nach Thymian und Rosmarin riecht", hatte Georges Braque dem Galeristen geraten. Die Enkelinnen Yoyo und Isabelle erinnern sich an die berühmten Gäste:

"Wir haben mit den Künstlern zusammengelebt, sie waren - wie Miro, Giacometti und Braque - Teil unserer Familie. Chagall hat sich zum Beispiel in der Nähe unseres Hauses in Saint-Paul aufgehalten. All diese Künstler waren zwar nicht unsere Großväter, aber in gewissem Sinne unsere Großonkel."

Dabei sah sich Sammler und Galerist Aimé Maeght zeitlebens als Drucker und Verleger, brachte Grafik und Künstlerbücher heraus und publizierte die Zeitschrift "Derriere Le Miroir- Hinter dem Spiegel", für die Sartre und Beckett Essays schrieben.

Viele Geschichten verknüpfen sich mit den hier gezeigten Werken, auch wenn die Ausstellung nur einen kleinen Ausschnitt aus der riesigen Sammlung bieten kann, aber immerhin schlägt sie einen Bogen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die achtziger Jahre und kann mit vielen klassisch-modernen Kabinettstücken aufwarten: einem von Marc Chagall poetisch gestalteten Paravent und weiteren Liebeserklärungen an die Stadt Paris, mit Alltagsstudien Giacomettis und einer großen, tiefschwarzen Skulptur Alexander Calders, die er "Kohle-Kumpel" genannt hat.

In dem besonderen Interesse an Druckgrafik treffen sich die Vorlieben Aimé Maeghts und die des Ausstellungshauses in Münster. Markus Müller, Direktor des Picasso-Museums:

"Wir haben in der Ausstellung späte Farblithographien von Joan Miró, mit einer Höhe von zwei Metern. Die sind auf einer speziellen Druckpresse entstanden, die die Maeghts nur für Miró anfertigen ließen. Miró hat sie nach dem Vornamen seiner Frau getauft."

Ein besonderer Höhepunkt sind in Münster die kubistischen Radierungen von Georges Braque. Dabei wirkt der Akt von 1907, der als Erwiderung auf Picassos formensprengende "Démoiselles d’Avignon" gedacht war, noch vergleichsweise zurückhaltend. Bei den folgenden gedruckten Stilleben wurden dagegen die Motive auch von Braque gründlich zerlegt.

Auch einige Künstler, die weniger populär sind, vereint die Sammlung. Bei den Großen fällt sie durch eine Leerstelle auf:

"Aimé Maeght hat fast alle großen Kunstschöpfer des 20.Jahrhunderts vertreten – bis auf einen ganz Wichtigen, nämlich Pablo Picasso. Mit dem ist er nicht klar gekommen, vielleicht stimmte die Chemie zwischen beiden nicht. Er ist also nie Galerist von Picasso gewesen. Deshalb befindet sich auch kein Picasso in der ‚Fondation Maeght’."

Von Reiz sind in Sammlung und Ausstellung die Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Ausdrucksformen und Gattungen, z.B. zwischen der Skulptur Calders und seinen Grafikblättern mit primarfarbenen einfachen Formen.

Einen geschlossen wirkenden Kanon bilden diese rund 120 Werke von 11 Künstlern nicht, aber es sind bedeutende Streiflichter. Dabei bezieht sich der Titel "Das Abenteuer der Moderne" nicht nur auf das Jahrhundert der Formexperimente, sondern ausdrücklich auch auf die Geschichte des Sammler-Ehepaares:

"Ein existentielles Abenteuer, denn die Maeghts sind ohne Vermögen gestartet. Sie haben in Cannes ein kleines Geschäft gehabt und sind in den Nachkriegsjahren zur größten Kunsthändler-Dynastie Frankreichs aufgestiegen. Es ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, aber existentiell verknüpft mit der Rolle einer Familie."

Welche Rolle spielt der Kommerz? Man darf jedenfalls fragen, ob es wirklich immer so einfach war und ist, die materiellen Interessen einer Galerie und die persönliche Freundschaft mit den Künstlern in Einklang zu bringen. Yoyo und Isabelle Maeght:

"Das gehört zusammen. Wir können nur mit Künstlern arbeiten, mit denen wir auch befreundet sind. Aber der kommerzielle Teil ist gar nicht so entscheidend. Unsere Aufgabe besteht doch nicht darin, in unserer Galerie auf Kundschaft zu warten. Wir arbeiten für all diese Künstler, suchen nach geeigneten Plätzen für ihre Skulpturen, lassen ihre grafischen Arbeiten drucken und bringen ihre Bücher heraus und organisieren Ausstellungen. Und indem wir ein Gemälde an ein Museum verkaufen oder an einen engagierten Sammler, unterstützen wir das Werk dieses Künstlers und propagieren seinen Stil. Wir müssen den Künstlern nahe sein, um sie unterstützen zu können – und der Verkauf einer Arbeit ist dann Teil dieses ganzen Zusammenhangs. Und wir helfen ihnen, einen Weg zu finden, mit dem sie glücklich sein können. So haben wir Alexander Calder Anregungen für seine großen Skulpturen gegeben und Miró zu seinen riesigen Grafikblättern ermutigt. Miró hat vor Jahrzehnten auch den Garten unseres Hauses gestaltet. Wir haben immer wieder versucht, den Künstlern neue Spielräume zu öffnen."

Schon bereiten die Enkelinnen die nächste Präsentation vor: In London wird in der Royal Academy demnächst ein weiterer großer Ausschnitt aus der Sammlung gezeigt. Die Damen entdecken dabei diese Werke immer wieder neu. Das wunderbare schwarze Stabile Alexander Calders zum Beispiel, das in Münster die Blicke anzieht, steht sonst in ihrem Wohnzimmer. Nun sehen es die beiden Schwestern an einem fremden Ort mit anderen Augen. Wenn die Kunstwerke zurückkommen, sagen Isabelle und Yoyo, sei es jedes Mal wie mit Kindern, die aus den Ferien heimkehren: sie scheinen noch die gleichen zu sein - und doch sind sie nun ein wenig anders.